Karl Härter / Michael Stolleis (Hgg.): Repertorium der Policeyordnungen der Frühen Neuzeit. Band 4: Baden und Württemberg, hrsg. v. Achim Landwehr / Thomas Simon (= Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; Bd. 139), Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2001, VIII + 1066 S., ISBN 978-3-465-03134-5, EUR 149,00
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Policey ist ein schillernder Begriff. In der frühen Neuzeit verstand man hierunter eine umfassende gute Ordnung des menschlichen Zusammenlebens und die Bekämpfung von Missständen. Das Mittel zur Erreichung dieses Ziels waren abertausende von Policeyordnungen, die in jedem deutschen Territorium erlassen wurden. Eine Arbeitsgruppe am Frankfurter Max Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte hat sich unter der Leitung von Karl Härter und Michael Stolleis zum Ziel gesetzt, die frühneuzeitlichen deutschen Policeyordnungen in einem groß angelegten Verzeichnungsprojekt zu erfassen. 1996 erschien der erste Band, der die einschlägigen Normsetzungen des Alten Reiches sowie der geistlichen Kurfürstentümer Köln, Mainz und Trier dokumentierte. Zu Brandenburg-Preußen sowie zu den wittelsbachischen Territorien (Kurpfalz, Bayern und andere) liegen mittlerweile ebenfalls Repertorienbände vor. Der hier anzuzeigende vierte Band erfasst die südwestdeutschen Länder Baden und Württemberg.
Der Band folgt dem bisher bewährten Aufbau. Zu jedem Territorium gibt es eine landesgeschichtliche Einleitung. Sie behandelt die territoriale Ausdehnung und die Herrschaftsverhältnisse, Wirtschaft und Bevölkerung sowie die Verwaltungs- und Justizorganisation. Außerdem werden die Besonderheiten der territorialen Policeygesetzgebung kurz angesprochen. Sodann folgen in chronologischer Reihenfolge die einschlägigen Rechtsquellen mit ihrem zeitgenössischen Titel sowie einer schlagwortartigen Inhaltsangabe. Die Schlagworte beruhen auf einem im ersten Band des Repertoriums umfassend dargelegten Erfassungsschema und tauchen im detaillierten Sachregister abermals auf. Das doppelte Register ist zum einen nach der Systematik der Schlagworte, zum anderen alphabetisch gegliedert. Auf diese Weise ist es möglich, thematisch zusammenhängende Verordnungen zu überblicken, zeitliche Schwerpunkte der frühneuzeitlichen Regelungen festzustellen oder die Gesetzgebungstätigkeit einzelner Herrscherpersönlichkeiten zu rekonstruieren.
Die württembergischen Policeyordnungen wurden von Julia Maurer bearbeitet. Die badische Landesgeschichte ist wegen mehrerer Landesteilungen seit 1515 und mehrfacher Konfessionswechsel etwas schwer zu überblicken. Im Wesentlichen übten die Teillinien Baden-Baden und Baden-Durlach die Herrschaft aus. Baden-Durlach, das bis 1565 in Pforzheim residierte und 1715 die Hauptstadt in das neu gegründete Karlruhe verlegte, kann als Hauptlinie angesehen werden. In diesem Landesteil ergingen zwischen 1475 und der Erhebung Badens zum Kurfürstentum im Gefolge des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 insgesamt 3152 Policeyordnungen. Demgegenüber beschränkte sich die 1771 erloschene Baden-Badener Linie auf lediglich 768 Normsetzungen.
Betrachtet man die zeitlichen Schwerpunkte der Gesetzgebung genauer, erkennt man, wie in den Jahren nach 1700 die Verordnungstätigkeit in Baden-Durchlach geradezu explodierte. Waren zwischen 1650 und 1674 nur 61 Policeyordnungen erlassen worden und auch zwischen 1675 und 1699 nur 136 Rechtssetzungen erfolgt, ergingen im nächsten Vierteljahrhundert von 1700 bis 1724 bereits 701 Policeyordnungen. Insgesamt stammen 87 % der nachgewiesenen Verordnungen aus dem 18. Jahrhundert. Die sprichwörtliche Regelungswut der Landesherrn entfaltete hier ihre höchste Intensität.
Einen besonderen Hinweis verdient das Generalreskript vom 23. Juli 1783 (Baden Nummer 2723). Als eines der ersten europäischen Territorien schaffte Baden damit die Leibeigenschaft ab. Bereits am 9. September 1767 war die Folter verboten worden (Baden Nummer 2216), ein Jahr bevor die österreichische Constitutio Criminalis Theresiana sie noch einmal umfassend kodifzierte. Die Erfassung der badischen Policeyordnungen erforderte von der Bearbeiterin mühevolle Sucharbeit im Generallandesarchiv Karlsruhe, da die meisten Gesetze nicht gedruckt oder förmlich veröffentlicht, sondern lediglich handschriftlich an die Ämter verschickt wurden.
Demgegenüber war die Erfassung der württembergischen Policeyordnungen wesentlich einfacher. Mit der neunzehnbändigen Gesetzessammlung von August Ludwig Reyscher aus den Jahren 1828-1851 stand hier eine hervorragende Arbeitsgrundlage bereit. Dennoch konnte der Bearbeiter Achim Landwehr noch zahlreiche weitere, bei Reyscher nicht erwähnte Verordnungen nachweisen. Insgesamt ist etwa ein Viertel der insgesamt 4393 württembergischen Policeygesetze nur archivalisch dokumentiert. Im Gegensatz zur etwas komplizierten badischen Landesgeschichte verlief die württembergische Entwicklung in eher ruhigen Bahnen. Landesteilungen und größere Gebietsveränderungen waren selten, sodass das Territorium zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert durch Kontinuität gekennzeichnet ist. Im Gegensatz zu der etwas hölzernen Einleitung Julia Maurers ist Achim Landwehr mit seiner Einführung in die württembergische Geschichte und Gesetzgebung ein brillant-knapper Aufsatz gelungen. Ohne Detailüberfrachtung wird der Leser in sprachlich attraktiver Weise mit den wichtigsten Daten, Personen und Institutionen des Herzogtums vertraut gemacht.
Ähnlich wie in der Kurpfalz hatte auch in Württemberg der Dreißigjährige Krieg zu enormen Verwüstungen und einem Bevölkerungsverlust von 57 % geführt. Zahlreiche Policeyordnungen versuchten deshalb den Wiederaufbau des Landes zu befördern. Auch die Peuplierungspolitik der Herzöge lässt sich an Verordnungen zur Ansiedlung von Ausländern ablesen. Im Gegensatz zu Baden ist die Württemberger Policeygesetzgebung durch stärkere Kontinuität geprägt. Einen sprunghaften Anstieg der Regelungstätigkeit um 1700 kann man hier nicht erkennen, und immerhin knapp 30 % der dokumentierten Verordnungen wurden bereits im 16. und 17. Jahrhundert erlassen.
Das Repertorium der Policeyordnungen wird unsere Kenntnis der frühneuzeitlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungsgeschichte erheblich verfeinern. Wegen der völlig unterschiedlichen Regelungsmaterien ist die Policeygeschichte aber nicht nur für Rechtshistoriker wichtig. Verordnungen über Maulbeerbäume, Tierseuchen, Weinbau, Juden und Gaststätten mögen andeuten, dass jeder an der frühen Neuzeit Interessierte aus der Beschäftigung mit Policeygesetzen reichen Nutzen ziehen wird. Recht war ein spezifisches, hoheitlich eingesetztes Instrumentarium zur Ordnung des menschlichen Zusammenlebens. Dieser altbekannte Satz erhält eine ganz konkrete Gestalt, wenn man die abertausende von Verordnungen zu allen Lebensbereichen in den dickleibigen Repertorienbänden zusammengefasst sieht. Auf den Fortgang des Projekts kann man sich freuen.
Peter Oestmann