Tanja Michalsky: Memoria und Repräsentation. Die Grabmäler des Königshauses Anjou in Italien (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 157), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000, 446 S., 158 Abb., ISBN 978-3-525-35473-5, DM 118,00
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Die eminente Bedeutung der angiovinischen Grabmäler als Zeugnisse ständischen Selbstverständnisses ist in der kunsthistorischen Literatur längst bekannt. Eingehender wurden sie bis in die jüngste Zeit jedoch ausschließlich im Rahmen des Oeuvres von Tino di Camaino untersucht. Ein Grund hierfür mag in der nur sehr fragmentarischen Erhaltung liegen, die zum Teil aus der Ersetzung durch neue Monumente, aber auch aus den Zerstörungen durch Erdbeben und den Zweiten Weltkrieg resultiert. In kurzer zeitlicher Folge entstanden nun gleich zwei, von unterschiedlichen Ansätzen ausgehende Dissertationen - um es vorweg zu sagen, beide ausgezeichnete Leistungen, die jeweils von ihrer Warte aus zum Verständnis des vorwiegend in Neapel konzentrierten Denkmälerkomplexes entscheidend beitragen.
Das Buch von Lorenz Enderlein (Die Grablegen des Hauses Anjou in Unteritalien. Totenkult und Monumente 1266-1343. Mit einem Quellenanhang, herausgegeben in Zusammenarbeit mit Andreas Kiesewetter (= Römische Studien der Bibliotheca Hertziana 12), Worms 1997), im wesentlichen in den Jahren 1990-1993 verfasst, lag Tanja Michalsky bei der Überarbeitung ihres 1995 eingereichten Manuskriptes für die Drucklegung bereits vor. Enderleins Interpretationen zu den Anjou-Grabmälern sind in einen chronologisch aufgebauten, nach eigener Aussage an den "Darstellungsprinzipien historiographischer narratio" orientierten Text eingebunden, der in umfassender Weise auf Schriftquellen verschiedenster Gattungen fußt (Testamente, Verträge, Rechnungen, Kanzleiformulare, öffentliche Reden, Trauerreden), ein besonderes Verdienst, nicht zuletzt angesichts der Vernichtung des angiovinischen Archivs in Neapel im Zweiten Weltkrieg. Trotz der in Einzelanalysen vorgetragenen stilistischen und ikonographischen Wertungen liegt das Hauptgewicht seiner Arbeit auf der Organisation von Begräbnissen und Anniversarfeiern und den konkreten Entstehungsumständen der Grabmäler, bis hin zur Frage nach den Konzeptoren der Programme.
Michalsky rückt dagegen, wiederum nach eigener Diktion, die "Form- und Bildsprache" in den Vordergrund. Indem sie sich den religiösen und politischen Motiven der Denkmäler, ausgehend von der zeitgenössischen Vorstellungswelt, insbesondere den Konzepten des sakralen Königtums und der dynastischen Herrschaft, nähert, gelingen insgesamt stimmige, ausgewogene Deutungen. Der erste Abschnitt gilt der Klärung der im Titel vorangestellten Begriffe "Memoria" und "Repräsentation". Grundlage für das Verständnis von Memoria als umfassendes soziales Phänomen sind die Arbeiten von Otto Gerhard Oexle; angeführt sei als jüngere Publikation nur der von Oexle herausgegebene Sammelband mit dem Titel Memoria als Kultur (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121, Göttingen 1995). In den letzten Jahrzehnten ebenso verstärkt im Blickpunkt kunsthistorischer Forschung stehen Fragen nach den repräsentativen Funktionen. Michalsky weist auf zwei inhaltliche Komponenten hin: Zum einen die bildliche Darstellung, in einem umfassenden Sinne verstanden als das komplexe Zeichensystem der Denkmäler, und zum anderen - hier schaltet die Autorin Bemerkungen zur mittelalterlichen Herrschaftstheorie ein - die politische Argumentation, die im Falle der Anjous in Unteritalien vorwiegend auf die Legitimation des neuen Königshauses zielt. Es folgt ein knapper "historischer Abriss", der das Selbstverständnis der Anjou als "beata stirps" sowie die mehrfach bedrohte dynastische Kontinuität als zentrale Themen herausstellt.
Das zweite Kapitel steckt zunächst allgemein den Hintergrund für die angiovinischen Monumente und die Memoria ab: die Tradition des figürlichen Grabmals in Italien, die Entwicklung eines organisierten Totengedächtnisses am Grab, das Begräbnis als Demonstration der Herrschaft, wie es sich am Beginn des 14. Jahrhunderts an den europäischen Höfen durchsetzt. Eine wichtige Quelle für die angiovinische Memoria bilden die dicht überlieferten (von David Levesley D'Avray, Death and the Prince. Memorial Preaching before 1350, Oxford 1994, gut publizierten) dominikanischen Memorialpredigten. Während Enderlein diese differenziert für die Interpretation der einzelnen Denkmäler zu nutzen sucht, wobei er in einer Anniversarpredigt des Johannes Regina zu Ehren Karls von Kalabrien, des 1328 unerwartet verstorbenen Kronprinzen, die konkretesten Bezüge zur Grabmalsikonographie feststellt, beschränkt sich Michalsky auf einen Überblick zu den sich stets wiederholenden Topoi im Lob der Verstorbenen: Aufzählung der Tugenden und karitativer Maßnahmen, Hervorhebung der vornehmen Abkunft und Erwähnung "familieneigener" Heiliger. Ausführlich ist dagegen die Entwicklung der einzelnen Grablegen in der Residenzstadt Neapel dargestellt. Michalsky verfolgt detailliert die angiovinische Stiftungspolitik und diskutiert die über weite Strecken im Dunkeln liegenden Baugeschichten der Franziskanerkirche San Lorenzo, des Doms und insbesondere des von König Robert dem Weisen und seiner Gemahlin Sancia geförderten Doppelklosters der Franziskaner und Klarissen (S. Corpus Christi / S. Chiara). Die Behandlung des Konzepts des sakralen Königtums, begründet in der Heiligkeit der kapetingischen Vorfahren und der ungarischen Arpaden (durch die Heirat König Karls II. mit Maria von Ungarn den Anjou verbunden), sowie des vornehmlich an den Franziskanern ausgerichteten Frömmigkeitsideals, führt Michalsky schließlich zur konkreten Auseinandersetzung mit der Ikonographie der Grabmäler.
Das 1324 durch Tino di Camaino in Zusammenarbeit mit kampanischen Meistern errichtete Baldachingrabmal der Katharina von Österreich in S. Lorenzo zeigt die Figur der Verstorbenen auf dem Sarkophag umstanden von Heiligen, darunter der 1317 kanonisierte Ludwig von Toulouse, Bruder König Roberts des Weisen, und die über die Arpaden mit dem angiovinischen Königshaus verwandte Elisabeth von Thüringen. Michalsky bringt diese Heiligen mit dem Interzessio-Motiv im Giebel in Verbindung und weist auf das in der Auswahl der Heiligen deutliche Konzept der "beata stirps". Eine ikonographische Neuerung, die in den meisten folgenden Grabmälern aufgenommen wird, bilden die den Sarkophag tragenden Tugendkaryatiden. Enderlein sieht hier die Bezüge zur zeitgenössischen Staatstheorie im Vordergrund. Michalsky kann darüber hinaus deutlich machen, dass es sich um die Adaption eines bisher Heiligengrabmälern vorbehaltenen Elementes handelt, und damit wiederum um einen Ausdruck der Heiligkeit der angiovinischen Dynastie.
Im nächsten Schritt setzt sich Michalsky mit der Darstellung von Herrschaft an den angiovinischen Grabmälern auseinander. Beispiele vornehmlich politisch motivierter Ikonographie liefern ihr die Grablege, die König Karl I. für seine erste Gemahlin Beatrix und deren Vorfahren in Aix-en-Provence errichten ließ, die Thronbildnisse an den Sarkophagfronten der Maria von Ungarn, Karls von Kalabrien, Philipps von Tarent, Johanns von Durazzo, der Maria von Valois und nicht zuletzt König Roberts des Weisen, dessen Grabmal oberhalb der Darstellung des Verstorbenen in der Totenkammer ein zweites, überlebensgroßes Thronbildnis einschließt. Angesprochen sind jeweils mit unterschiedlichen Akzenten die genealogische Sukzession und Legitimität angiovinischer Herrschaft. Die so prominente Thronstatue König Roberts ist als Verkörperung des durch seine Tugend über den Tod hinaus präsenten Herrschers zu deuten. Den Schlüssel hierzu bietet, wie auch schon Enderlein erkannte, die Sockelinschrift CERNITE ROBERTVM REGEM VIRTVTE REFERTVM. Die nachfolgenden Abschnitte zur Herrschaftsikonographie in der zeitgenössischen sepulkralen und profanen Plastik sowie zur Herrschaftsrepräsentation der Anjou in anderen Medien (Wandmalerei, Buchmalerei, Siegel und Münzen) stellen jeweils die Frage nach der Funktion dieser - in den meisten Fällen - schon mehrfach zu Vergleichen mit den Anjou-Grabmälern herangezogenen Werke in den Mittelpunkt.
Beschreibungen sowie Quellen- und Literaturzusammenstellungen bietet Michalsky in einen chronologisch nach den Todesdaten geordneten, 43 Nummern umfassenden Katalog der Grabmäler aller Familienmitglieder und Angeheirateter bis in die dritte Generation, sofern die Auftraggeberschaft des neapolitanischen Königshauses nachweisbar ist, sowie derjenigen angiovinischen Monumente, die den von Tino di Camaino mit dem Grabmal der Katharina von Österreich geschaffenen Typus aufnehmen. Hier erweist sich Michalskys Arbeit als deutlich umfassender als Enderlein, dessen Katalog nur acht Nummern zählt und sich damit auf die im Rahmen seines Textes behandelten Monumente beschränkt.
Angemerkt sei, dass sich Transkriptionen der oft umfangreichen versifizierten Grabinschriften bei Michalsky zwar im Katalog finden, im Gegensatz zu Enderlein, ihr Inhalt und Wortlaut jedoch kaum für die Interpretationen genutzt wird. Gerade aufgrund derartiger unterschiedlicher Gewichtungen und der zahlreichen - hier nicht im einzelnen anzuführenden - Widersprüche im Detail ergänzen sich die beiden nun im Druck vorliegenden Dissertationen zu den angiovinischen Grabmälern hervorragend.
Maria Glaser