Hans-Jürgen Karp / Joachim Köhler (Hgg.): Katholische Kirche unter nationalsozialistischer und kommunistischer Diktatur. Deutschland und Polen 1939-1989 (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands; Bd. 32), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, XII + 286 S., ISBN 978-3-412-11800-6, EUR 39,90
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Joachim Köhler / Rainer Bendel (Hgg.): Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2002
Rainer Bendel / Hans-Jürgen Karp: Bischof Maximilian Kaller 1880-1947. Seelsorger in den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts. Unter Mitarbeit von Werner Christoph Brahtz, Münster: Aschendorff 2017
Die grundsätzliche Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen hat sich trotz einiger Hindernisse und Rückschläge auch im katholischen Dialog zwischen beiden Ländern bemerkbar gemacht. Dies gilt auch für den wissenschaftlichen Austausch über die kirchlichen Beziehungen. Die jeweils besondere Geschichte der katholischen Kirche unter nationalsozialistischer Herrschaft und in der Volksrepublik Polen ist nicht nur auf die unterschiedlichen Bedingungen der totalitären Systeme, sondern auch auf die spezifische organisatorische Stärke und moralische Kraft des Katholizismus in Deutschland und Polen zurückzuführen.
Ziel des Bandes und der vorausgehenden Tagung, an der deutsche und polnische (Kirchen-)Historiker teilnahmen, war es, den äußerst sensiblen Teilbereich der Beziehungen zwischen Staat und Kirche vor dem Hintergrund der deutsch-polnischen Überschneidungs- und Kontaktzone, das heißt der ehemaligen deutschen Ost- und heutigen polnischen Westgebiete, zwischen 1939 und 1989 darzustellen, um so nationale und ideologische Verengungen in der Forschung zu überwinden, den Erkenntnishorizont zu erweitern und schließlich auf Forschungsdesiderate aufmerksam zu machen, die nur durch den Dialog eingelöst werden können. Ausgangspunkte sind parallele Fragestellungen, die sich aus der Etablierung des jeweiligen Regimes ableiten lassen. Für beide Staaten ging es dabei um die Anpassung der Kirchenorganisation an die neuen politischen Verhältnisse durch die Einsetzung von Apostolischen Administratoren, die Haltung der Kirche zu den staatlichen Maßnahmen der nationalen Kategorisierung, durch die die Bevölkerung im Rahmen der "Verordnung über die deutsche Volksliste" (1941) und der "Verifizierung" nach 1945 eingeteilt wurde, die Einschränkung beziehungsweise das Verbot der muttersprachlichen Seelsorge und nicht zuletzt die Einstellungen und das Verhalten der Kirche zu Umsiedlung und Vertreibung.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt stellt in allen 19 Beiträgen die Frage dar, wie die Kirche die Spannung zwischen universellem Sendungsauftrag und Mitwirkung am Programm der nationalen beziehungsweise staatlichen Integration bewältigte und wie sie politisch instrumentalisiert wurde beziehungsweise sich benutzen ließ. Da dies letztlich zur Stabilisierung des Systems führte, wird auch die Frage angesprochen, ob und inwieweit sie zum Widerstand gegen das System bereit war und zu diesem beigetragen hat.
Zunächst berichtet Zygmunt Zieliński über den Forschungsstand zu den Bevölkerungsverschiebungen in der deutsch-polnischen Kontaktzone, während Heinz Hürten (über das Totalitarismusmodell als kirchenhistorisches Erklärungsmuster) und Lydia Bändel-Maidl (über die Thomanische Staats- und Gesellschaftslehre von Peter Tischleder) methodologische Fragen erörtern.
Fünf Beiträge bieten Vergleichsmöglichkeiten der Kirchengeschichte unter den Bedingungen des jeweiligen Herrschaftssystems vor allem in bezug auf die Kirchenpolitik und das Weiterwirken nationaler Stereotypen sowie die politischen und kirchenrechtlichen Grundlagen für die Einsetzung der Apostolischen Administratoren an. Anschließend werden in acht Beiträgen für diesen Problembereich herausragende Kirchenvertreter (Adolf Kardinal Bertram, Bischof Stanisław Adamski, Bischof Carl Maria Splett, Bischof Maximilian Kaller, die Apostolischen Administratoren Bolesław Kominek, Teodor Bensch, Adalbert Zink, Walenty Dymek und Hilarius Breitinger) und ihr diesbezügliches Handeln diskutiert. Dieter Grande und Rudolf Kilank behandeln abschließend die Rolle der Katholischen Kirche bei den Sorben in der DDR.
Insgesamt wird deutlich, dass die Beziehungen zum jeweiligen totalitären Regime nicht von Widerstand gekennzeichnet waren, sondern dass es für die Kirchenorganisation wichtige Phasen der Anpassung und Resignation, des Suchens nach einem Modus Vivendi gab, um den Bestand der Kirche nicht zu gefährden. Es ging darum, innerhalb des Systems einen Freiraum für die kirchliche Interessenvertretung zu finden, die Sicherung der Seelsorge zu wahren, also letztlich darum, als Kirche zu überleben.
Die sich daraus ergebenden Fragen bedürfen noch einer weiteren, vertiefenden Forschung und Diskussion, zumal sie neuralgische Punkte des deutsch-polnischen Beziehungsgeflechtes betreffen. Der vorliegende Band, der mit einem Ausblick von Joachim Köhler auf die anstehenden Forschungsprobleme schließt, bietet dazu zweifelsohne einen wichtigen Auftakt und Ansatzpunkt für weitere kirchenhistorische Analysen.
Heidi Hein