sehepunkte 25 (2025), Nr. 1

Andreas Rutz / Joachim Schneider / Marius Winzeler (Hgg.): Kurfürst Johann Georg I. und der Dreißigjährige Krieg in Sachsen

Die meisten Aufsätze des Tagungsbandes sind landesgeschichtlichen Zuschnitts; die für den Kriegsverlauf so wichtige Außenpolitik Johann Georgs thematisieren lediglich vier von 26 Beiträgen. So immerhin schon die Einleitung, die sich, alles in allem ablehnend und auch etwas süffisant ("gewohnt wortgewaltig und zuspitzend", "mit Verweis auf zeitgenössische Quellen und darin schwelgend": 20), mit einem Lebensbild Johann Georgs und zwei eher analytisch angelegten, zu kritischen Summen kommenden Studien aus der Hand des Rezensenten auseinandersetzt. Ein positives Gegenbild wird in diesen hinführenden Passagen nicht greifbar, aber das muss man von einer Einleitung auch nicht verlangen. Das "Resümee" widmet insgesamt knapp vier Seiten der kurfürstlichen Reichspolitik. Der Autor zitiert, wohl zustimmend, ein "Diktum" des Rezensenten, "demzufolge Johann Georg stets 'als Kurfürst' und nicht 'als Protestant' agiert habe" (352). Für zielführend hält das Resümee die kursächsische Außenpolitik nicht: "Mit dem Scheitern des Prager Friedens war auch Kursachsens Versuch gescheitert, den Krieg im eigenen Sinne zu gestalten. In den späten 1630er Jahren geriet Kursachsen militärisch immer weiter in die Defensive, das eigene Territorium wurde zum 'Kriegstheater'. Der Waffenstillstand von Kötzschenbroda im September 1645 besiegelte dieses Scheitern" (345). Es ist die Rede von einer "erstarrten Politik in Dresden" - "allenthalben enttäuschte Erwartungen" (353).

Auf eine ausführlichere Analyse der Rolle Johann Georgs im "Kriegstheater" stößt der Leser unter der Überschrift "Religion und Politik". Kritische Einschätzungen überwiegen: "Ob Johann Georg gesehen hat, dass seine Politik mitverantwortlich war für den kaiserlich-katholischen Triumph [...]? Respekt hat er sich durch seine Haltung nicht erworben, auch nicht auf kaiserlich-katholischer Seite" (55). Abschließend lesen wir: "Betont ein Teil der Literatur, für den die Namen Johannes Burkhardt und Ralf-Peter Fuchs stehen können, die Friedens- und Ausgleichsbemühungen des Kurfürsten, sieht ein anderer Teil - hier ist etwa Axel Gotthard zu nennen - die Leistungen Johann Georgs deutlich kritischer [...] Der vorliegende Beitrag [...] sieht [...] eher die kritische Sichtweise bestätigt" (61).

Autoren, die der Reichspolitik Johann Georgs Positives abgewinnen konnten (neben Burkhardt und Fuchs sollte man Frank Müller nennen), appellierten daran, sie an jenen Zielen zu bemessen, die sich der Kurfürst selbst setzte, nicht an Idealvorstellungen späterer Historiker. Freilich erreichte Johann Georg seine politischen Ziele eben nicht, das zeigt auch eine aufschlussreiche Studie im Tagungsband zur Rolle der kursächsischen Gesandten in Westfalen. Sie paraphrasiert einleitend einige Urteile des Rezensenten, so die Einschätzung, dass "die vermeintliche kursächsische Neutralität" während der meisten Kriegsjahre "einer pro-kaiserlichen Haltung gleichgekommen sei", oder, zitierend: "Reichs- und Kaisertreue waren deckungsgleich" (133). Die Autorin vermag das zu untermauern, so verherrlicht die kursächsische Hauptinstruktion für die Friedensverhandlungen den Kaiser mehrfach als das "höchste haubt der Christenheit", sie beschwört die "Harmoni vnd heilsame Verfaßung zwischen dem Römischen Keyser vnd denen ReichsStänden". Weil sie das Direktorium über das Corpus Evangelicorum nicht übernehmen, ja, nicht einmal an dessen Beratungen teilnehmen durften, waren die Dresdner Gesandten in Westfalen vollkommen isoliert, sie konnten deshalb dem so verehrten Kaiser gar nicht hilfreich sein, beispielsweise, indem sie mäßigend auf die Protestanten einwirkten. Johann Georg verschloss die Augen davor, dass sich "das Machtgefüge [...] so grundlegend geändert hatte, dass die politischen Leitlinien - ein auf Kaisertreue basierender Reichspatriotismus - nicht länger tragbar waren und letztlich zur politischen Isolation Kursachsens [...] führten" (136). Und: "Die meisten Punkte, die dem Kurfürsten am Herzen gelegen hatten [...], fielen im Westfälischen Friedensschluss nicht in seinem Sinne aus" (142).

Wir stoßen in dem Band auch in Texten, die nicht die Dresdner Reichspolitik analysieren, auf kritische Stimmen. So heißt es in einem dem schwedischen Blick auf Kursachsen gewidmeten Beitrag: "Der schwedische Reichskanzler charakterisierte Johann Georg als trinkfreudig und einen mittelmäßigen Herrscher, der [...] unzuverlässig war [...] und leichtfertig alles gefährdete" (157). Der böhmische Exulant Václac Nosidlo zeichnete "das Bild eines unkontrollierten Trinkers voller falscher Frömmigkeit" (308). Die leitende Hofbehörde geriet "in einen schweren Kollaps" (48), weil der Kurfürst seit 1636 niemanden mehr fand, der für ihn als Geheimer Rat arbeiten wollte. Der Schuldenstand erhöhte sich unter Johann Georg immer bedrohlicher, im letzten Kriegsjahrzehnt stellte sich die "immer weiter verschärfende Finanznot [...] als verheerend heraus" (129), die "Schuldenspirale der Landesfinanzen" (334) benahm dem Kurfürsten jeglichen Handlungsspielraum, auch beim zögerlichen Wiederaufbau nach Kriegsende.

Die vielen Studien aus kunsthistorischer Warte leben vom reichen Bildmaterial, das sie kommentieren und interpretieren, das ist hier nicht resümierbar. Mehrere Beiträge stellen Porträts des Kurfürsten bzw. seiner Familie vor; "die Qualität ist heterogen, die Künstler sind nur teilweise bekannt", es fehlten dem Kurfürsten "die Verbindungen zu den westeuropäischen Kunstzentren" (27). Andere Studien inspizieren die Bautätigkeit im fraglichen Zeitraum (lässt "kaum [...] eine innovative Entwicklung erkennen", "erhebliche Reduktion in Umfang und Aufwand", im letzten Kriegsjahrzehnt Stillstand: 257). Der "Landschaftsmantel" Johann Georgs, der das Elbtal sowie Ansichten von Dresden, Altendresden und Meißen zeigt, demonstrierte, dass nicht etwa die Landstände das Land waren, dass vielmehr der Herrscher das Kurfürstentum verkörperte. Dass der Friedenspreis der "Oper" (so wird sie, ohne Begriffsdiskussion, in einem Beitrag über "Musik und Theater" bei Hofe charakterisiert; nicht alle Musikwissenschaftler gönnen der Komposition diesen Ehrentitel) "Dafne" mit einem Libretto aus der Hand von Martin Opitz "eine unmissverständliche Zustimmung für die Politik des Kurfürsten seit 1619/20" (232) zu signalisieren scheint, könnte verwundern, denn in anderen Texten von Opitz finden wir ja geradezu militante Reime: Die (religiöse, politische) "Freyheit [...] fo[r]dert [!] Widerstand/ Ihr Schutz, ihr Leben ist der Degen in der Hand./ Sie trinckt nicht Mutter-Milch; Blut, Blut muß [!] sie ernehren;/ Nicht Heulen, nicht Geschrey, nicht weiche Kinder-Zähren:/ Die Faust gehört darzu: Gott steht demselben bey/ Der erstlich ihn ersucht, und wehrt sich dann auch frey." An anderer Stelle lechzt der gar nicht zartbesaitete Lyriker nach "der Feinde rothem Blut", er ruft seinen (evangelischen) Lesern zu: "und schlagt mit Freuden drein"! Wie sich solche Gedichtzeilen zum Grundtenor der "Dafne" fügen, müssten Philologen klären; vermutlich übersetzte Opitz das ihm vom Komponisten übersandte italienische Libretto einfach möglichst wortgetreu, ohne eigene dichterische Ambitionen. Ästhetisch ist der gut zwei Kilo schwere Prachtband sehr ansprechend, den Leser verwöhnen bestes Papier und zahlreiche farbige Abbildungen.

Rezension über:

Andreas Rutz / Joachim Schneider / Marius Winzeler (Hgg.): Kurfürst Johann Georg I. und der Dreißigjährige Krieg in Sachsen (= Spurensuche. Geschichte und Kultur Sachsens; Sonderband 2), Dresden: Sandstein Verlag 2024, 376 S., 160 meist farbige Abb., ISBN 978-3-95498-802-0, EUR 58,00

Rezension von:
Axel Gotthard
Institut für Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg
Empfohlene Zitierweise:
Axel Gotthard: Rezension von: Andreas Rutz / Joachim Schneider / Marius Winzeler (Hgg.): Kurfürst Johann Georg I. und der Dreißigjährige Krieg in Sachsen, Dresden: Sandstein Verlag 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 1 [15.01.2025], URL: https://www.sehepunkte.de/2025/01/39552.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.