Der von den bekannten Zeithistorikern Hermann Wentker und Michael C. Bienert herausgegebene Band schließt eine empfindliche Lücke in der Landesgeschichtsschreibung Brandenburgs - die Zeit der wichtigen Nachkriegsjahre 1945 bis 1952, in denen das Land als solches überhaupt erst begründet und nach einem Zentralisierungsprozess ausgehöhlt und schließlich aufgelöst wurde. Gegliedert ist der voluminöse Band in sieben teils längere Beiträge, die wichtige thematische Felder dieser Entwicklung beleuchten: Hermann Wentker liefert gleich zu Beginn einen äußerst instruktiven Einführungstext über die gesamte Ära, in den er auch die Ergebnisse der sechs Feldstudien einbezieht und zu wohl abgewogenen Urteilen kommt. Matthias Helle beschreibt sodann Kriegsende und Neuanfang 1945, Sven Schultze die sowjetische Besatzungsmacht und in einem weiteren Beitrag die Wirtschaftsgeschichte des Landes, Michael C. Bienert die staatliche Verwaltung und die politischen Parteien, Andreas Weigelt die Entnazifizierung, die Polizei und Geheimdienste sowie Arnd Bauerkämper Gesellschaft und Kultur im Wandel. Bei allen hier vertretenen Historikern handelt es sich um ausgewiesene Fachleute, die zu den Themen bereits mehrfach veröffentlicht haben.
Gleich zu Beginn seines Überblickstextes lässt Wentker keinen Zweifel, wie der etwas lyrisch anmutende Gesamttitel "Land zwischen den Zeiten" einzuordnen ist: Sein erstes Kapitel ist mit "Land zwischen zwei Diktaturen" überschrieben. Die Jahre 1945 und 1952 markierten auch in Brandenburg den Zeitraum "zwischen dem von außen erzwungenen Untergang des Nationalsozialismus und der Errichtung einer neuen Diktatur" (10). Zu Recht betont Wentker, dass es sich dabei nicht um eine "demokratische Vorgeschichte der DDR", aber auch nicht um eine bereits 1945 bestehende neue Diktatur gehandelt habe, sondern um einen Prozess, in dem "demokratische Elemente und Versuche" schrittweise eliminiert worden sind. Im Ergebnis entstand eine "Diktatur sowjetischer Prägung" (ebd.). Warum aber sollte diese Geschichte nun auch für Brandenburg so detailliert nachgezeichnet werden, da doch parallele Entwicklungen in allen anderen Ländern der SBZ abliefen und zumeist hier entsprechende Studien vorliegen? Anders gefragt: Gab es bestimmte Spezifika Brandenburgs, die eine solche Nahsicht legitimieren?
Die von Wentker genannten Gründe erscheinen durchaus überzeugend: Da das hier zu untersuchende Land vor 1945 bzw. vor 1933 als Provinz und damit als Mittelinstanz nur ein Teil des größeren Freistaates Preußen war, musste erst 1945 eine zentrale Administration geschaffen werden. Dies war weder in Sachsen noch in Thüringen der Fall. Und auch bei den ins Feld geführten "erheblichen Gebiets- und Bevölkerungsverlusten" (ebd.) unterschied sich Brandenburg von den genannten Ländern. Schließlich wird die Lage der Vier-Sektoren-Stadt Berlin inmitten Brandenburgs als Argument für etwaig abweichende Reaktionen bemüht. Wentker hätte auch noch ein viertes Argument benennen können: Die "bürgerliche" Mehrheit aus CDU und LDP im Landtag nach 1946, die es in Sachsen und Thüringen ebenso wenig gegeben hat.
Wentkers Argumente spielen in fast allen Beiträgen eine Rolle. So wird eindrücklich die Kriegsendphase und die "Umsiedlung" beträchtlicher Bevölkerungsgruppen aus den Ostgebieten (und Ost-Brandenburg) in die ländlichen Gebiete Brandenburg geschildert, die politische Steuerung durch die Kreiskommandanturen thematisiert, ebenso der Aufbau der (späteren) Landesregierung in Potsdam, aber auch die intensiven Kontakte politischer Opponenten nach Westberlin. Dass sowjetische Übergriffe 1945 nicht einmal vor dem neuen Landespräsidenten Halt machten, dem Rotarmisten auf offener Straße den Dienstwagen abnahmen, zeigt Schultzes Beitrag anschaulich. Doch lassen sich eben auch viele Parallelen zu anderen Ländern der SBZ erkennen, sei es nun in der Demontagepolitik, beim sukzessiven Aufbau der Planwirtschaft oder bei den Zentralisierungstendenzen ab 1948. Dabei werden Desiderate offen angesprochen - so von Weigelt im Zusammenhang mit SMT-Urteilen in Brandenburg, wo es immer noch an "verlässlichen Angaben" (279) mangele. Wenn in dieser Hinsicht das hier als US-"finanziertes" und gegen die DDR arbeitendes SPD-Ostbüro vornehmlich mit "Spionage" in Zusammenhang gebracht wird (288), greift das jedoch ein wenig zu kurz, war doch dieses Büro (wie diejenigen von CDU und FDP) gerade auch ein wichtiger Rückhalt für die bedrohten demokratischen Ost-Potentiale, von denen Wentker eingangs sprach.
Michael C. Bienerts umfangreicher Text über "Staatliche Verwaltung und politische Parteien" verdient vor diesem Hintergrund besondere Aufmerksamkeit. Hier wird im Detail nachgewiesen, wie die KPD und später die SED im Zusammenspiel mit der Besatzungsmacht - und trotz aller anfänglichen Rücksichtnahmen auf den Viermächte-Status Deutschlands - ein wirklich freies politisches Kräftemessen verhindert haben. Sei es nun mit dem Instrument des Landesblockausschusses, in dem die KPD/SED die anderen Parteien zur Zustimmung der eigenen politischen Weichenstellungen (z.B. Bodenreform) veranlassen konnte, sei es durch die Ausschaltung des Prinzips von Regierung und Opposition. Ein von Anfang an bestehendes Allparteienkabinett verhinderte größere "Abweichungen" und Oppositionsbildungen. Dieses Prinzip wurde auch und gerade nach den nach getrennten Listen abgehaltenen Landtagswahlen von 1946 aufrechterhalten, bei denen die "bürgerlichen" Parteien die absolute Mehrheit auf sich vereinigen konnten. Eigene Vorstöße und Konzepte von LDP und CDU wurden letztlich von der Besatzungsmacht neutralisiert, im Fall der Verfassungsbildung traf dies auch SED-"Abweichler" aus der SPD. Immerhin geriet dadurch mehr "Sand ins Getriebe" als in anderen Landtagen der SBZ. Wie rigoros die "Gleichschaltung" der "bürgerlichen" Parteien und die Durchsetzung von Einheitslistenwahlen 1949/50 betrieben wurde, zeigt die Inkaufnahme des Todes selbst prominenter politischer Opponenten (Franz Schleusener).
Dass es in Sammelbänden zu thematischen Überschneidungen kommt, ist zumeist unvermeidlich und hin und wieder sogar produktiv. Die unterschiedlichen Blickwinkel, mit denen Schultze, Bienert und Weigelt die Besatzungsmacht und deren "Säuberungs"-Praktiken betrachten (sowohl in Richtung Entnazifizierung als auch in Richtung politischer Gegnerbekämpfung) zeigt dies eindrücklich. Misslich ist es jedoch, wenn - wie im Wirtschaftsbereich - teils parallele Darstellungen erfolgen, ja sogar dieselben Tabellen in dem einen (Schultze, 411) wie in dem anderen Beitrag (Bauerkämper, 493f.) veröffentlicht werden. Bedauerlich ist es schließlich, wenn Bauerkämper in seinem sehr breit angelegten Beitrag über Gesellschaft und Kultur für solch wichtige Fragen wie Bildung, Kultur und Kirchen nur wenig Platz eingeräumt worden ist. Gerade ein so komplexes Thema wie "Kirchen und Religion" hätte - angesichts der Tatsache, dass die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg auch Westberlin umfasste - mehr als nur zwei Seiten Umfang [!] verdient.
Trotz der zuletzt genannten Einwürfe ist der Sammelband ein wichtiger Meilenstein der Forschung und ein grundlegendes Kompendium zur Landesgeschichte Brandenburgs in den Entscheidungsjahren 1945 bis 1952. Er ist zugleich ein wichtiger und vor allem differenzierter Beitrag zum Verständnis der Geschichte der SBZ und frühen DDR aus regionaler Perspektive.
Michael C. Bienert / Hermann Wentker (Hgg.): Land zwischen den Zeiten. Brandenburg in der SBZ und frühen DDR (1945-1952) (= Brandenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen; Bd. 7), Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2022, 589 S., eine Kt., 27 Abb., 38 Tbl., ISBN 978-3-8305-3694-9, EUR 75,00
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