Sicher gehören Leben und Regierungszeit Joachim Friedrichs von Brandenburg (1546-1608) zu den weniger gut erforschten Perioden brandenburg-preußischer Geschichte (29). In der Forschung wurde seine Herrschaft lange als Übergangszeit zwischen lutherischer Reformation 1539 und der Konversion Kurfürst Johann Sigismunds zum reformierten Glauben im Jahr 1613 betrachtet. Dieses Bild revidiert Uwe Folwarczny mit seiner Potsdamer Dissertation "Lutherische Orthodoxie und konfessioneller Pragmatismus" nun erheblich. Der Autor ist bestrebt, die etatistische Verengung des Konfessionalisierungsparadigmas durch einen kollektivbiographischen Zugriff zu umgehen, den er von der Prosopographie durch einen qualitativen Zugang abgrenzen will (13-15). Hierfür betrachtet er die Zusammenarbeit von Joachim Friedrich mit seinen wichtigsten geistlichen und weltlichen Ratgebern. Das soll es ermöglichen, "Erfahrungs- und Handlungsspielräume [...] sowie die jeweiligen Handlungsoptionen" der beteiligten Akteure herauszuarbeiten (15). Quellengrundlage sind v.a. die gute Überlieferung im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und die zahlreichen Quelleneditionen für das 16. und frühe 17. Jahrhundert (35f.).
Die Arbeit gliedert sich in fünf Hauptkapitel. Nach der Begründung der Vorgehensweise (A), behandelt (B) die Herrschaft Joachim Friedrichs als letzter Bischof von Havelberg, Lebus und Brandenburg sowie seine über vierzigjährige Regentschaft als erwählter Erzbischof von Magdeburg. Durch die Wahl des Hohenzollers zum Bischof der drei brandenburgischen Landesbistümer sei deren Säkularisation und anschließende Integration in die Mark gelungen (51). Komplizierter habe sich der Herrschaftsantritt in Magdeburg gestaltet. Hier hätten der Kaiser und die katholischen Reichsstände systematisch mithilfe des Geistlichen Vorbehalts versucht, die Anerkennung Joachim Friedrichs zu verhindern (61-106). Die Verweigerung seiner Anerkennung habe durch die fehlende magdeburgische Mitwirkung letztlich zur Lahmlegung des Reichskammergerichts geführt (73-76). Anders als auf Ebene des Reiches sei es dem erwählten Erzbischof von Magdeburg gelungen seine Rolle als Kreisdirektor des Niedersächsischen Reichskreises auszufüllen, da er hier auf keinen katholischen Widerstand gestoßen sei (76-80). Während er auf Landesebene die Pfarrer auf die Konkordienformel vereidigen ließ und damit einen orthodox-lutherischen Bekenntnisstand festschrieb (86f.), habe er durch eine gesamtprotestantische Bündnispolitik den Besitz des Erzstiftes gegen das katholische Reich abzusichern gesucht, sei aber an den Bedenken seines Vaters und Kursachsens gescheitert (88-106).
1598 übernahm Joachim Friedrich von seinem Vater die brandenburgische Kurwürde, die er bis zu seinem Tod 1608 innehaben sollte. (C) Kurfürst Johann Georg hätte testamentarisch die Teilung der Mark zwischen seinen Söhnen angeordnet. Joachim Friedrich suchte nun nach einer Lösung die ungeteilte Herrschaft in Brandenburg antreten zu können. Hierfür habe er um den Beistand der Stände und des Kaisers gebeten (106-115). Eine Einigung sei dennoch erst durch den Geraer Hausvertrag zu Stande gekommen, indem der Kurfürst seinen Stiefbrüdern das Erbe des kinderlosen Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach-Kulmbach zusicherte (115-118). Zentrales politisches Ziel Joachim Friedrichs sei fortan die Durchsetzung der Erbansprüche im Herzogtum Preußen und in Jülich-Kleve-Berg gewesen (127-255). Dabei habe er jedoch bedarfsgerecht zwischen der traditionellen Anlehnung ans lutherische Kursachsen und den katholischen Kaiserhof einerseits und den neuen reformierten Bündnispartnern in der Pfalz und den Niederlanden andererseits laviert (255-291). Dezidiert lutherisch sei hingegen seine Innenpolitik gewesen, die sich sowohl gegen die Abschaffung verbliebener katholischer Zeremonien (293-298) als auch gegen die Gefahr des Einzugs von Philippismus und Reformiertentum in Brandenburg gerichtet habe (298-325).
Ein eigenes Kapitel (D) fasst die Ergebnisse der beiden Kapitel zur Regentschaft Joachim Friedrichs als protestantischer Bistumsadministrator und Kurfürst von Brandenburg zusammen. In Preußen sei es dem Kurfürsten gelungen gegen den Widerstand Polens die Vormundschaft über den "geisteskranken" Albrecht Friedrich von Preußen durchzusetzen. Zur Sicherung der Erbanwartschaften am Niederrhein habe der Kurfürst bedarfsgerecht zwischen Versuchen, zu einer gütlichen Einigung mit den anderen Erbanwärtern zu gelangen, und der militärischen Absicherung durch Bündnisse mit den reformierten Mächten gewechselt (328, 331). Im Inneren Brandenburgs und seines Hauses hingegen habe er fest an einer orthodox-lutherischen Kirchen- und Schulpolitik festgehalten. Dadurch habe er den lutherischen Bekenntnisstand Brandenburgs nachhaltig gefestigt (331-332). Das habe sich auch in der Auswahl seiner Berater widergespiegelt, von denen alle geistlichen Räte auf die Confessio Augustana invariata und die Konkordienformel vereidigt worden seien (124f., 341). Die reformierten Amtsträger im Geheimen Rat hingegen hätten sich durch ihre Kompetenzen zur Durchsetzung der brandenburgischen Erbansprüche in Preußen und in Jülich-Kleve-Berg ausgezeichnet und seien nicht mit kirchenpolitischen Angelegenheiten befasst gewesen (340f., 348). Der außen- und reichspolitische Pragmatismus im Umgang mit konfessionellen Angelegenheiten habe sich im Inneren nicht wiedergefunden. Hier habe Joachim Friedrich vielmehr an der dezidiert lutherischen Linie seiner Vorgänger festgehalten (350f.). Die Rolle der einzelnen Berater des Kurfürsten wird in der ganzen Arbeit hervorgehoben. Ihr Werdegang und ihre Tätigkeiten werden darüber hinaus in einem lexikalischen Abriss (E) noch einmal gesondert gewürdigt.
Uwe Folwarczny hat mit "Lutherische Orthodoxie und konfessioneller Pragmatismus" die erste monographische Darstellung zur Regentschaft Joachim Friedrichs vorgelegt. Besonders positiv sind die Auswertung bisher kaum beachteter Aktenbestände, die gute Literaturkenntnis sowie die sehr gute Lesbarkeit der Arbeit hervorzuheben. Methodisch bleibt jedoch die Frage offen, wie ein kollektivbiographischer Zugang über zentrale Handlungsträger die etatistische Verengung des Konfessionalisierungsparadigmas überwinden will (vgl. 13-15). Inhaltlich scheint lediglich auf Seite 43f. ein Irrtum unterlaufen zu sein, wo der Autor behauptet, Johann Sigismund hätte das reformierte Bekenntnis auf Basis des Augsburger Religionsfriedens formalrechtlich in Brandenburg durchsetzen können. Das ist insofern nicht richtig, als die Reformierten reichsrechtlich 1555 keine Anerkennung gefunden hatten. Jenseits dieser marginalen Kritikpunkte liefert die Untersuchung substantielle Erkenntnisse zur Herrschaft Joachim Friedrichs und zur Vorgeschichte der hohenzollerischen Erbfälle in Preußen und am Niederrhein. Das darf mit Recht als großes und bleibendes Verdienst der Arbeit gelten.
Uwe Folwarczny: Lutherische Orthodoxie und konfessioneller Pragmatismus. Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg zwischen Dynastie, Territorien und Reich (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz - Forschungen; 20), Berlin: Duncker & Humblot 2022, 625 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-428-18263-3, EUR 109,90
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