Die Intellektuellenschelte ist nicht nur genauso alt wie der Begriff der Intellektuellen selbst; sie hat ihn überhaupt erst hervorgebracht. Als 1898 der Romancier Maurice Barrès während der Dreyfus-Affäre die Unterzeichner eines Manifests als intellectuels bezeichnete, war das nicht als Kompliment gemeint. Zwar verlor der alsbald eingedeutschte Neologismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen pejorativen Charakter, doch ernteten die streitbaren Geister noch immer Hohn und Spott. Galten sie manchen als "eitle Schwätzer" (Gottfried Benn), so brandmarkten andere sie als "kleine Pinscher" (Ludwig Erhard) oder "postbubeszente" Kritizisten (Josef Othmar Zöller).
Wenngleich weit entfernt von pauschaler Schelte, so lässt doch auch Axel Schildt, dessen monumentaler Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik diese Zitate entstammen (716f.), dem oftmals allzu hehren Selbstbild der Geistesarbeitenden gleich eingangs die hohe Luft ab. Indem er sie explizit als "Medien-Intellektuelle" versteht, formuliert der Hamburger Zeithistoriker den Anspruch, auch die mediale Verfasstheit geistiger Debatten zu reflektieren. Damit möchte er die Definition des intellectuals als "someone seriously and completely interested in the things of the mind" (Richard A. Posner) "schlicht in den Orkus der Lächerlichkeit" entsorgen (11) - und ebenso die rein ideengeschichtliche "Höhenkammforschung" (18). Wie sehr auch die Materialität des Schreibens die intellektuelle Arbeit mitbestimmte, deutet er mit einem Zitat Hans Magnus Enzensbergers an, der Alfred Andersch 1966 in einem Brief beschwor, sich "unverzüglich eine [elektrische Schreibmaschine] ibm 72 anzuschaffen" (11).
Auf den folgenden rund 900 Seiten kommt Schildt kaum auf solche "Aufschreibsysteme" (Friedrich Kittler) zurück, doch nimmt er Radio und Fernsehen als wichtige Medien für Reichweite und nicht zuletzt für das Auskommen gerade der "freischwebenden Intelligenz" (Alfred Weber) ernst. Damit schließt er - wenn auch nur implizit - an die Überlegungen Karl Mannheims zur Geburt der Intellektuellen aus der "Not der geistigen Arbeit" [1], vor allem aber an die jüngste Medien- und Intellektuellengeschichte, an.
Entstanden ist eine so weit gespannte wie in die Tiefe gehende Streit- und Zeitgeschichte des geistigen Lebens auf Grundlage von Personen- und Institutionsnachlässen aus mehr als zwei Dutzend Sammlungen und Archiven. Diese Kärrnerarbeit erlaubt Blicke hinter die Betriebskulissen auch auf die zumeist im Verborgenen wirkenden Gatekeeper und Organisatoren von Debatten. Herausgeber und Redakteure, wie Hans Paeschke vom Merkur, bestellten schon mal gleich die Gegenposition zu einem Aufsatz mit und stifteten so planvoll Streit. Die nachgezeichneten Fehden und Zerwürfnisse sind denn auch Legion: Karl Jaspers versus Dolf Sternberger, Alfred Andersch vs. Friedrich Sieburg, Thomas Mann vs. Walter von Molo, Kurt Hiller vs. Paul Fechter - um nur einige wenige herauszugreifen.
Schildt ordnet das Feld zwar weltanschaulich, aber nicht nach einem simplen Links-rechts-Schema. Vielmehr macht er auch Lager transparent, die in der Vorkriegszeit wurzeln. Oftmals werden erst vor diesem Zeithintergrund Verbindungen deutlich, die ehemalige Mitglieder des Tat-Kreises (etwa Hans Zehrer und Ferdinand Fried) oder des nationalrevolutionären Lagers (Ernst Niekisch, Margret Boveri) einten oder sie nach politisch-konfessionellen Grenzen teilten, zwischen links- und rechtskatholischem Lager oder alter Rechter (Armin Mohler, Carl Schmitt) und Exil (Jean Améry, Norbert Elias). Gerade die frühen Jahre der Bundesrepublik waren von der Frage nach der NS-Belastung geprägt, folgten aber bald der neuen Weltordnung zwischen West- und Ostbindung beziehungsweise Nationalneutralismus. Hier zeigten Intellektuelle wenig Berührungsängste. Ließen sich etliche vom CIA-finanzierten Congress for Cultural Freedom (CCF) aushalten, wie die Zeitschrift Der Monat, so nahmen andere, wie die linke konkret, Geld aus Ost-Berlin.
Indem Schildt solche politischen Frakturen transparent macht, droht bisweilen die eingangs formulierte Prämisse verloren zu gehen, der zufolge der öffentlichkeitswirksam ausgetragene Streit zuallererst ein Selbstzweck war. Allerdings ist etwa der diskursive Aufwand, der um die Differenz zwischen einem Kulturraum Europa in Abgrenzung zur "europäischen Avantgarde" (328) getrieben wurde, für Nachgeborene kaum noch nachvollziehbar und erhält retrospektiv Züge einer Scheindebatte. Auch reflektiert Schildt die Rolle langlebiger Zeitschriften wie Merkur, Der Ruf oder Christ und Welt (und zahlreicher kurzlebiger Projekte), später der Nachtprogramme des Rundfunks (die vor allem Adorno virtuos bespielte) und des Fernsehens, aber auch der massenhaften Buchproduktion. Die Taschenbücher rowohlts deutscher enzyklopädie (rde) wurden ab Mitte der 1960er von der suhrkamp culture beerbt, deren rege Theoriezirkulation erstmals weit ins Globale ausgriff. Auch verdeutlicht manches Zitat Schildts These der Politisierung als einer "Strategie der Aufmerksamkeitserregung" (294), etwa wenn Hans Werner Richter mitten in der Fehde mit dem konservativen Literaturkritiker Friedrich Sieburg in einem Brief freimütig bekannte, er brauche dessen "Gegnerschaft, und ich denke, er braucht auch die Gruppe 47 ... und ihre Freund-Feindschaft. Wieviel hat er dazu beigetragen uns groß zu machen" (550 f.).
Solche launigen Zeilen und manche private Anekdote machen die Lektüre des nahezu enzyklopädisch dimensionierten Werkes nicht nur erhellend, sondern streckenweise regelrecht unterhaltsam, auch wenn Schildt sie nur wohldosiert zum Beleg seiner übergeordneten Thesen einsetzt und sich keinesfalls mit den Klatschgeschichten über die privaten Händel der Geistesgrößen vergangener Epochen gemein macht, wie sie sich seit einigen Jahren auf den Bestsellertischen stapeln.
Aus Perspektive einer Geschichte der Gegenwart fällt auf, dass sich zahlreiche Affären um die Unterdrückung von Artikeln und die Entfernung gewohnter Namen aus Inhaltsverzeichnissen, Sendeplänen, Redaktionen und Parteien als Cancel Culture avant la lettre fassen ließen, vor allem im Kalten Krieg, der bereits mit Mitteln der Sprachpolitik ausgetragen wurde. Jenen, die sich nicht klar genug von der DDR abgrenzten, drohte in den 1950er und 1960er Jahren der Verlust von Öffentlichkeit oder Finanzierung. Manchmal reichte schon der Blasphemie-Verdacht, dem 1958 beim Süddeutschen Rundfunk ein Manuskript von Heinrich Böll zum Opfer fiel, und selbst Bertolt Brecht wurde im Westen zeitweise zur persona non grata, weil sein kritisches Gedicht über den 17. Juni nur ausschnitthaft bekannt geworden war.
Die DDR ist mit solchen Bezügen und auch mit einigen Exkursen hier mehr als eine Fußnote. Auch transnationale Geistesbeziehungen werden ausgeleuchtet, etwa in der Konkurrenz zwischen gaullistischen und atlantischen Konservativen oder den italienischen Reisen damaliger Linker, die, wie Enzensberger, "selbst in einem nest wie bologna [...] mehr wahrhafte intellektuelle als in frankfurt zusammengenommen" ausmachten (690). Gleichwohl bleibt die Bundesrepublik stets der Bezugspunkt; eine übernationale Intellektuellengeschichte steht noch aus.
In den drei Teilen des Buches über die "Neuordnung des intellektuellen Medienensembles" nach dem Krieg, die "Einübung des Gesprächs" und die "Transformation der 'langen 60er Jahre'" bestätigt Axel Schildt im Großen und Ganzen seine vorherigen Befunde etwa der behutsamen Modernisierung der "konservativen" 1950er und dem beschleunigten Wandel in den "dynamischen" 1960er Jahren, differenziert sie aber aus. [2] Dabei setzt er Binnenzäsuren wie die Desillusionierung westlicher Marxisten und die Abwanderung etlicher östlicher nach 1956 und identifiziert als Wendepunkt für einen allmählichen Linksschwenk der Intellektuellen die Spiegel-Affäre von 1962, in deren Folge auch konservative von ihrer Regierung abrückten - und sich viele Geistesarbeitende nachhaltig der Parteipolitik entfremden.
Als Resultat dieser Entwicklung macht Schildt eine parteiübergreifende Liberalisierung auch der intellektuellen Debatten aus und konstatiert (mit dem Begriff Hans-Ulrich Wehlers) eine "stille Doppelrevolution der Gesellschaft um 1960" aus Strukturwandel der Öffentlichkeit und sozialhistorischen Entwicklungen wie Konsum, Einwanderung und "Feminisierung" (609). Die beiden letzteren Prozesse aber hatten die Intellektuellen noch kaum erfasst, unter denen die an fünf Händen abzählbaren Frauen - prominent Hannah Arendt, Marion von Dönhoff und Ulrike Meinhof - klare Ausnahmen sind, während Migrierte noch so gut wie gar nicht vorkommen.
Das Buch endet im viel beforschten Jahr 1968, dessen Geistesleben Schildt jedoch als Desiderat benennt, das noch einer eingehenden Beleuchtung harre, wie sie jüngst auch in Gang kommt. [3] Umso bedauerlicher ist es, dass er nicht wie geplant weiter in Richtung Gegenwart vorstoßen konnte. Ein vierter Teil über die 1970er und 1980er Jahre sowie ein Ausblick auf die Berliner Republik sind im Inhaltsverzeichnis in blasser Schrift angedeutet, konnten aber nicht mehr fertiggestellt werden. Axel Schildt starb bekanntlich am 5. April 2019; sein Manuskript wurde von seiner Ehefrau Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried postum ediert und mit einem persönlichen Nachwort und einer autobiographischen Miniatur versehen.
Schildts Perspektivsetzung mag jedoch dazu anregen, spätere Metamorphosen des Typus der Medien-Intellektuellen, wie sie gegenwärtig die Talkrunden bevölkern, einmal mit dem medienökonomischen Wandel dieser Sendungen zu korrelieren, die weitgehend aus der Zuständigkeit öffentlich-rechtlicher Redaktionen an privatwirtschaftliche Produktionsfirmen ausgelagert wurden, die wiederum eigene (aufmerksamkeits-)ökonomische Agenden verfolgen. Universitär verankerten Intellektuellen ist neben den dort omnipräsenten Stimmen aus Politik und Journalismus allenfalls noch situativ eine Experten-Rolle vorbehalten, was die These Michel Foucaults von der Ablösung des Universal-Intellektuellen durch den Experten zu bestätigen scheint (die Schildt für seinen Untersuchungszeitraum jedoch relativiert). [4] Auch fällt auf, dass kollektive Manifeste zwar noch heute Aufmerksamkeit generieren, in Zeiten von Egomedien jedoch Gruppenbildungen mittlerweile die Ausnahme sind oder - wie der schon damals heillos zerstrittene PEN-Club - eher als Bühne für öffentlichkeitswirksame Zerwürfnisse fungieren.
Und schließlich wünschte man, der stets streitlustige Axel Schildt hätte sein Buch selbst (womöglich: medienintellektuell) diskutieren können. Die Lücke, die er nicht nur als Zeithistoriker, sondern auch als Zeitgenosse hinterlässt, vermag sein theoretisch wie empirisch herausragendes opus magnum bei allem Gewicht nicht zu füllen. Er fehlt.
Anmerkungen:
[1] Alfred Weber: Die Not der geistigen Arbeiter. München/Leipzig 1923; Karl Mannheim: Ideologie und Utopie. Bonn 1929.
[2] Vgl. besonders Axel Schildt: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und "Zeitgeist" in der Bundesrepublik der 50er Jahre. Hamburg 1995; Ders.: Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998; Ders.: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre, München 1999; Ders. / Detlef Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart, München 2009; Sowie als Herausgeber: Ders. / Arnold Sywottek (Hgg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1998; Ders. / Detlef Siegfried / Karl Christian Lammers (Hgg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000.
[3] Vgl. Anna von der Goltz: The Other '68ers. Student Protest and Christian Democracy in West Germany, Oxford 2021.
[4] Vgl. Michel Foucault: Die politische Funktion des Intellektuellen, in: Ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. III: 1976-1979, hg. von Daniel Defert/François Ewald, Frankfurt/M. 2003, S. 145-152.
Axel Schildt: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried, Göttingen: Wallstein 2020, 896 S., ISBN 978-3-8353-3774-9, EUR 46,00
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