Wenn ein Text aus dem Mittelalter erneut in einer kritischen Ausgabe zur Verfügung gestellt wird, der bisher praktisch unbekannt geblieben war [1], erregt das Aufmerksamkeit. Wenn dieser Text einen Dialog zwischen Vater und Tochter wiedergibt, literarisch gestaltet, steigert sich diese. All das trifft auf Jos' von Pfullendorf Die Fuchsfalle zu, die hier zum ersten Mal von Klaus H. Lauterbach ediert wird, leider nur auf der Grundlage des Digitalisats, nicht einer Autopsie der Handschrift. Da es sich um eine theologische Schrift handelt, durch die scharfe Kritik am moralischen Verfall des kirchlichen Lebens, d.h. insbesondere an den Bedingungen in Klöstern geübt wird, steigert sich unser Interesse noch mehr, denn hierdurch wird erneut deutlich, welche große Wirkung das Konstanzer Konzil von 1414-1418 auszuüben vermochte, auch wenn dort die wirklich zentralen Ziele, vor allem die Stärkung des Konziliarismus, nicht erreicht wurden. Die Fuchsfalle bietet zudem einen Beleg dafür, dass es auch innerhalb der Kirche durchaus Reformbemühungen gab, so wenn wir u.a. an die Melker Reform denken. Trotzdem reichte all dies nicht aus, um die sich andeutende Protestantische Reformation durch Martin Luther und seine Mitstreiter zu verhindern.
Jos von Pfullendorf erwies sich als ein besorgter Vater, der nach einem Kloster für seine Tochter Beatrix suchte und nach langem Forschen sich schließlich 1413 für das Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen bei Sigmaringen (gegründet 1354) entschied, das sich dann 1414 unter der Anleitung von Jos der strengen Klausur unterwarf und keine Aufnahmegebühren für neue Mitglieder verlangte, mithin sich nicht der Schuld der 'Simonie' schuldig machte, wie es hier immer wieder heißt. Die Fuchsfalle entstand aber erst zwischen 1424 und 1426 und enthält ein umfangreiches dialogisch gestaltetes Werk, in dem sich fiktional Vater und Tochter über die korrekt ausgelegten Anforderungen des Klosterlebens unterhalten, was dem Verfasser dazu diente, grundsätzlich Kritik am Verfall der monastischen Institutionen zu üben und strenge Normen zu ihrer Reform aufzustellen, die er seiner Tochter nahelegte. Er wurde damit zugleich zu einem geistigen Vater der Klostergemeinschaft von Inzigkofen, der hohes Ansehen genoss, wie ein Eintrag von 1525 in der Klosterchronik bestätigt. Er hatte zwar in Heidelberg studiert (als erste deutsche Universität 1386 gegründet), sich dort aber kaum dem Recht zugewandt; später im Leben entwickelte er jedoch offensichtlich ein größeres Interesse daran und konnte dadurch eine erfolgreiche städtische Karriere durchlaufen (notarius publicus, Protonotar des Hofgerichts und der Stadt Rottweil, Notar, seit 1425 Stadt- und Hofgerichtsschreiber von Rottweil), bis er 1432 oder 1433 starb. Sein Sohn Ambrosius folgte ihm in seinen beruflichen Fußstapfen. In der ausführlichen Einleitung versammelt der Herausgeber alle weiteren biografischen Angaben und diskutiert auch die literarischen Ambitionen dieses Autors, der bisher in der germanistischen Forschung kaum beachtet worden ist.
Die Fuchsfalle diente Jos einerseits dazu, seine Tochter Beatrix geistig zu leiten, andererseits dazu, der Klostergemeinschaft als intellektueller Berater zu dienen. Wie Lauterbach zu Recht konstatiert, räumte der Autor der Gesprächspartnerin viel Freiraum ein, indem er sie fragen, widersprechen oder argumentieren lässt, d.h. indem er sie als eigenständige, selbstbewusste Persönlichkeit zeichnet, die letztlich dafür einsteht, dass Jos' Reformbemühungen in die Tat umgesetzt werden konnten. Es würde sich anbieten, dieses große Werk mit dem anonymen Le Ménagier de Paris von 1393 zu vergleichen, wo allerdings im deutlichen Unterschied ein ältlicher Ehemann seine junge Ehefrau darüber belehrt, wie sie sich tugendhaft und sittsam zu verhalten habe. Der Herausgeber scheint aber diese wertvolle literarische Parallele nicht wahrgenommen zu haben, wie auch jegliche Hinweise auf das Dialoggedicht des Winsbecke bzw. dann der Winsbeckin (frühes 13. Jahrhundert) fehlen. Dafür verweist er auf die natürlich näherliegenden Quellen, so Job Veners Compendium de vicio proprietatis (ca. 1415), die Constitutio . . . quod Monachi propria non debeant possidere bona (1417) und Nikolaus' von Dinkelsbühl Predigt Von dem ubel der aigenschafft (1412), also alles klerikale Texte (der Ménagier war prinzipiell säkular). Im Wesentlichen ging es aber Jos darum, anhand dieses rhetorischen Austauschs Belehrung moralischer und ethischer Sittsamkeit anzubieten, eine Belehrung, die sich umfassend aus der Theologie und vergleichbaren Bereichen speiste.
In der Einleitung geht Lauterbach ausführlich auf die Sprache des Autors ein und erklärt seine Editionsprinzipien, die sich nicht wesentlich von denjenigen unterscheiden, die in den letzten Jahren zunehmend gültig gewesen sind. Er beschreibt auch die einzige Handschrift, die heute aus konservatorischen Gründen nicht mehr eingesehen werden darf, und erläutert die Editionsmethodik. Vor der eigentlichen Textausgabe befinden sich noch drei Exkurse, das Abkürzungsverzeichnis und die Bibliographie. Die Edition selbst wird umfangreich in den Fußnoten kommentiert. Zum leichteren Auffinden von bestimmten Textstellen ist jede Seite neu nach den Zeilen durchnummeriert.
Am Ende finden sich ein Register mit den Bibelstellen, eins mit Rechtstexten, eins der erwähnten Autoren und Werke (an erster Stelle Bernhard von Clairvaux), ein Verzeichnis der Namen und dann ein ganzes Lexikon der verwendeten Wörter, das vor allem den Schreibdialekt verzeichnen soll. Dies mag ja insgesamt sehr dienlich sein, aber in der Mehrheit der Fälle wirkt dies alles unnötig aufgebläht und letztlich kaum ergiebig, denn der Unterschied zum Neuhochdeutschen ist oftmals kaum noch wahrzunehmen. Leicht problematische Ausdrücke werden dagegen manchmal nicht berücksichtigt (z.B. 'bennen', Seite 51, 22, oder 'vbig', Seite 55, 33), oder die Erklärung im Lexikon reicht nicht aus (z.B. 'ain aigen mensch', Seite 44, 17). Den Abschluss bildet das Abbildungsverzeichnis.
Wenn auch Jos von Pfullendorf nicht unbedingt als eigenständiger spätmittelhochdeutscher Dichter oder Autor bezeichnet werden kann, verdient doch Die Fuchsfalle unsere Beachtung als bemerkenswerter literarischer Versuch, mittels eines fiktionalen Dialogs umfangreich theologische und klerikale Regeln und Vorstellungen unter Rückgriff auf einen breiten Schatz religiösen Schrifttums zu erklären. Der Titel bezieht sich auf die Vorstellung, dass ein Fuchs den geistlichen Weinberg zerstören könnte. Im Gespräch unterhalten sich Vater und Tochter über viele faszinierende Themen, so etwa, ob eine verheiratete Frau den Schleier nehmen dürfe und wie die Ehebeziehung dann zu bewerten sei.
Dieses Werk hat zwar kein besonderes Nachleben erfahren - es ist nur in einer Handschrift enthalten - , aber im Kloster von Inzigkofen schätzte man es sehr, würdigte man Jos doch noch viele Jahre nach seinem Tod als einen hochangesehenen geistlichen Vater. Es handelt sich bei der Fuchsfalle um eine wichtige fiktionale Arbeit, die das hohe Interesse an spiritueller Reform vor allem im Klosterwesen widerspiegelt, wie sie von außerhalb vorangetrieben wurde. Die zukünftige Forschung kann Lauterbach nur dankbar dafür sein, diesen Text endlich historisch-kritisch ediert zu haben. Sehr verwirrend wirkt nur die Entscheidung, den Fließtext kursiv zu setzen, die Zitate aber recte, was doch sehr gewöhnungsbedürftig ist.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu: https://www.handschriftencensus.de/werke/4921.
Klaus H. Lauterbach (Hg.): Jos von Pfullendorf. Die Fuchsfalle (= Monumenta Germaniae Historica. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters; Bd. 33), Wiesbaden: Harrassowitz 2022, CXLVI +643 S., 9 Farbabb., ISBN 978-3-447-11552-0, EUR 140,00
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