Anzuzeigen ist ein Sammelband, der sich dem lange von der Forschung vernachlässigten, seit etwa eineinhalb Jahrzehnten aber intensiv erforschten Stellenwert von Frauen in der frühneuzeitlichen Diplomatie widmet. Angesichts dessen, dass mithin durchaus so etwas wie eine (zugegebenermaßen noch recht kurze) Forschungsgeschichte existiert, ist es umso irritierender, dass die Einleitung (Roberta Anderson und Suna Suner), nachdem sie die Lesenden darüber informiert hat, dass der Band auf eine Tagung von 2016 zurückgeht, statt einer wirklichen Einordnung in die Forschungsdiskussion lediglich vier Titel zitiert, die für unterschiedliche Forschungsansätze stehen, um sich der Thematik zu nähern. Im Übrigen beschränkt sich die Einleitung auf Inhaltsangaben der einzelnen Beiträge. Zuvor wird man in einem an dem Titelbild aufgehängten "Prolog" (Laura Oliván Santaliestra) noch über die Vorgeschichte der Tagung informiert.
Die konzeptionellen Schwächen des Bandes betreffen auch den Zuschnitt der vier Sektionen. Eigentlich halten nur die erste und die dritte inhaltlich das, was ihre Überschriften versprechen. Von diesen ist die erste ("Women as diplomatic actors") inhaltlich sehr weit gespannt. Zwei Beiträge schildern, welche Rolle Frauen in den Vorstellungen und den Netzwerken des spanischen Botschafters Juan Antonio de Vera am savoyischen Hof (María Concepción Gutiérrez Redondo) sowie des lucchesischen Gesandten in Madrid (Annalisa Biagianti) spielten. Anschließend wird die Rolle von Frauen - neben der Königin vor allem der Botschaftergemahlin - in der französischen Diplomatie des frühen 17. Jahrhunderts beleuchtet (Camille Desenclos). Meines Erachtens wäre dieser Beitrag besser in der dritten Sektion, die sich genau der Rolle der Botschafterinnen - also der Gemahlinnen der Botschafter - widmet, untergebracht gewesen. Die erste Sektion schließt mit Beobachtungen zur Rolle von Frauen in den Beziehungen Ludwigs XIV. zu den Gonzaga-Nevers, wobei diesmal in erster Linie die weiblichen Dynastiemitglieder berücksichtigt werden (John Condren).
Die dritte Sektion ("The Birth of the Ambassadress") ist ohne Zweifel die geschlossenste des ganzen Bandes. Sie beginnt mit allgemeinen Überlegungen zur Rolle der Botschafterin (Laura Oliván Santaliestra), bevor Wolfram Aichinger sehr unterschiedliche Quellen - die Tagebücher des Grafen Pötting und die Dramen Calderóns - auf Aussagen zu Botschafterehepaaren befragt. Es folgen vier Fallstudien zu den Gemahlinnen des russischen Botschafters Graf Andrei Matveev (Ekaterina Domnina), zur Gräfin Ernestine Aloysia Durazzo, geborene Weißenwolff (Armando Fabio Ivaldi), zur spanischen Botschafterin in Rom Leonor de Melo (David García Cueto) und zu Gräfin Maria Ernestine Harrach (Pia Wallnig).
Ich habe die Beiträge dieser Sektionen insgesamt mit Gewinn gelesen und es gerade bei der dritten Sektion bedauert, dass ihre relative Geschlossenheit nicht zu übergreifenden Reflexionen in der Einleitung genutzt wurde.
Die zweite Sektion ("Diplomacy of Queens") hält nach meinem Verständnis, wie bereits angedeutet, nicht, was ihre Überschrift verspricht. Das gilt nicht für den Beitrag von Tracey A. Sowerby zu Sir Henry Unton, einem Gesandten Elisabeths I. Da dieser Aufsatz aber dafür plädiert, auch dem Stellenwert von Männlichkeit in der Diplomatie größere Aufmerksamkeit zu schenken, hätte ich ihn eher in der vierten Sektion verortet. Der zweite Aufsatz der Sektion beleuchtet die Verehelichung Elisabeth Stuarts mit Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (Roberta Anderson) und ist an sich durchaus lesenswert. Von einer "Diplomacy of Queens" ist hier jedoch kaum die Rede. Allenfalls taucht gelegentlich Königin Anna wie eine Komparsin auf der Bühne auf. Einen sehr umfangreichen Text (149-196) hat Rocío Martínez López beigesteuert. Sie lenkt zum einen den Blick darauf, dass dynastische Krisen auch eine weibliche Seite haben konnten, wenn nämlich zu verheiratende oder zu heiratende Frauen fehlten. Diesen Perspektivwechsel finde ich durchaus anregend und potentiell weiterführend. Genauer zu erörtern wäre dagegen die These, dass ersatzweise an anderen Höfen platzierte Frauen aus verwandten Dynastien schlechter zu kontrollieren gewesen seien als "eigene" Töchter oder Schwestern. Diese These sucht die Autorin anhand der spanischen Königin Maria Anna von Pfalz-Neuburg zu belegen, die in Ermangelung einer österreichischen Erzherzogin auf Initiative des Wiener Hofs mit Karl II. von Spanien verheiratet wurde. Hier könnte man ihr freilich entgegnen, dass es eine ganze Reihe von Faktoren gab, die die Handlungsspielräume und die konkreten Aktivitäten regierender Fürstinnen bestimmten und dass diese allgemein je länger je weniger als "Marionetten" ihrer Väter, Brüder oder Neffen agierten, dass also nicht bloß "Ersatzbräute" wie Maria Anna über eine eigene "agency" verfügten.
Eine wirkliche "Mogelpackung" ist für mich Sektion IV ("Stages for male diplomacy"). Der Aspekt der Maskulinität wird in dem Beitrag von Laura Mesotten zur Kleidung des französischen Botschafters in Venedig François de Noailles durchaus thematisiert. In den Aufsätzen zu osmanischen Gesandtschaften in Madrid 1649/50 (Luis Tercero Casado) und in Paris 1797-1802 (Osman Nihat Bişgin) ist der Gender-Aspekt aber kaum präsent, sieht man einmal davon ab, dass neben vielen anderen kulturellen Differenzen auch unterschiedliche Rollen von Frauen und Männern gestreift werden.
Der Band wird ergänzt durch ein Personen- und ein Ortsregister sowie biographische Angaben zu den Autorinnen und Autoren. Er ist reich bebildert und insgesamt ansprechend gestaltet. Diese Pluspunkte vermögen aus meiner Sicht die konzeptionellen Schwächen aber nicht auszugleichen.
Roberta Anderson / Laura Oliván Santaliestra / Suna Suner (eds.): Gender and Diplomacy. Women and Men in European Embassies from the 15th to the 18th Century (= Diplomatica; 2), Wien: Hollitzer 2021, XIX + 475 S., ISBN 978-3-99012-834-3, EUR 75,00
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