Seit über einem Jahrzehnt wird zur Geschichte personeller und institutioneller Kontinuitäten und Brüche im Nachkriegsdeutschland geforscht. Amtlich bestellte, aber unabhängig arbeitende Historikerkommissionen haben sich in diesem Rahmen mit der NS-Vergangenheit westdeutscher Ministerien sowie anderer öffentlicher Einrichtungen befasst und deren Umgang mit Belastungen, Kontinuitäten und Diskontinuitäten beleuchtet. Die staatliche Verwaltung der DDR hingegen wurde nur in einigen wenigen dieser "Aufarbeitungsprojekte" mitberücksichtigt.
Jonathan Kaplan versucht diese Lücke für das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) zu schließen. Im Mittelpunkt seiner Dissertation stehen drei Untersuchungskomplexe: Erstens geht es um die Belastung des MfAA mit ehemaligen Nationalsozialisten, zweitens um jüdische Diplomaten der DDR und drittens um die Auswirkungen der Geschichte der NS-Zeit auf die DDR-Propaganda und die Rolle, die das Außenministerium dabei spielte. Diese drei Themen hängen nicht miteinander zusammen; auch im Verlauf der Darstellung wird nicht klar, warum Kaplan alle drei in einer Untersuchung behandelt. Die Arbeit basiert auf MfAA- und Stasi-Akten; außerdem werden Akten aus dem israelischen Außenministerium herangezogen.
Kaplan beginnt mit einer sehr langen Hinführung zum Thema, in der Altbekanntes wiederholt wird: So schreibt er etwa, dass "die NS-Vergangenheitsbewältigung in der DDR auf dem Mythos eines Neuanfangs und auf ideologischer Grundlage des Antifaschismus" basierte (41). Worin das Besondere des Antifaschismus in der DDR bestand, führt er jedoch nicht weiter aus. Ausführlich geht er ebenfalls auf die sattsam bekannte Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit der westdeutschen Eliten durch die DDR im "Braunbuch" und die Repliken der Bundesrepublik mit Broschüren wie "Ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten" ein. Die Klärung, was unter "Belastung" durch die NS-Vergangenheit verstanden wird, wäre weitaus wichtiger gewesen.
Aus dem Kapitel zu diesem Komplex geht hervor, dass Kaplan die Mitgliedschaft nicht nur in der NSDAP, sondern auch in anderen NS-Organisationen, der HJ und die Zugehörigkeit zum Offizierkorps der Wehrmacht als eine solche "Belastung" bewertet. Neben dem bereits bekannten Fall eines ehemaligen Angehörigen des Auswärtigen Amts (AA), der auch im MfAA tätig wurde, kann er einige wenige weitere Einzelfälle aufdecken. Keiner der von ihm Genannten war allerdings vor 1945 im AA tätig. Er geht auch auf die - ebenfalls bekannte - Vergangenheit des ersten DDR-Außenministers Georg Dertinger ein, der weder in der NSDAP noch einer NS-Organisation tätig war, aber in der Weimarer Republik dem rechtskonservativen Spektrum zugeordnet werden konnte und dem NS-Regime die Treue hielt. Darüber hinaus nennt er mit Hermann Klenner und Herbert Kröger noch zwei Männer, die zwar ehemalige Parteigenossen waren, nicht aber dem MfAA angehörten. Obwohl er einzelne "belastete" Personen unter dessen Mitgliedern ausfindig gemacht hat, bleibt er bei der Beschreibung der Einzelfälle stehen und versucht nicht zu erklären, warum diese dennoch den Weg ins Ministerium fanden.
Bei den jüdischen Diplomaten der DDR trifft Kaplan eine Auswahl, die angeblich zeigt, "wie umfangreich die Betätigung dieser Personen im SED-System war und wie wichtig sie für die außenpolitischen Entscheidungen der DDR waren" (161). Hier nennt er neben einigen DDR-Diplomaten allerdings auch die Funktionäre Hermann Axen und Albert Norden, die keine MfAA-Mitglieder waren. Hinzu kommt, dass er auf außenpolitische Entscheidungen nicht eingeht, sodass er seine Frage nach dem politischen Gewicht jüdischer MfAA-Mitarbeiter nicht beantworten kann. Völlig absurd ist es, hier auch auf Außenminister Otto Winzer einzugehen, der zweifellos nicht jüdisch war, auch wenn entsprechende Behauptungen dazu kursierten. Abschließend schreibt Kaplan widersprüchliches über die Bedeutung der "jüdischen Seite" der Identität der von ihm präsentierten Personen: Bei mehreren habe diese keine Rolle gespielt, bei den Holocaust-Überlebenden hingegen zeigten deren Tätigkeiten, "dass ihre jüdische Geschichte trotz der Ablehnung ihres 'Judentums' ihre persönliche und politische Entwicklung bestimmte" - eine schwer verständliche Aussage, für die er keine Belege präsentiert.
Der letzte Teil steht unter der Überschrift "Außenpolitische Offensive: Aufarbeitung der Vergangenheit in der DDR-Propaganda und DDR-Außenpolitik" (217). Schon der Titel ist schwer zu verstehen; der Inhalt des Kapitels ist diffus. Ein wesentlicher Teil besteht in der Darlegung des Umstands, dass das MfAA die propagandistische Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik mit eigenen Schriften unterstützte, etwa mit der Broschüre "Von Ribbentrop zu Adenauer: Eine Dokumentation über das Bonner Auswärtige Amt". Zusammenfassend schreibt Kaplan zu diesem Thema: "Die Arbeit rund um die 'Aktion Nazi-Diplomaten' des MfAA gegen Nazi-Diplomaten in der Bundesrepublik und die entsprechenden Propagandamaßnahmen in jüdischen Kreisen im Ausland beweisen die wechselnde DDR-Haltung gegenüber den diplomatischen Beziehungen zu Israel, dem Zionismus, den Wiedergutmachungsabkommen und der Schuld an und der Verantwortung für Naziverbrechen" (289). Was soll man mit dieser Aussage anfangen?
Leider ist das Werk voll solcher unklaren Formulierungen, so dass das Fazit am Ende völlig vage bleibt. Insgesamt handelt es sich um eine unzureichende Arbeit, die überdies noch mangelhaft lektoriert wurde.
Jonathan Kaplan: Diplomatie der Aufarbeitung. Das Ministerium für Auswärtige Angelgenheiten der DDR und die nationalsozialistische Vergangenheit, Berlin / Leipzig: Hentrich & Hentrich 2022, 313 S., ISBN 978-3-95565-468-9, EUR 29,90
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