Erika Rummel: The Confessionalization of Humanism in Reformation Germany (= Oxford Studies in Historical Theology), Oxford: Oxford University Press 2000, 211 S., ISBN 978-0-19-513712-5, GBP 32,50
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Humanismus und Reformation: Spätestens seit Hegels "Morgenröte" des ausgehenden Mittelalters, dem die "Sonne" der Reformation folgte, stand diese Verbindung für einen Aufbruch zur Neuzeit. Dass dieses teleologische Kontinuum zwischen Humanismus und Reformation als Modernisierungsmythos verstanden werden muss, ist seit Bernd Moellers Beschäftigung mit dem Thema ein Gemeinplatz. "Ohne Humanismus keine Reformation", konstatiert auch Moeller, weist aber darauf hin, dass die Verbindung beider Bewegungen ein "produktives Missverständnis" gewesen sei. Mit der Luther-Erasmus-Kontroverse über den freien Willen trat die Unvereinbarkeit beider Bewegungen offen zu Tage. Die der Reformation folgende Verhärtung religiöser Gegensätze, so scheint es, brachte den Humanismus an sein Ende, das einschlägige Darstellungen gern um 1530 ansetzen.
Erika Rummel, die mit wichtigen Studien zu Erasmus und zur Auseinandersetzung zwischen Humanismus und Scholastik hervorgetreten ist, möchte in ihrem ideengeschichtlich orientierten Buch (als Quellen wurden vor allem humanistische Schriften und Briefwechsel herangezogen) zeigen, dass der Humanismus seit Beginn der Reformation zunehmend unter den Druck religiösen Bekenntniszwangs geriet. Produktiv kann sie das Missverständnis zwischen Humanisten und Reformatoren nicht finden, deren Debatten der 1520er- und 1530er-Jahren sie schildert und unterschiedliche Wege beschreibt, wie Humanisten mit der neuen Situation umgingen. Keine bahnbrechend neue Gesamtsicht auf das Problem also, aber detaillierte Einzelanalysen, willkommene Differenzierungen und eine Fülle von Belegen.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der bereits 1517 einsetzenden gegnerischen Identifikation von Reformatoren und Humanisten und der Frage, wie beide Gruppen darauf reagierten. Der altgläubige Angriff auf Humanismus und Reformation führte im Kreis um Erasmus zu Verschwörungstheorien - die Kirche wolle den Humanismus gleich mit der neuen Ketzerei erledigen und stelle daher eine Verbindung zwischen beiden her, die gar nicht bestehe. Die hier einsetzende Identifizierung beruhte aber, so Rummel, auf einem Missverständnis oberflächlicher Übereinstimmungen. Tatsächlich hatten "theologians" und "humanists" kaum etwas gemein: Während der Humanismus eine kulturelle Bewegung gewesen sei, habe die Reformation religiöse Ziele verfolgt. Aber kann man "Theologen" und "Humanisten" zu diesem Zeitpunkt so klar unterscheiden? Gerade Erasmus steht doch paradigmatisch für eine Verbindung kultureller und religiöser Anliegen. Rummels alternative Erklärung für die denunziatorische Identifikation beider Bewegungen, "Confusion or Conspiracy", trifft nur einen Teil des Problems, weil weder der Humanismus um 1517 nur eine kulturelle Bewegung war noch "die" Reformation distinkte Ziele verfolgte. Es war also weder nur Verschwörung noch nur Konfusion, der beide Bewegungen für einen Moment als Einheit erscheinen ließ, sondern zum Beispiel gemeinsame Gegnerschaft zur scholastischen Tradition sowie zu Rom/Italien im Rahmen eines nationalen Diskurses, den Rummel an keiner Stelle thematisiert. Auch deshalb ist es irreführend, wenn ein national gesinnter Humanist wie Cochläus nur als Apologet der römischen Kirche erscheint. [1]
Das zweite Kapitel behandelt die um 1520 einsetzende Bewusstwerdung der Grenzen der Übereinstimmung. Erasmus und die Erfurter Humanisten kritisierten den Bildungsverfall in Gebieten, die die Reformation eingeführt hatten. Ab den 1520er-Jahren setzten dann Bildungsanstrengungen auf Seiten der Reformatoren ein, für die hier abgekürzt Luthers Ratsherrenschrift stehen kann, die deutlich die Verbindung zwischen (vor allem sprachlicher) Bildung und Reformation der Kirche und damit auch die Hochschätzung humanistischer Programme im Denken Luthers zeigt. In ihr ist aber auch eine Instrumentalisierung präformiert, die Erasmus als Verkürzung genuin humanistischer Ansätze erschien.
Am Beispiel von Erasmus, Agrippa von Nettesheim und Sebastian Castellio wird im dritten Kapitel dargestellt, dass die tendenziell skeptizistische Haltung dieser Humanisten von beiden Lagern der religiösen Auseinandersetzung unter Beschuss genommen wurde. Rummel zeigt, dass diese als entscheidungsunwillige "Epikuräer" denunzierten Gelehrten ihre "ars dubitandi" weniger aus einer politisch-irenischen Haltung heraus kultivierten, sondern - dies gilt vor allem für Erasmus - eine epistemologische Skepsis gegenüber der menschlichen Erkenntnis göttlicher Wahrheit entwickelten, die schließlich in die Anerkennung des Konsensprinzips und der Autorität der römischen Kirche mündete.
Das vierte Kapitel beschreibt verschiedene Wege, die Humanisten einschlugen, um dem auf sie ausgeübten Druck zu begegnen: Auf religiöse Einschüchterungsversuche wurde mit einer Konzentration auf unproblematischer erscheinende Arbeitsgebiete wie säkulare Historiographie (Beatus Rhenanus) und Rückzug aus religiöser Polemik und Politik (Pirckheimer) reagiert, die im Fall des Eindrucks extremer Bedrohung sogar zu Nikodemismus weiterentwickelt werden konnten. Diese Verheimlichung der eigenen religiösen Ansichten, von Luther wie vor allem Calvin strikt abgelehnt, wird im fünften Kapitel thematisiert. Am Beispiel von Urbanus Rhegius und Wolfgang Capito vermerkt Rummel, dass es oft auch materielle Motive waren, die die genannten Humanisten zögern ließen, sich eindeutig zu einer Religionspartei zu bekennen. Wenn sie allerdings zum Beispiel Capito als "Crypto-Lutheran" (114) bezeichnet, so macht dies deutlich, dass Rummel bereits um 1520 mit klar abgrenzbaren konfessionellen Positionen und Lagern rechnet. Die oberdeutsche Reformation der frühen 1520er-Jahre als "lutherisch" zu bezeichnen, ist aber jenseits einer vagen Richtungsbestimmung problematisch. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man es manchmal nicht mit "Nikodemismus" einer insgeheim gefestigten konfessionellen Position zu tun hat, sondern schlicht mit einer ungeheuren Vielzahl unterschiedlicher Positionen, die sich nicht auf die Nenner "humanistisch" versus "lutherisch" bringen lassen.
Das sechste Kapitel geht der Frage nach, inwieweit ab den 1530er-Jahren verstärkt auftretende, auf Deeskalation angelegte Konzeptionen religiöser Eintracht durch humanistische Ideen beeinflusst waren. Rummel zeigt, dass die epistemologische Skepsis gegen die Klarheit der Schrift sowie das rhetorische Ideal angemessener Formen der Auseinandersetzung auch zwischen religiösen Gegnern wichtige Argumente lieferten. Der Wunsch nach Eintracht, behauptete der niedersächsische Reformator Antonius Corvinus, werde von Humanisten und Protestanten geteilt; nur sei diesem Eintrachtstreben durch die Aussagen der Bibel eben eine klare Grenze gesetzt. Am Beispiel der vorkonfessionellen Kirchenpolitik Jülich-Kleves und an Ausgleichstheologen wie Witzel oder Cassander zeigt Rummel aber ein vereinzeltes Fortwirken "erasmianischer" Vorstellungen.
Die Darstellung dieser Sachverhalte ist immer instruktiv - dies ist angesichts von Rummels fundierter Kenntnis der Kontroversen um Erasmus nicht anders zu erwarten gewesen. Trotzdem wird man des Buches nicht recht froh. Dies hängt mit der Abstraktheit von Begriffen wie "Humanismus" und "Reformation" zusammen, deren Verhältnis ohne ein - noch so dezionistisches - Definitionsangebot unscharf bleiben muss. Vor allem hängt dies aber mit der unglücklichen Tatsache zusammen, dass Rummel es auf die "Konfessionalisierung" des Humanismus abgesehen hat. Was wäre unter dieser Überschrift nicht alles zu behandeln! Denn natürlich hörte der Humanismus um 1530 nicht einfach auf. Hilfreich erschiene hier Ulrich Muhlacks Unterscheidung [2] zwischen Humanismus als Bewegung und "Weltanschauung", der tatsächlich weitgehend verschwand, und Humanismus als "Technik", der ironischerweise gerade in der Instrumentalisierung durch die Konfessionen seine größte Breitenwirkung erzielte. Der propädeutische "Schulhumanismus" des konfessionellen Zeitalters, der sich - ungeachtet der konfessionellen Ausfüllung im Einzelnen - an Johann Sturms Leitbild einer "sapiens et eloquens pietas" orientierte, ist wohl das wichtigste - nicht das einzige - Weiterwirken des Humanismus über die Jahrhundertmitte hinaus.
All dies wird von Rummel nicht behandelt, weil ihr zeitlicher Rahmen die frühe Reformation ist. Aber ist es möglich und nötig, in diesem Kontext von "Konfessionalisierung" des Humanismus zu sprechen? Abgesehen davon, dass die Situation vor der Entstehung der unterschiedlichen Bekenntnisschriften auch innerkirchlich nicht konsolidiert war, scheint doch die Konfessionalisierung von Humanismus eben als Schulhumanismus erst ab der zweiten Jahrhunderthälfte zu einem die gesamte Gesellschaft betreffenden Strukturelement zu werden. Sicher, und dies zeigt Rummel, wurden intellektuelle Grundlagen bereits früh gelegt; dies gilt aber auch für andere Themen der Reformation. Ihre diskussionswürdige These, dass die Humanisten besonders früh unter einen "Zwang zur Konfessionalisierung" gerieten, hängt in der Luft, weil sie nicht systematisch ausführt, dass diese durch ihren hohen Öffentlichkeitsbezug und ihre besondere Sensibilität für politische und religiöse Veränderungen einen guten Angriffspunkt für religiöse Polemik boten. Eine systematische Darstellung zum Thema Konfessionalisierung und Humanismus steht also noch aus; wer aber einen quellennahen Überblick über die Geschicke des Humanismus direkt nach 1517 sucht, der kann aus Rummels Buch viel lernen.
Anmerkungen:
[1] D.V.N. Bagchi: "Teutschland uber alle Welt". Nationalism and Catholicism in Early Reformation Germany, in: ARG 82 (1991), 39-58.
[2] Ulrich Muhlack: Der Tacitismus - ein späthumanistisches Phänomen?, in: Notker Hammerstein / Gerrit Walther (Hgg.): Späthumanismus. Studien über das Ende einer kulturhistorischen Epoche, Göttingen 2000, 160-182, hier v.a. 176-179.
Matthias Pohlig