Die "Hexenforschung" bleibt ein Thema der Geschichtswissenschaft und der Erinnerungskultur. Mag die Zahl der Publikationen, Ausstellungen und Einweihungen von Denkmälern in den letzten Jahren insgesamt auch eher abgenommen haben, so ist die Beschäftigung mit der mitteleuropäischen Hexenverfolgung doch nie abgerissen. Ungebrochen scheint vor allem das regionale und lokale Interesse, das für die mentalitäts- und sozialhistorisch inspirierten Forschungen der letzten Jahrzehnte stets eine große Rolle gespielt hat. Von Anfang an war ein gesellschaftlicher Impetus spürbar, die Erforschung als Aufarbeitung eines Unrechts zu verstehen, das hauptsächlich an Frauen begangen wurde. Auch diese Triebkraft wirkt kontinuierlich, vielleicht sogar vermehrt, fort.
Allerdings sind die örtlichen und teils außerwissenschaftlichen Interessen, verbunden mit einem häufig primär lokal- bzw. landesgeschichtlichen Zugang, der wissenschaftlichen Reputation nicht unbedingt förderlich. Dementsprechend scheiden sich an diesem Feld die Geister: Die einen umfahren es sozusagen weiträumig als Tummelfeld von Faktensammlern, die dem längst ausgeforschten großen Ganzen nichts Wesentliches mehr hinzufügen; die anderen stehen nicht nur den Wünschen nach Hilfestellung bei der Erinnerungsarbeit offener gegenüber, sie erwarten auch von der Aufhellung des Geschehens in den verschiedenen Herrschaften, Städten und Dörfern mit ihren jeweils konkreten örtlichen und persönlichen Bezügen durchaus noch allgemeine Aufschlüsse für die Geschichte der Hexenverfolgung und das Verständnis vormoderner Gesellschaften.
Anlass des vorliegenden Tagungsbandes war ein von der Stadt Marburg für 2020 angeregtes Themen- und Gedenkjahr, an dem sich unter anderem das Hessische Staatsarchiv Marburg beteiligt hat, das die wesentlichen Quellen verwahrt. Wie der Herausgeber (wissenschaftlicher Archivar dort) im Vorwort erläutert, konnte aufgrund der Coronapandemie nur ein Teil der zahlreichen geplanten Aktionen stattfinden. Das Staatsarchiv steuerte eine Ausstellung bei und organisierte in Kooperation mit der Philipps-Universität eine Tagung, die im Januar 2021 als Online-Veranstaltung nachgeholt wurde. Die meisten der gehaltenen Vorträge sind in diesem Band abgedruckt.
Den Anfang des "regionalen und interdisziplinären Vergleichs" macht Ronald Füssel mit einer pointierten und kenntnisreichen Einführung in das Thema "Hexenglaube und Hexenverfolgung". Zwei fundierte Regionalstudien zum Stift Fulda 1600-1606 (Berthold Jäger) und zu den späten Würzburger Verfolgungen von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1769 (Robert Meier) schließen sich an. Der Strafrechtler Jan Zopfs betrachtet die Marburger Hexenprozesse anhand von Spees "cautio criminalis", wobei er die kritisierten Verfahren im Wesentlichen wiedererkennt, nicht jedoch bereits Spuren einer Spee-Rezeption. Es folgen ein kurzer "kriminalsoziologischer Blick auf das Hexen-Machen" anhand von Quellen des Patrimonialgerichts Fürstenberg im Paderborner Land (Sarah Masiak) und eine theologische Betrachtung zum Hexen- und Magiediskurs, auch mit Blick auf die Gegenwart (David Johannes Olszynski). Den scheinbar naheliegenden "geschlechterbezogenen Aspekten der Hexenprozesse" widmet Heide Wunder einen grundlegenden Überblick. Am Schluss stehen noch einmal Perspektiven außerhalb der Geschichtswissenschaft: Dem Thema "Hexentränke und Hexensalben" (soweit als Mittel magischer Praktiken tatsächlich eingesetzt und kein Phantasievorwurf!) nähert sich der Pharmaziehistoriker Christoph Friedrich, und für den zumal in einer hessischen Publikation gern gesehenen Beitrag "Hexen in den Märchen der Brüder Grimm" konnte der Erzählforscher Heinz Rölleke gewonnen werden.
Der räumliche Fokus fällt etwas diffus aus: Leider wurde ausgerechnet der für den Marburger Archivsprengel zentrale Vortrag zur Landgrafschaft Hessen-Kassel nicht verschriftlicht (Vorwort, VI). Vermisst werden auch Literaturhinweise, die weitere Ergebnisse des Themen- und Gedenkjahrs festgehalten hätten (unter anderem die Monographie von Ronald Füssel über die Verfolgungen in Stadt und Amt Marburg [1]). Zu begrüßen ist die Bemühung um Vielfalt der Perspektiven und Ansätze aus verschiedenen Disziplinen: So werden unterschiedliche Sichtweisen eingebracht, auch wenn diese manchmal etwas für sich stehen bleiben. Jedenfalls ist dieser Tagungsband eine willkommene Publikation, die das Interesse des "zuständigen" Staatsarchivs an der wissenschaftlichen und öffentlichen Aufarbeitung dieses sensiblen Themas nachdrücklich belegt. Nach dem Eindruck des Rezensenten liefern die Beiträge eher Argumente für diejenigen, die sich von der Aufarbeitung lokaler und regionaler Zusammenhänge weiterbringende Erkenntnisse erhoffen.
Anmerkung:
[1] Ronald Füssel: Gefoltert, gestanden, zu Marburg verbrannt. Die Marburger Hexenprozesse. Marburg 2020 (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur, 113).
Karl Murk (Hg.): Zauberei ist deß Teufels selbs eigen Werk. Hexenglaube und Hexenverfolgung im regionalen und interdisziplinären Vergleich (= Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg; Bd. 40), Marburg: Hessisches Staatsarchiv Marburg 2022, 194 S., 15 s/w-Abb., ISBN 978-3-88964-225-7, EUR 24,00
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