Georg Modestin / Kathrin Utz Tremp (Hgg.): Hexen, Herren und Richter. Die Verfolgung von Hexern und Hexen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz am Ende des Mittelalters. Die Verfolgung von Hexern und Hexen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz am Ende des Mittelalters. Les sorcières, les seigneurs et les juges. La persécution des sorciers et des sorcières dans le territoire de la Suisse actuelle à la fin du Moyen Age (= Schweizerische Zeitschrift für Geschichte; Vol. 52 (2002), Nr. 2, 103-162), Basel: Schwabe 2002, 155 S., ISSN 0036-7834
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Manfred Wilde: Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2003
Rolf Schulte: Hexenmeister. Die Verfolgung von Männern im Rahmen der Hexenverfolgung von 1530-1730 im Alten Reich, 2. erg. Auflage, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2001
Georg Modestin (Hg.): Quellen zur Geschichte der Waldenser von Straßburg (1400-1401), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2007
Schon vor etwa zehn Jahren hat sich am mediävistischen Lehrstuhl der Universität Lausanne, betreut von Agostino Paravicini Bagliani und Kathrin Utz Tremp, ein Forschungsschwerpunkt gebildet, der sich mit den frühen Hexenverfolgungen in der Schweiz (mit einer Konzentration auf die savoyischen Gebiete in der Diözese Lausanne) und dem Aufkommen des Hexensabbat-Stereotyps befasst. Die Ergebnisse wurden in zahlreichen Bänden der Reihe "Cahiers lausannois d'histoire médiévale" publiziert. Damit hat sich die Schweizer Hexenforschung an Bedeutung, Forschungsertrag und Publikationsfreude unübersehbar neben den beiden deutschen Forschungsgruppen und Arbeitskreisen in Stuttgart-Hohenheim und Trier (mittlerweile erweitert durch den "Arbeitskreis norddeutsche Hexenforschung") etabliert.
Das am 27. Oktober 2001 abgehaltene, von Kathrin Utz Tremp und Georg Modestin organisierte Kolloquium "Hexen, Herren und Richter. Les sorcières, les seigneurs et les juges" nahm die Hexenverfolgung während des Spätmittelalters auf dem Gebiet der heutigen Schweiz in den Blick. Vorgestellt und zusammengefasst wurden zu einem Teil Ergebnisse, die bereits in umfänglichen Publikationen vorliegen (zum Beispiel von Kathrin Utz Tremp, Martine Ostero, Georg Modestin, Catherine Chène, Dorothee Rippmann) oder kurz vor dem Erscheinen stehen (Niklaus Schatzmann) sowie Werkstattberichte (Isabelle Ieger, Isabelle Terrier, Charlotte Touati und Stefan Jäggi).
In seinem Einführungsbeitrag (105-108) verweist Georg Modestin zu Recht auf das grundsätzliche Problem, Hexenprozessakten adäquat zu interpretieren und zu "entschlüsseln". Narrative, fiktive Elemente finden sich eben nicht nur - wie allgemein anerkannt - in den Sabbaterzählungen, sondern bereits in den Voruntersuchungen und Zeugenaussagen, in der Konstruktion "verdächtiger Verhaltensweisen" für verdächtigte Personen. In diesen Kontext stellt Modestin den deutlichen Paradigmenwechsel, der sich zur Zeit innerhalb der Hexenforschung vollzieht und in dem nun auch zunehmend Fragen nach dem herrschaftspolitischen Interesse, das Obrigkeiten an der Führung von Hexenprozessen haben konnten, formuliert werden.
Im folgenden Beitrag gibt Martine Ostero einen Überblick zu den Vorgängen im Wallis und in der Waadt, wo es seit etwa 1430 zu größeren Verfolgungen kam (109-114). Knapp wird der Forschungsstand, der soziale Hintergrund der Angeklagten, die Gerichtsorganisation sowie die räumliche Verteilung der Verfolgungen dargestellt.
Kathrin Utz Tremp (115-121) klärt die Zusammenhänge zwischen den Waldenser- und Hexenverfolgungen (1429, 1430, 1437-1442) im heutigen Kanton Freiburg. Während die Waldenserverfolgung in der Hand der Inquisition lag, wurde die erste größere Hexenverfolgung (1437-1442) von der freiburgischen Obrigkeit geführt. Offensichtlich hatte man im Lauf von nur drei Prozessen gelernt, das Inquisitionsverfahren auch für "eigene Zwecke" zu nutzen. Utz Tremp kommt deshalb unter anderem zu dem Fazit, dass die Hexenverfolgungen eindeutig im Kontext des Freiburger Territorialisierungsprozesses zu sehen sind, in der "Ausdehnung und Festigung der städtischen Herrschaft über das Land" (119).
Catherine Chène beschäftigt sich mit dem Ameisen-Traktat des Dominikaners Nider, das als überaus bedeutsam für die Verbreitung der Hexensabbat-Vorstellung eingestuft wird (122-126). Sie kann überzeugend die These von Andreas Blauert, dass es sich bei dem von Nider als Augenzeugen angeführten "judex Petrus" nicht um Peter von Greyerz und bei den erwähnten Hexenverfolgungen nicht um Verfolgungen vor 1400 im Obersimmental handelte, stützen und erweitern. Trotz dieses Ergebnisses gehört dieser Traktat weiterhin zu jenen ersten Texten, die erstmals Beschreibungen des Hexensabbats enthalten. Überdies bietet er wichtige Informationen zu Verfolgungen in der Diözese Lausanne, wenn auch für den Zeitraum um 1430/1440.
In ihrem Überblick zu den Genfer Verfolgungen vor der Reformation (1401-1533) liefert Isabelle Ieger (127-131) eine Zusammenstellung und kurze Beschreibung der von ihr ermittelten Verfahren. Keineswegs verifizieren kann sie die von Jules Michelet aufgestellte Behauptung, innerhalb von drei Monaten des Jahres 1513 seien in Genf 500 Hexen verbrannt worden. Für diese kaum glaubhafte Zahl lässt sich bislang kein einziger Nachweis erbringen.
Isabelle Terrier und Charlotte Touati stellen einige Aspekte der Hexenverfolgung in Neuenburg (Neuchâtel) vor, in dem Ende der 1430er-Jahre und zwischen 1480 und 1490 Hexenverfolgungen, geführt von der Inquisition, stattfanden. Hier hat sich unter anderem die Niederschrift einer Generalinquisition (enquête générale) aus dem Jahr 1481 sowie eine Voruntersuchung mit zehn Zeugenaussagen aus dem Zeitraum 1492/1499 erhalten, zwei für spätmittelalterliche Hexereiverfahren in der französischen Schweiz durchaus seltene Dokumente. Offensichtlich spielte in Neuenburg die Verfolgung der "science des bières", einer bestimmten Wahrsagekunst, eine besondere Rolle.
In seinem Beitrag zu den Hexenverfolgungen auf der Alpensüdseite (1431-1459) in der Leventina verweist Niklaus Schatzmann auf die bemerkenswert gute Quellenlage, da neben den Verhörakten auch Zeugenaussagen enthalten sind. Es handelt sich dabei um das vollständigste Quellencorpus, das für den norditalienischen Raum erhalten ist. Schatzmann kann schlüssig nachweisen, dass gerade die Verfahren zwischen 1457 und 1459 mit wohl 20 Hinrichtungen in einem herrschaftspolitischen Kontext zu sehen sind. Hier wurden Hexenprozesse von dem Talgericht geführt, um "die lokale Blutgerichtshoheit ... zur Schau zu stellen und in einem Moment zu verteidigen, als das Tal in Gefahr geriet, an Mailand zurückzufallen" (141).
Wenn auch die Sabbatvorstellungen im Laufe der Verfahren immer "konkreter" wurden, so fehlt in den Geständnissen doch jede Erwähnung der so genannten Teufelsbuhlschaft oder anderer sexueller Konnotationen.
Auch Stefan Jäggi kann für die Luzerner Verfahren wegen Zauberei und Hexerei (geführt bis Mitte des 16. Jahrhunderts) einen ähnlichen Hintergrund wie bereits Utz Tremp und Schatzmann feststellen (143-150). So seien auch hier die Hexenprozesse beim Ausbau gerichtsrechtlicher Ansprüche genutzt worden. Interessant erscheint der Hinweis, dass offensichtlich die inquirierenden weltlichen Richter die gelehrte dämonologische Literatur wie den Formicarius oder den Hexenhammer nicht rezipiert hatten. Gleichwohl wurden zu 95 % Frauen als vermeintliche Hexen hingerichtet, wohl weil sie dem gängigen Konzept von Ehrbarkeit nicht entsprachen.
Nicht zuletzt kann Dorothee Rippmann einen "hochpolitischen" Hintergrund für Verfahren im Basler Raum ausmachen (151-156): Auch hier wurden Hexenverfolgungen als "politische Machtdemonstrationen gegen die landgräfliche Gewalt" genutzt (155). Dem steht nicht entgegen, dass Verfahren auf den "Druck von unten" zu Stande kommen konnten: Wie in anderen Gegenden auch ergänzten sich Verfolgungsinteresse der Obrigkeit und Verfolgungsbegehren der Untertanen. In den Geständnissen der Nordschweizer Angeklagten - sofern sie ohne Folter erreicht worden waren - dominierte die volkstümliche Schadenzaubervorstellung, der Teufel und mit ihm in Zusammenhang stehende Rituale kamen nicht vor.
In ihrem knappen Nachwort (157f.) konzentrieren sich Kathrin Utz Tremp und Georg Modestin auf zwei Thesen, die Andreas Blauert 1989 bezüglich der frühen Schweizer Hexenverfolgungen aufgestellt hatte. Gestützt auf die Untersuchungen von Martine Ostero und Georg Modestin, ließ sich Blauerts Annahme bestätigen, Georg von Saluzzo, Bischof von Lausanne, habe eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des neuen Hexenglaubens und dem Aufkommen von Hexereiverfahren gespielt. Dagegen habe sich aber gezeigt, dass es entgegen Blauert bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts keine Rezeption des französisch-westschweizerisch geprägten Hexereikonstrukts auch in der Ostschweiz gegeben habe und man deshalb nicht von einer einzigen Prozesslandschaft sprechen dürfe. Vielmehr sei für das Mittelalter im Gebiet der heutigen Schweiz von drei getrennten Verfolgungsräumen auszugehen, einem westlichen, einem östlichen und einem südlichen, die sich - wenn überhaupt - erst im 16. Jahrhundert miteinander verbanden.
Eine umfängliche Bibliografie beschließt das Tagungsdossier (159-162). Insgesamt stellen die knappen, gut lesbaren, mit zahlreichen Tabellen und Grafiken angereicherten Beiträge die hervorragenden Forschungsergebnisse und Forschungsvorhaben der Lausanner Gruppe anschaulich vor und machen neugierig auf weitere Publikationen.
Rita Voltmer