Das anzuzeigende Buch von Fabio Guidetti, welches der Rezensent bereits in Pisa vorstellen und mit dem Autor diskutieren durfte, verdient weite Beachtung - zumal es, anders als der Titel vermuten lassen könnte, nicht direkt um die Zeremonialwagen und Fahrwerke geht, sondern die veicoli selbst gleichsam als Vehikel für analytische Tiefenbohrungen benutzt werden: Es geht Guidetti nicht um unterschiedliche Formen, Größen und Designs der Kutschen und Wagen [1], sondern um das Privileg ihrer Nutzung und damit um Sichtbarkeit und Distinktion in Rom - nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass auch mächtige Männer der Elite, vom Zug der Triumphatoren einmal abgesehen, sich meist mit der Sänfte oder zu Fuß fortbewegten.
Im Mittelpunkt des ersten Komplexes der Arbeit (Kap. 1-3) stehen die Matronen, die angeblich das Privileg, sich mit Hilfe von veicoli in der Stadt Rom fortbewegen zu dürfen, nach dem Sieg über Veii 396 v. Chr. als Dank für ihre Abgabe von Schmuck nach Delphi erhalten hatten, was Guidetti als nachträgliche Erklärung einer älteren Praxis ansieht (39) und entsprechend früher ansetzt. Auf der einen Seite steht das positive Beispiel der Tanaquil, die ihrem Mann (L. Tarquinius Priscus) und den Nachkommen aus einem Wagen heraus die Macht und Krone Roms vorhersagt. Auf der anderen Seite steht das negative Beispiel der Tullia, die nicht nur - zu Hause - ihren Ehemann anstiftet, sich den Thron anzueignen, sondern ihn später auch in der öffentlich-politischen Sphäre in Form eines perlokutionären Sprechakts als König adressiert - aus einem Wagen heraus, mit dem sie durch die Stadt gefahren war und so ihren Aktionsradius von der domus auf das Forum ausgedehnt hatte. Um die etruskische Frühzeit geht es Guidetti mit diesen Möglichkeiten legitimen und illegitimen Machtübergangs gleichwohl nicht, sondern um deren Darstellung bei Livius, in dessen Zeit Frauen und Wagen noch immer politisch verknüpft waren.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit der lex Oppia, einem Luxusgesetz von 215 v. Chr., deren Inhalt wir freilich nur aus den Diskussionen um ihre Aufhebung 20 Jahre später kennen. Guidetti wendet sich gegen Deutungen, die darin eine Einschärfung der Moral sehen, und möchte das Gesetz eher als "una sorta di obbligo di tessaurizzazione" (64) zum Schutz der Familienvermögen in der nach den verlorenen Schlachten von 217 und 216 stark dezimierten Führungsschicht auffassen. Konkret sei dabei an die Tiere, die die veicoli zögen, ebenso zu denken wie an die kostbaren Stoffe, mit denen diese bespannt gewesen seien; alles dies sollte gewährleisten, dass sämtliche Familien weiterhin an den von Einschränkungen ausgenommenen Feierlichkeiten sacrorumque publicorum causa teilnehmen konnten. Zudem wird auch diese Episode als Spiegelung zeitgenössischer Diskurse gelesen: konkret der Proteste von 43/42, als die Triumvirn beschlossen, das Vermögen von Frauen zu besteuern (78-104).
Das dritte Kapitel offeriert anhand einiger Kernpassagen eine Chronologie der Benutzung von veicoli. Den Anfang macht eine Passage bei Polybios, aus der Guidetti einen 'normalen' Gebrauch im Rom der 160er Jahre herausliest, da jener offensichtlich kein Bedürfnis verspürte, diesen seinen (griechischen) Lesern als besonders herauszustellen. In diese Zeit fällt auch das Bemühen des Scipio Aemilianus, durch großzügige finanzielle Unterstützung der Emilia und Papiria zu gewährleisten, dass diese eine angemessene Stellung unter den römischen Matronen einnahmen (140). Die zweite wichtige Quelle ist die Tabula Heracleensis, die ein allgemeines Verbot von Wagen tagsüber (mit nur sehr wenigen Ausnahmen, wie zum Tempelbau) enthält. Unklar bleibt hier die genaue Datierung, denn auch wenn man mit einiger Sicherheit von den Jahren 85/84 für die Inschrift ausgehen kann, muss offen bleiben, wann eine entsprechende Vorschrift bereits in Rom bestanden haben könnte, die dann auf lokaler Ebene im municipium übernommen wurde. Als drittes Beispiel folgen Regelungen des Kaisers Claudius, der verfügte, dass ab einem gewissen Punkt vom Wagen abzusteigen war und dieser nur noch gezogen bzw. die Zugtiere geführt, jedenfalls nicht mehr 'gefahren' werden durften. Die abstrakte Regelung wird von Guidetti mit einer Episode bei Galen verknüpft, der einen Sklaven nach längerer medizinischer Behandlung seinem Eigentümer dort zurückgeben will, wo man 'vor der Stadt von den Wägen abzusteigen habe' (174-176); vergegenwärtigt man sich die Beschwerden Juvenals über Schlafmangel aufgrund des nächtlichen Straßenverkehrs (sat. 3,235-240), leuchten Sinn und Zweck eines solches antiken 'Park&Ride' sofort ein, wiewohl im 4. Jh. n. Chr. Fahrzeuge, vor allem die sog. Sesselwagen (194), so ubiquitär wurden, dass veicoli als Analysekategorie nicht mehr vergleichbar funktionieren.
Mit Kapitel 4 beginnt ein verwandtes, aber eigenständiges Thema, wenn es um den Transport von Götterbildern einerseits und 'Gottheiten' andererseits während der pompae circenses geht. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um Statuen der Götter, die im Verhältnis zu denjenigen in den Tempeln wohl etwas kleiner und vermutlich aus Holz waren und für alle sichtbar auf den Schultern von Trägern transportiert wurden. Unter der zweiten Kategorie muss man sich eine Art Fetisch vorstellen, der durch seitliche Stoffbahnen vor Blicken geschützt in sog. tensae transportiert wurde und die tatsächliche Anwesenheit der jeweiligen Gottheit bei den Spielen verbürgte. Die Differenz erlaubt es Guidetti mit Hilfe einer genauen Lektüre von Cass. Dio (43,45,2) die vielen Ehrungen Caesars mit Statuen und Standbildern von denen der Vergöttlichung zu trennen, da eben erst diese die Konstruktion einer entsprechenden tensa zum Transport eines (ebenfalls herzustellenden Fetisch) nötig machte (228-233). Die hier eher angedeutete These, dass es solcherart die Vergöttlichung war, die zur Ermordung Caesars führte, wünschte man sich noch einmal in einem Aufsatz vertieft und ausgebaut. Die für Anwesenden (wie das politische System) irritierende multiple Präsenz Caesars durch seine Person und Kultstatue dürfte nach Guidetti jedenfalls dazu geführt haben, dass alle weiteren Vergöttlichungen erst nach dem Tod des Kaisers stattfanden. Für Guidetti ist dies auch ein Argument, dass sich der Prinzipat erst peu à peu entwickelte, inklusive der vorher diskutierten Privilegien für Livia und Iulia Augusta ein carpentum zu benutzen, bis sich gewisse Muster herauskristallisierten, wie der Gebrauch der biga für divae und der quadriga für divi.
Herauszustellen ist, dass Guidetti sich stets dafür interessiert, welchen Geltungsbereich die von ihm rekonstruierten Normen praktisch hatten - dies bedeutet Differenzierungen zwischen der Stadt Rom und ihrem Umland, also Fragen nach einer Stadtgrenze und dem pomerium, ebenso wie zwischen 'Italien' und den vielen hellenistischen Städten im Imperium Romanum, in denen ganz andere, großzügigere Regelungen bezüglich der Benutzung von veicoli auszumachen seien (183-186). Reicht das Buch damit über die urbs hinaus, reiht sich die Studie gleichwohl in Arbeiten zur politischen Kultur der römischen Republik ein, die ebenfalls die Konkurrenz der nobiles um Sichtbarkeit mit der Rolle der pompae als integrationsstiftende Rituale hervorgehoben haben. Auch bietet der Fokus der ersten Kapitel auf die Matronen eine willkommene Ergänzung jüngerer Studien zur politischen Partizipation von Frauen in Rom (etwa von Harders, Rosillo-López, Rohr Vio); bezüglich der Historiographie der Frühzeit passen Guidetti Thesen ferner gut zur von Fögen betonten Rolle von Frauen bei Verfassungsumbrüchen. [2] Weiter zu untersuchen wäre nur noch die jeweilige individuelle agency der Akteurinnen, die manchmal, wie bei Scipio Aemilianus und Kaiser Claudius stark als Mittel zum männlichen Zweck erscheinen, ob zur Sichtbarkeit der domus oder als Kompensation fehlender direkter Verwandtschaft zum ersten princeps.
Insgesamt kann das Buch als Studie zur antiken Historiographie gelesen werden, was zu Guidettis vorbildlicher Quellenkritik gut passt. Er diskutiert, welche ältere römische Weihung in Delphi Plutarch vielleicht noch hat sehen können (45), ebenso wie die Frage, ob Appian Zugang hatte zur veröffentlichten Rede der Hortensia 44/43 (85). Wenn er Cassius Dio für den gleichen Konflikt verwendet, wird überlegt, was der griechisch schreibende Autor vielleicht im Kopf (Aristophanes' Lysistrata) und wen er wohl vor Augen (Iulia Domna aus der Severerdynastie) hatte (100f.); anders bei den Ehrungen Caesars, welche Dio im Senatsarchiv hat einsehen können. Das Kapitel zur lex Oppia ist als Beitrag zu den Livius-Studien der letzten Jahre (von Pausch bis Keegan) zu lesen, die Livius stärker als Historiker etablieren. Nach Guidetti benutzt Livius seinen Einschub gezielt, um sich sowohl von einer Historiographie griechischen Typus (wie Cato oder Sallust) als auch von einer reinen annalistischen Herangehensweise (wie Valerius Antias) zu distanzieren und stattdessen einen Mittelweg einzuschlagen, der chronologisch fortlaufend dennoch Platz für die Frage nach Ursachen lässt - etwa für die beginnende Dekadenz nach Sieg und Triumph des Manlius Vulso 187. Numismatische und epigraphische Quellen werden nicht bloß ergänzend herangezogen, sondern ihrerseits kritisch überprüft und neu interpretiert; so weicht Guidetti basierend auf eigenen Vorarbeiten von der letzten Edition der Tabula Heracleensis ab, kehrt bei einigen Münzbildern zur Interpretation des Antiquars Fulvio Orsini von 1577 zurück und baut generell seine 27 Abbildungen, auch von etruskischen Urnen, Öllampen und Sarkophagreliefs so souverän ein, wie es bei einem Schüler Paul Zankers auch nicht überrascht.
Mit seiner Studie zu veicoli ceremoniali bietet Giudetti methodisch ein Paradebeispiel gelungener Quellenkritik und inhaltlich vielfache Anregungen für alle, die an Themen wie Distinktion und Luxusgesetze, Reichweite von Regelungen, Durchdringung der römischen Republik durch Prozessionen oder 'Raum' im mehrfachen Sinn für Frauen interessiert sind: Das Buch bietet also genau das, was der wichtige Untertitel der Buches anzeigt, wenn nicht noch mehr, da zumindest im deutschen Sprachgebrauch politische Kulturgeschichte neben storia sociale noch eigens zu erwähnen ist, von Religions- und Rechtsgeschichte ganz zu schweigen. Günstig bepreist und als ebook kostenlos zugänglich [3], ist den Thesen und Beobachtungen von Guidetti daher mit Nachdruck die gebührende Aufmerksamkeit zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] Wer sich für technische Details und Abbildungen der verschiedenen Modelle interessiert, mag einen Blick in die digitalisierte Studie von Johann Christian Ginzrot (Die Wägen und Fahrwerke der Griechen und Römer und anderer alten Völker : nebst der Bespannung, Zäumung und Verzierung ihrer Zug- Reit- und Last-Thiere) von 1817 werfen: https://archive.org/details/diewagenundfahrw01ginz/page/n226/mode/1up.
[2] Vgl. Marie Theres Fögen: Römische Rechtsgeschichten. Über Ursprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen 2002.
[3] https://www.pisauniversitypress.it/scheda-libro/fabio-guidetti/veicoli-cerimoniali-nellantica-roma-9788833397030-576059.html
Fabio Guidetti: Veicoli cerimoniali nell'antica Roma. Contributo a una storia sociale dello spazio urbano (= Nuova Biblioteca di Studi Classici e Orientali; 6), Pisa: Pisa University Press 2022, 370 S., ISBN 978-88-3339-703-0, EUR 22,00
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