Mit der Jagd nimmt sich Maurice Saß' Monographie eines Themas an, das in den Künsten vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert verbreitet war wie kaum ein anderes. Diese Verbreitung rührte in erster Linie daher, dass die Jagd in dieser Zeit ein Privileg des Adels war, sich aber nicht nur darum ideal zur Repräsentation des adligen Status eignete, sondern auch, weil das Jagen selbst nicht nur ein Vergnügen war, sondern herrschaftliches Handeln symbolisierte: Der erfolgreiche Jäger kennt sein Revier wie der gute Herrscher sein Territorium, im geschickt herbeigeführten Tod der Beute zeichnet sich in ähnlichem Maße ein Triumph über die 'wilde' Natur ab wie die Identifikation mit mythischen Jägern die Absicherung des Herrschaftsraums impliziert; nicht zuletzt galt die Jagd schon in der Antike als Vorschule des Krieges, weil sich in ihr Kaltblütigkeit und Koordinationsvermögen üben lassen. Aus diesen und weiteren Gründen gaben Adlige in ganz Europa eine Vielzahl von Kunstwerken in Auftrag, die sie als Jagende, in Jagdpartien, ihre Jagdgründe, Jagderfolge, mythische Vorbilder und nicht zuletzt die Hunde, Pferde und Falken zeigen, die zu tierlichen Jagdgefährten abgerichtet waren. Als sich im 19. Jahrhundert eine Liberalisierung des Jagdrechts vollzog, eiferten Bürgerliche dem adligen Vorbild nach. In der Beobachtung, dass es Menschen in einen ganz eigenen Eifer versetzen kann, Lebewesen zu töten, gründet eine Kontroverse, die die meisten aktuellen Debatten über die Jagd prägt. Es erstaunt in Hinsicht auf die schiere Menge von Kunstwerken, die mit der Jagd zu tun haben, dass es zwar eine Vielzahl von Ausstellungen zum Thema gab und gibt, die diese Kunstwerke zumeist in kulturhistorischem Kontext präsentieren, aber verhältnismäßig wenige Versuche von Überblicksdarstellungen; zu diesen zählen etwa Arnout Balis' Band zu Rubens' Jagdszenen im Corpus Rubenianum oder Heiko Laß' Untersuchungen zu Jagdschlössern des 17. und 18. Jahrhunderts. [1]
Einen systematischen Überblick über die Jagd im Medium von Malerei und Graphik maßt sich auch Saß nicht an. Ihm geht es vielmehr um die im Untertitel genannte "andere Geschichte der Mimesis". Diese schreibt er zum einen anhand der These, dass die Jagd betreffende und künstlerische Praktiken beachtliche Überschneidungen aufweisen, wenn es um die Erschließung und 'Meisterung' der Natur geht. Zum anderen schlägt er vor, dass die komplementäre Seite der Mimesis als kreativem Handeln darin besteht, dass sie ihren Objekten den Tod zu bringen vermag. Die fortwährende Brisanz dieser Argumente besteht darin, dass sie postulieren, dass Jagd und Kunst ähnlich fundamentale Einflüsse auf humanökologische Vorstellungen und Ideale ausübten und das Handeln des Menschen mit und an der Natur im Sinne einer "usurpatorischen Mimesis" geprägt haben (535).
Saß führt diese Gedanken zum einen an Bildern aus, die die Jagd zum Gegenstand haben beziehungsweise nur unter der Bedingung entstehen konnten, dass vorher gejagt und getötet wurde, nämlich Landschaften mit Jagenden, Jagdstilleben, Tierporträts und -studien sowie (Selbst)Porträts der Jagenden. Er beschränkt sich dabei auf die Medien von Malerei und Graphik sowie früher Fotografie. Zum anderen nimmt er auch Bilder und bildhafte Objekte in den Blick, die für die Jagd hergestellt bzw. aus der Jagd heraus entstanden sind, darunter gemalte Tarnvorrichtungen, Tierattrappen, Geweihe und (weitere) Trophäen; nicht zuletzt werden manche Jagdzüge selbst als Spektakel beschrieben. Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt auf dem erwähnten Zeitraum vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert, partiell wird auch das frühe 20. Jahrhundert miteinbezogen.
Das Buch besteht aus drei Hauptteilen, die diesen gewaltigen Forschungsgegenstand aus drei Perspektiven beleuchten. Der erste ist im Wesentlichen eine sozialgeschichtliche Untersuchung von Künstlern (und selten Künstlerinnen), denen es nicht nur Prestige einbrachte, adligen Jagden beizuwohnen, sondern denen es mitunter auch gewährt wurde selbst an der Jagd teilzunehmen. Auf der Grundlage dieser Erfahrung vermochten sie den adligen Auftraggebenden gegenüber als Experten zu glänzen und erzielten einen Distinktionsgewinn der Konkurrenz gegenüber: Jagende Künstler, so schien es, errangen einen vertieften Blick auf und ein geheimeres Verständnis von Landschaften, Flora und Fauna als Kunstschaffende, die sich zum topographischen Studium nur auf eine Anhöhe setzten, ohne buchstäblich auf versteckte Lebewesen abzuzielen.
Der zweite Teil nimmt einen Perspektivwechsel vor, indem er eine vornehmlich kulturgeschichtliche Untersuchung von Objekten vornimmt, die als Mittel für die Jagd produziert wurden oder aus der Jagd heraus entstanden. Dazu zählen Stücke wie die frühneuzeitlichen Jagdlappen, auf die grimassierende Gesichter gemalt wurden, um die gejagten Tiere zu schrecken und in die vorgesehenen Bahnen der sogenannten eingestellten Jagd zu lenken, aber auch Attrappen, hinter denen sich Jagende ihrer Beute annähern konnten. Deutlich wird dabei der Anspruch, die Tiere mit mimetischer Präzision zu täuschen; sanktioniert ist dieser Anspruch in mannigfaltigen Anekdoten antiker Meister, die nicht nur die Tierwelt, sondern auch die Konkurrenz mit ihren Trompe-l'Œil-Verfahren überlisteten. Anders verhält es sich mit Geweihen und Trophäen, die als die Sache selbst in bildhafte Arrangements gefügt wurden und damit eindrücklich vom Ineinander mimetischer Ansprüche und dem Verlangen zeugen, über die Natur zu dominieren.
Im dritten Teil geht es weniger um den gesellschaftlichen Prestigegewinn jagender Kunstschaffender und die Visualität der Jagd selbst als deren Stellenwert in der historischen Kunsttheorie. Die sich im Schuss abzeichnende Linienführung durch ein künstlerisch zu erschließendes Terrain sind dabei ebenso ein Thema wie die vielfältigen Metaphern, die die Jagd für alle möglichen zielstrebigen Bewegungen im Raum und nicht zuletzt auch bezüglich amouröser Absichten ermöglicht. Dazu zählen auch geschlechtsspezifische Problematiken, denn während es in der Frühen Neuzeit üblich war, dass Frauen jagten, überzeichnete das 19. Jahrhundert den Typus des Jäger-Künstlers als derbes Mannsbild. Es folgt ein ausführlicher Schlussteil, zu dessen argumentativer Eleganz zählt, dass er Stimmen vereint, die die Union von Jagd und Kunst als Unterwerfung der Natur in Frage stellen - indes aber kaum an der Masse der vorgeführten Beispiele zu rütteln vermögen.
Denn Saß' Buch, dies sei abschließend festgestellt, ist ein Kraftpaket. Nicht nur die schiere Menge an Werken, die "Jagdgründe" analysiert, sondern auch die Sättigung mit Belegen und Verweisen sind stupend. Bei fortlaufender Lektüre erscheint in den weit über 600 Seiten mitunter etwas mehr Zug in der Argumentation wünschenswert; allerdings gewährt gerade die intensive methodische Reflexion, die jedes größere Kapitel eröffnet und abschließt, die Möglichkeit, einzelne Unterkapitel als beinahe selbständige Studien herauszugreifen. Dass der Autor ein Stilist ist, dem insbesondere Bildbeschreibungen mit großer Sensibilität und überraschenden Pointen gelingen, sei im Übrigen erwähnt. Insgesamt liegt damit ein Standardwerk vor, das mit großem Gewinn lesen wird, wer sich im weitesten Sinn mit der Kunst- und Kulturgeschichte der Jagd beschäftigt.
Anmerkung:
[1] Arnout Balis: Hunting Scenes, in: Corpus Rubenianum 18,2. London 1986; Heiko Laß: Jagd- und Lustschlösser. Kunst und Kultur zweier landesherrlicher Bauaufgaben; dargestellt an thüringischen Bauten des 17. und 18. Jahrhunderts, Petersberg 2004.
Maurice Saß: Jagdgründe der Kunst. Eine andere Geschichte der Mimesis (= Studien zur Kunst; Bd. 55), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2024, 682 S., 234 Farb-Abb., ISBN 978-3-412-53060-0, EUR 95,00
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