Auf internationale Forschungstraditionen und -ansätze zurückgreifend, bietet das von Anne Huijbers herausgegebene Sammelwerk einen neuen, komparativen und kontrastiven Überblick zum Reich und vor allem zum Reichsdiskurs im Italien des 14. und 15. Jahrhunderts und reiht sich somit in die jüngsten Tendenzen der europäischen Geschichtsforschung zum Kaisertum ein. [1] Im vorliegenden Band werden nun die Beiträge veröffentlicht, die auf die internationalen Tagungen zurückgehen, welche im November 2018 am Royal Dutch Institute, am Istituto Italiano Storico per il Medioevo sowie an der École Française in Rom stattfanden.
Der einführende Beitrag von Len Scales geht ausführlich auf den Forschungsstand zu den Beziehungen zwischen Kaisertum und Reichsitalien im Spätmittelalter ein und plädiert für eine Beschäftigung mit den nie unterbrochenen transalpinen Interaktionen im spätmittelalterlichen Kaisertum aus neuen Perspektiven. In der ersten Sektion des Bandes wird die häufig als gegensätzlich dargestellte Beziehung zwischen den Kategorien "Imperium" und "res publica" in Betrachtung gezogen. Die Bedeutung des Begriffs "res publica" in pro-kaiserlichen, zumeist aus den italienischen Kommunen stammenden Quellen des 14. Jahrhunderts wird von Carole Mabboux behandelt (43-68). Die Analyse der vorkommenden Bezüge zur "res publica" sowie der mit diesem Begriff verbundenen Autoritäten ermöglicht eine Erschließung des Einflusses von Cicero und seinem "Tullius" auf das mittelalterliche - nun christlich interpretierte - Konzept des Gemeinwesens. Cola di Rienzos Ideal der "res publica" wird von Anna Modigliani anhand der Analyse der zwischen 1344 und 1347 von ihm verfassten Briefe beleuchtet. Hierbei wird verdeutlicht, wie sich Colas Auffassung von zeitgenössischen Chroniken - wie der Anonimo Romano - distanzierte, indem er die "res publica" nicht als ein alternatives politisches Modell zum Kaisertum sah, und dass der Kontrast zwischen "Imperium" und "res publica" erst aus der Neuzeit stammte (69-88). Der erste Teil schließt mit einem Beitrag von Juan Carlos D'Amico über den Dittamondo, ein im 14. Jahrhundert vom Ghibellinen Fazio degli Uberti verfasstes, unvollendetes Poem über die Geschichte Roms und des Imperiums (89-104). Insbesondere betont D'Amico die im Poem dargestellte ghibellinische Seele Roms und thematisiert die durch Karl IV. enttäuschte Hoffnung einer Wiederaufnahme der kaiserlichen Autorität in Italien (99-102).
Die Haltung der Humanisten und der Juristen zum Kaisertum steht im Mittelpunkt des zweiten Teils des Bandes, welcher vier Beiträge umfasst. Daniela Rando beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit der Rolle der Universitäten bei der Verbreitung kaiserlicher Ideale und beleuchtet hier vor allem den Einfluss der Paduaner Rechtsschule. Insbesondere untersucht Rando das in den Texten von Raffale Fulgosio, Francesco Zabarella und Antonio Roselli formulierte Bild des Kaisertums (107-120) hinsichtlich seiner Rezeption nördlich der Alpen durch Johannes Hinderer - einen Schüler Rosellis - sowie durch den Humanisten Johannes Heller (120-122). Die zeitgenössische Wahrnehmung der kaiserlichen Krönung Sigismunds durch Papst Eugen IV. 1433 wird von Veronika Proske analysiert. Bevorzugte Quellen der Erzählung dieses bedeutsamen Ereignisses sind die von mehreren Humanisten südlich der Alpen verfassten Texte. Durch die Verwendung eines auf das Kaisertum angewandten klassischen Vokabulars erweisen sich die Humanisten hier als treibende Kraft der Bildungsbewegung (129-156). Riccardo Pallotti bietet in seinem Beitrag einen breiten Überblick über die Beziehungen zwischen Kaiser Friedrich III. und Italien: Nach Schilderung des aktuellen Forschungsstands (157-162), betrachtet Pallotti die Reden mehrerer Humanisten anhand der Romreisen des Kaisers und zeigt unter anderem am Beispiel Bernardo Giustinianis überzeugend auf, dass die Vorstellung eines universellen Kaisertums in Italien noch sehr lebendig war (162-178). Den Beitrag beschließt ein ausführlicher Anhang mit einem Handschriftenverzeichnis sowie einer Handschriftenüberlieferung der Humanistenreden für Friedrich III., welche eine unabdingbare Basis für künftige Arbeiten darstellen (179-198).
Im letzten Teil des Bandes werden historiographische Quellen untersucht. Eine häufig von der Forschung vernachlässigte Quellengruppe, die Papst-Kaiser-Chroniken, wird in diesem Rahmen von Heike Johanna Mierau neu bewertet (199-232), indem das Fortbestehen des Ideals eines universellen Charakters des Kaisertums auch auf der Grundlage dieser Texte herausgearbeitet wird. Von einem legitimen Anspruch des Kaisers auf die Herrschaft in Italien gehen auch Giovanni Mansionario in seiner unvollendeten "Ystorie Imperiales" und Benvenuto da Imola im "Libellus Augustalis" aus, wobei letzterer nachweislich Kritik an den Handlungen Karls IV. südlich der Alpen übt. Beide Werke stellt Anne Huijbers im Hinblick auf ihre spätere, sehr unterschiedliche Wahrnehmung dar (233-262). Die Beziehung zwischen Heinrich VII., seiner Ehefrau Margarete von Brabant und dem Literaten Albertino Mussato wird von Rino Modonutti besprochen (263-282). Auch wenn das kaiserliche Ideal bei Mussato nicht angezweifelt wird, werden jedoch einige Kritikpunkte bezüglich der Italienpolitik Heinrichs VII. aufgeführt.
Alexander Lee füllt mit seinem Beitrag eine Forschungslücke, indem er die Wahrnehmung Kaiser Ludwigs des Bayern seitens der Humanisten zwischen 1314 und 1453 in den Blick nimmt (283-324). Als Ausgangspunkt gelten hierbei die "Historiarum ab inclinatione Romanorum imperii decades" von Flavio Biondo. Aus dem Beitrag geht hervor, dass das durch die Sichtweise der Humanisten dargebotene Bild Ludwigs IV. keineswegs monolithisch war, sondern vielmehr die unterschiedlichen Erwartungen, Hoffnungen sowie Enttäuschungen gegenüber dem Kaisertum widerspiegelte.
Die Ergebnisse des Bandes werden von Claudia Märtl zusammengefasst; gleichzeitig wird hier der Weg für weitere Forschungen vorgezeichnet. Die Münchener Historikerin plädiert dafür, sich nicht nur mit den einzelnen Kaisern, sondern auch mit der Idee des Kaisertums im Spätmittelalter und in der Renaissance umfassender zu beschäftigen. Dies soll vor allem - wie im vorliegenden Band - anhand der Betrachtung neuer, bisher vernachlässigter oder noch nicht edierter Quellen erfolgen. Die zwölf Beiträge im von Anne Huijbers herausgegebenen Band eröffnen der Forschung neue Perspektiven auf das Reich, den Kaiser, und die Beziehung zu sowie die Wahrnehmung des Kaisers in Italien - und das primär auf Grundlage des kaiserlichen Diskurses. Durch den Einbezug bestimmter Quellen, wie Reden von aus Italien stammenden Humanisten, Dichtern und Juristen, sowie Chroniken und anderen literarischen Werken, erschließt sich ein umfassenderes Bild auf das in Italien weiterbestehende Ideal des Kaisertums im 14. und 15. Jahrhundert.
Anmerkung:
[1] Vgl. Daniela Rando / Eva Schlotheuber (Hgg.): Carlo IV nell'Italia del Trecento. Il "savio signore" e la riformulazione del potere imperiale, Rom 2022 (Nuovi Studi Storici 126) sowie die im Rahmen des Projektes "Imperialiter" (https://www.efrome.it/imperialiter) entstandenen Sammelbände.
Anne Huijbers (ed.): Emperors and Imperial Discourse in Italy, c.1300-1500. New Perspectives (= Collection de l'École française de Rome; 592), Rom: École française de Rome 2022, 358 S., ISBN 978-2-7283-1563-5, EUR 32,00
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