Ewa Pietrzak hat es sich mit der hier zu besprechenden Studie, welche die aktualisierte Form eines Manuskripts aus den 1990er Jahren darstellt, zur Aufgabe gemacht, die Funktionen der Literatur an den schlesischen Piastenhöfen von Liegnitz und Brieg herauszuarbeiten und zu untersuchen. Das Werk beschränkt sich dabei zunächst im Kern auf den Zeitraum 1609-1675, das heißt vom Beginn der Regierung des Herzogs Johann Christian bis zum Tode Herzog Georg Wilhelms, des letzten Piasten, ohne jedoch gänzlich auf Rückgriffe zu verzichten. Das Buch besteht aus fünf Kapiteln, wobei die ersten vier vor allem dazu dienen, das umfassende fünfte Kapitel zum literarischen Schaffen an den barocken Höfen der Piasten zu kontextualisieren und zu konturieren.
In der Einleitung werden, wie gewohnt, Umfang und Ziele der Arbeit dargelegt. Das zweite Kapitel gibt einen allgemeinen Überblick über die historischen Zusammenhänge zunächst Schlesiens und dann der Dynastie der Piasten von Liegnitz und Brieg. Das dritte Kapitel widmet sich dann den Höfen, wobei sowohl die Hofstruktur anhand von Ämtern als auch die unterschiedlichen Verbindungen zu anderen Institutionen (Stadt, Kirche, Schulen, Sprachgesellschaften) sowie die Hofbibliotheken näher in den Blick genommen werden. Im vierten Kapitel beleuchtet Pietrzak die (hoch)kulturelle Seite des Hofes: Feste, Theater, Musik und Kunst, darunter Architektur. Die den Band prägende Untersuchung der Literatur im höfischen Umfeld macht das fünfte Großkapitel aus, wobei die Verfasserin diese nach Gattungen aufgefächert hat. Herrschaftliche Genealogie und Panegyrik, Tugendliteratur für Fürst und Hofmann, höfische Unterhaltung, Schäferdichtung, religiöses und schließlich fachliches Schrifttum werden hier in einzelnen Unterkapiteln sukzessive auf ihre Funktionen hin analysiert. Eine Zusammenfassung oder ein Fazit werden nicht angeboten, wodurch die einzelnen Analysen gewissermaßen für sich stehen. Es folgen drei Anhänge: eine Aufstellung von Hofämtern und Hofbeamten der Fürsten im 17. Jahrhundert (bei der es zu begrüßen ist, dass die Abgrenzung nicht allzu streng gezogen wurde), eine ausführliche Liste der Literatur, die für Hofangehörige angefertigt beziehungsweise ihnen gewidmet wurde, sowie eine genealogische Tabelle, deren Gestaltung sich nicht zur Gänze erschließt.
Die Stärken der Studie liegen eindeutig in methodischem Ansatz und Materialreichtum. Konsequent fragt die Verfasserin nach den Funktionen, welche die Literatur im Bezugsrahmen des höfischen Systems entfaltete. Wie in der Einleitung angekündigt, werden diese Funktionen auch multiperspektivisch behandelt - bezüglich des Fürsten, des Hofes und des jeweiligen Autors. Das herangezogene Material wertet Pietrzak umfassend aus. Leider führt dies an manchen Stellen gerade in den ersten vier Kapiteln jedoch dazu, dass weite Teile sehr geschwind abgehandelt werden und überblicksartig bleiben. Die für die Fragestellung so wichtige Kontextualisierung ist damit zwar durchaus gegeben, und das hier Dargestellte wird auch später immer wieder referierend aufgegriffen, als Leser hätte man aber wohl zu einigen Punkten gern noch etwas mehr erfahren. Der Rückbezug zu vorherigen Kapiteln zeigt allerdings auch, dass Pietrzak die im Umkreis der Höfe verfasste Literatur regelmäßig auf die historischen Gegebenheiten und auch spezifische Umstände bezieht, wodurch ein sehr plastisches Bild von der Textproduktion entsteht. Als Beispiel sei hier die kurze, aber prägnante Untersuchung zur Leichenpredigt Aulicus Christianus Das ist Christliche anleitung/ wie ein rechtschaffener Christ bey Hofe sein könne des Brieger Hofpredigers Johann Neomenius genannt, deren multifunktionale Aspekte Pietrzak verdeutlicht. Diese Leichenpredigt, die gleichzeitig als Didaxe diente, hatte nämlich nicht nur eine Funktion für die versammelte Hofgesellschaft, sondern auch für den calvinistischen Geistlichen selbst, der möglicherweise "zugleich die eigene Position in der Auseinandersetzung mit den lutherischen Hofangehörigen stärken wollte" (240).
Besonders hervorzuheben sind meines Erachtens die Kapitel zur höfischen Kurzweil und zur Schäferdichtung. So versucht Pietrzak, "die Epigramme Logaus und Scherffers in Hinblick auf ihre virtuelle Verwendung in höfischer Konversation zu lesen" (262); ein durchaus geglückter Versuch, denn anhand ihrer Rezeption wird schlüssig dargelegt, wie sie hätten Anwendung finden können. Aufgrund der Textgestaltung der Jüngst-erbaweten Schäfferey wird eine Funktionsbestimmung vorgenommen, die gerade gegenüber der bisherigen Forschung überzeugt, da sie stets die Situation der Hofgesellschaft als Adressatenkreis mit ihren eigenen Gepflogenheiten im Blick behält. Hier und da merkt man dem Werk zwar an, dass es zwei Jahrzehnte in der Schublade ruhte. So sei dahingestellt, ob man Norbert Elias' Über den Prozeß der Zivilisation noch zur "modernen Soziologie" (302) zählen möchte. An Überzeugungskraft büßt der Band dadurch aber nicht ein, denn mithilfe der Quellen werden bereits als gesichert geltende Annahmen nochmals erhärtet.
Der Text bietet so neben bereits Bekanntem und Bewährtem einige innovative Lesarten; und das bereits bei der Kontextualisierung des eigentlichen Themas. Die für die Vormoderne so wichtigen sozialen Beziehungen und der Status einer Person scheinen entsprechend auch bei der Fruchtbringenden Gesellschaft, der im deutschsprachigen Raum herausragenden Sprachgesellschaft der Zeit, ausschlaggebend für eine Mitgliedschaft gewesen zu sein und nicht die eigentliche Spracharbeit oder, im Falle der Fürsten, politisches Kalkül.
Summa summarum handelt es sich bei dieser Abhandlung um einen bedeutenden Beitrag zur schlesischen und somit ostmitteleuropäischen Geschichte. Das Ineinandergreifen von literarischer Betätigung und Fürstenhof kann als beispielhaft für eine Literaturgeschichte gelten, die die Eigenheiten vormoderner Höfe und höfischer Akteure berücksichtigt. Pietrzak hat mit ihrer Arbeit einen weiteren großen Bereich höfischen Umgangs umfassend erschlossen.
Ewa Pietrzak: Literatur für den Hof. Die Piastenhöfe als kulturelle Zentren Schlesiens im 17. Jahrhundert, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2021, 598 S., ISBN 978-3-8253-4901-1, EUR 78,00
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