Daniel Büchel / Volker Reinhardt (Hgg.): Die Kreise der Nepoten. Neue Forschungen zu alten und neuen Eliten Roms in der frühen Neuzeit. Interdisziplinäre Forschungstagung 7. bis 10. März 1999, Istituto Svizzero di Roma (= Freiburger Studien zur Frühen Neuzeit; Bd. 5), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001, 424 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-906766-57-7, EUR 42,90
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Volker Reinhardt: Francesco Guicciardini (1483-1540). Die Entdeckung des Widerspruchs, Göttingen: Wallstein 2004
Anfang der 1960er-Jahre eröffnete Francis Haskell mit "Patrons and Painters" erstmals einen umfassenden Einblick in die Bedingtheiten des römischen (und venezianischen) Kunstmarktes im 17. und 18. Jahrhundert. Sein Blick richtete sich damals auf die Wechselwirkung zwischen den Auftraggeberkarrieren und der davon abhängigen Kunstproduktion, und sein besonderes Interesse galt den daran geknüpften Arbeits- und Lebensbedingungen der römischen Künstler.
Haskells Problemstellung ist ein fester Bestandteil der kunsthistorischen Barockforschung geworden. Erst in jüngerer Zeit wird diesem Ansatz wieder verstärktes, nicht zuletzt durch die Forschungen der Frühneuzeit-Historiker stimuliertes Interesse entgegengebracht. Neu gegenüber Haskell ist der veränderte Blickwinkel: Weniger der Künstler als vielmehr sein Auftraggeber als Mitglied einer von Sozialcodes und Verhaltensnormen bestimmten Gesellschaft steht nun im Zentrum der Untersuchungen. Kunstpatronage, Baupolitik und Sammeltätigkeit wird nach ihrem ideellen Nutzen für den Auftraggeber befragt, einen Auftraggeber - meist Kardinalnepot oder Mitglied einer altetablierten oder neu aufgestiegenen Familie -, der seine gesellschaftliche Position zu verteidigen oder zu rechtfertigen hat. Eine im März 1999 von Daniel Büchel und Volker Reinhardt (beide Universität Fribourg/ Schweiz) in Rom veranstaltete interdisziplinäre Tagung zum Thema "Die Kreise der Nepoten. Neue Forschungen zu alten und neuen Eliten Roms in der frühen Neuzeit" versammelte Historiker, Archäologen und Kunsthistoriker um einen Tisch, um eine Zwischenbilanz dieser Forschungsrichtung zu ziehen.
Der nun vorliegende Tagungsband spiegelt - und das macht das Buch interessant - die Methoden, Fragestellungen und Ergebnisse dreier Disziplinen zu dem zeitlich und inhaltlich sehr eng gefassten Gebiet der Elitenkonkurrenz in der römischen Wahlmonarchie "Papsttum" vom 16. bis zum 18. Jahrhundert wieder. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich aus Platzgründen auf eine Auswahl aus den kunsthistorischen Beiträgen (von Michael Brunner, Axel Christoph Gampp, Tobias Kämpf, Katrin Kalveram, Matthias Oberli, Christina Strunck und Philipp Zitzlsperger) des Bandes.
Der Städte- und Palastbau als ein "Austragungsort" römischer Elitenkonkurrenz steht im Mittelpunkt der Aufsätze von Strunck und Gampp. Strunck ("Die Konkurrenz der Paläste", 203-233) stellt in ihrer Studie zum Funktionswandel der Sala grande und der Galleria in den Familienpalästen des alten und neuen "Adels" die Entwicklung alternativer "Genealogien" (Papstreihen, uomini-illustri-Zyklen) in der Dekoration der Nepotenpaläste fest. Die Autorin macht den "lästig kurzen Stammbaum" der Nepotenfamilien für diese Abkehr vom üblichen Bildprogramm (Ahnenreihen und Heldentaten) verantwortlich; darüber hinaus soll diese Abkehr zu einer Aufwertung der weniger auf die genealogische Selbstdarstellung festgelegten Galleria zum wichtigsten Repräsentationsraum der Nepotenpaläste verholfen haben. Dass sich die von Volker Reinhardt im Einleitungsessay des Kongressbandes skizzierte Konkurrenz alter und neuer Familien hier tatsächlich fassen lässt, zeigt Strunck am Beispiel der Galleria Colonna. Mit ihrem überaus prächtigen Galeriebau folgt die altadelige römische Familie dem "neuen", von den Nepotenfamilien etablierten Trend zur Galerie. In der Themenwahl ihrer Fresken greifen die Colonna dann aber doch auf ein ehrwürdiges dynastisches Bildprogramm zurück.
Gampp ("Der Baron als Bauherr", 135-157) verfolgt in der neben Strunck zweiten Überblicksstudie am Beispiel der südlich von Rom gelegenen Städte Ariccia und Genzano die städtebaulichen Prinzipien von Vertretern des alten und neuen "Adels". Gampps Beobachtung, dass die Chigi in der urbanistischen Neugestaltung von Ariccia "neofeudales Denken" (142) erkennen lassen, basiert unter anderem auf Quellen, die den Sonderstatus ihres (im Kirchenstaat eigentlich unzulässigen) wehrhaften, kastellartigen Palastes belegen. Im Gegensatz hierzu interpretiert Gampp das Hauptanliegen der altaristokratischen Sforza-Cesarini, die vor Genzano neue Straßenachsen und Plansiedlungen anlegen ließen, als modernisierenden Stadtausbau. Während die Nepotenfamilie "alte Symbole" bemühe, baue der alte Adel eine "moderne Residenzstadt", ein Verhalten, das Gampp als "exemplarisch" bezeichnet.
Die weiteren Essays beschäftigen sich vorwiegend mit der Bedeutung von Kunstförderung für einzelne Vertreter der römischen Elite. Oberli ("Parte il Seren.mo Prencipe Card.le [...]. Prinz Kardinal Maurizio von Savoyen als Mäzen und Diplomat", 235-257), der die römischen Jahre des Piemonteser Kardinals Maurizio von Savoyen untersucht, stellt das letztendliche politische und ökonomische Scheitern des mit prachtvollen Auftritten und einem öffentlichkeitswirksamen Mäzenatentum Aufsehen erregenden Prinzen fest. Interessant sind Oberlis statistische Auswertungen der Kassenbücher: Ihnen zu Folge flossen nur etwa 3% der Gesamtausgaben des Kardinals in Kunstankäufe, und dies geschah fast ausschließlich während seiner Aufenthalte in Rom. Oberli sieht darin den Beleg für Maurizios zielgerichtete Instrumentalisierung des Mäzenatentums und bestätigt damit Reinhardts These, dass Kunstpatronage als Prestigefaktor zu verstehen sei.
Die beiden Essays zum Mäzenatentum der Virginio und Paolo Giordano II. Orsini von Brunner (Die Kunstförderung der Orsini [...], 179-202) und Kämpf ("Aller Künsten Vatter", 329-358) zeichnen demgegenüber ein differenzierteres Bild. Beide Autoren arbeiten die eigenständige und durchaus originelle Kunstförderung und Sammeltätigkeit der beiden Orsini heraus, für die das aktive Interesse an Literatur und Wissenschaft sowie der beachtliche Kunstverstand, ja das eigene Künstlertum charakteristisch sind. Brunner versteht sie, ähnlich wie Kämpf, als "immaterielles Mäzenatentum", als eine preiswerte Strategie also, um trotz schwacher Finanzen gesellschaftliches Ansehen zu erlangen.
Die Stärke des Buches liegt in der Materialdichte und Qualität der Einzelbeiträge, die überwiegend auf (zum Teil schon publizierten) Dissertationen beruhen und bisweilen neues Archivmaterial vorstellen (beispielsweise Kämpf). Zwei grundsätzliche kritische Bemerkungen seien dennoch erlaubt. Zum einen wird eine Studie, die die politische Zweckbestimmung von Kunstförderung als Axiom voraussetzt, kaum zu einem anderen als bestätigenden Ergebnis kommen, denn die Grundannahme bestimmt hier bereits die Bewertung des Materials. Die Zurückführung des ungewöhnlichen Mäzenatentums von Virgino und Paolo Giordano II. Orsini auf die üblichen gesellschaftlichen Zwänge Roms etwa belegt dies. Eine "ergebnisoffene" Untersuchung hätte hier wohl zu einer Fokussierung des ungewöhnlichen Kunstinteresses beider Fürsten und damit vielleicht zu weiterreichenden Einsichten geführt. Zum andern wird deutlich, wie allein die Materialauswahl die Ergebnisse prägt. So muss sich Gampp die Frage gefallen lassen, warum er Genzano gerade mit Ariccia vergleicht. Eine andere Konstellation der Beispiele hätte zu weniger markanten Unterschieden zwischen städtebaulichen Bemühungen von altem und neuem "Adel" geführt: Nimmt man als Gegenüber zu Genzano etwa das Städtchen S. Martino al Cimino, das von Donna Olimpia Maidalchini, einem Mitglied der Nepotenfamilie Pamphili, zu einer modernen Idealstadt umgebaut wurde (vergleiche dazu G. Eimer, La Fabbrica di S. Agnese in Navona, Band I, Stockholm 1970, 201-204), so verwischt sich der pointierte Gegensatz in der Baupolitik alter und neuer Familien beträchtlich.
Fazit: Die schon von Haskell dargelegte Vielseitigkeit römischer Kunstpatronage sollte - bei aller Bedeutung, die die Kenntnis gesellschaftlicher Normen und Zwänge für die Bewertung des römischen Kunstbetriebs hat - auch künftig das Forscherinteresse leiten dürfen.
Antje Scherner