Ursula Mehler: Auferstanden in Stein. Venezianische Grabmäler im späten Quattrocento, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2001, 190 S., 135 Abb., ISBN 978-3-412-00201-5, EUR 46,00
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Seit mehreren Jahren ist die kunsthistorische Auseinandersetzung mit Grabmälern vom Mittelalter bis zum Barock wieder en vogue, bieten sie doch in dem zunehmend inter- und transdisziplinär ausgerichteten Fach ausnehmend gute Ausgangsbedingungen, um Kunstwerke in einem konkreten historischen Kontext zu interpretieren, einem Kontext, der nicht nur durch die Kunstgeschichte selbst, sondern durch die soziale Erinnerungsfunktion der Monumente und den festgelegten Bezug auf eine Person, ihre Familie und ihre gesellschaftliche Stellung umrissen werden kann. Mit der momentan zu verzeichnenden Hinwendung zu Grabmälern der Renaissance ist dabei insbesondere eine Frage, mit der sich schon Erwin Panofsky und Kurt Bauch auseinandergesetzt haben, erneut in den Mittelpunkt des Interesses getreten - die Frage nämlich, wie Grab- und Denkmal sich zueinander verhalten, und ob durch den die Renaissance unter anderem definierenden Antikenbezug die religiöse Funktion der Monumente von einer profanen Ehrung der Verstorbenen überlagert wird.
Hier setzt auch Ursula Mehler an: Gegenstand ihrer Arbeit sind venezianische Grabmäler mit dem Standbild des Verstorbenen, die im Zeitraum von 1476 bis 1503 entstanden sind und eine lokale Besonderheit der Sepulkralskulptur darstellen. Erklärtes Ziel ihrer Untersuchung ist es, ihre allgemein gehaltene These, "daß christliche Symbole von einem Grabmal zum nächsten weniger werden" (2), mit Vorbildern aus der antiken Sepulkralkunst zu erklären und zu zeigen, dass "der Gedanke des Ehren- und schließlich des Denkmals" bei den zur Rede stehenden Monumenten "eine Rolle spielen dürfte" (2).
Gegliedert ist die Arbeit in zwei unterschiedlich große Teile: einen systematisch angelegten Überblick über die in der Forschung verhandelten Themen samt einem kurzen historischen "Exkurs" zur "politischen Lage" in Venedig, und eine chronologisch geordnete Abhandlung der einzelnen Monumente, die ihrerseits jeweils in Angaben zum Verstorbenen, eine Beschreibung und die "Ikonographie des Grabmals" unterteilt sind.
Die Verdienste Mehlers liegen in diesem zweiten Teil - bei der Zusammenstellung und Aufarbeitung des vielfältigen kunsthistorischen Materials also, die den Lesern formale, strukturelle und ikonographische Besonderheiten der Werke sukzessive vor Augen führen, durch die monografische Bearbeitung die diversen Programme gut konturieren und zugleich, en passant den Blick für eine Typologie des monumentalen venezianischen Grabmals schärfen. Durch die um die Monumente gruppierte Bereitstellung von Testamenten, Grabreden und Inschriften sowie deren Bezug zur jeweiligen Ikonographie der Gräber treten die Referenzsysteme von christlicher Religion, zeitgenössischer Tugendlehre und politischer Geschichte in den Blick. Einige der Antike entlehnte Ausdrucksformen setzen dabei Glanzlichter auf das streng hierarchisch konstruierte Korsett der (im übrigen seit dem Spätmittelalter erprobten) Monumentformen.
In der Zusammenschau des Materials wird deutlich, dass die Qualitäten jener Männer, denen Standbilder zugestanden wurden, in einem lange tradierten und mehrfach übersetzten Vokabular formuliert wurden, dass Grabmäler politischer Funktionsträger auch zu deren öffentlicher Ehrung errichtet wurden, dass sie meist von den Familien, teils aber auch aus öffentlicher Hand bezahlt wurden. Darüber hinaus wird sichtbar, dass die Wurzeln des ethischen Kanons und einiger Lobformeln bis in die Antike zurückverfolgt werden können - aber nicht notwendig müssen, da sie ohnehin präsent waren. An diesem letzten Punkt, der Frage, welche aktuellen Werte mit den überlieferten Formeln etabliert wurden, könnte man weiterarbeiten; hier könnte der ganz offensichtliche Rückbezug auf die Antike differenziert und in seiner neuzeitlichen Brechung untersucht werden.
Meine Kritik richtet sich gegen die unausgesprochene, aber dennoch die Darstellung leitende Argumentation, dass die Absicht der Ehrung, eine vorgeblich erst in der Neuzeit wieder entdeckte Funktion des Grabes, mit der Loslösung von christlichen Vorstellungen einhergehe - und dass gerade hierfür das Standbild symptomatisch sei, weil es eine antike Monumentform aufgreife. Als Beleg dafür dient ex negativo, dass sich keine anderen, für alle Monumente befriedigenden Erklärungen des Standbildes beibringen lassen (15-18), dass also nur der aktive Bezug auf Rom und seine Ehrenmale hier ausschlaggebend gewesen sein könne. Die Weichen für dieses Vorgehen werden im ersten Teil gestellt, wo weniger eine Methode etabliert als die bekannten Termini affirmiert werden.
Nach einer kurzen Darstellung des Forschungsstandes (3-6) spricht Ursula Mehler einige relevante Probleme an, indem sie die Fragen nach "Porträt und Physiognomik" (11-14), den Status des "Soldaten" (15-18) und die bezeichnenderweise am ausführlichsten besprochene Vorbildfunktion des antiken Rom (19-25) für "Grabmal - Ehrenmal - Denkmal" (25-29) anführt. Hier wird in der Auswahl der tatsächlich berücksichtigten Literatur und der Ausblendung jüngerer Erkenntnisse der Memorialforschung vonseiten der Historiker allerdings auch eine dem eigenen Argument zugute kommende Verengung deutlich. Der Versuch, das Standbild des Verstorbenen zu erklären, verbleibt dabei in den eingefahrenen Bahnen, wenn das Konzept individueller Porträts zwar erst hinterfragt, dann aber doch bestätigt wird - wenn die Statuen also nicht innerhalb eines kulturell kodierten Zeichensystems, sondern als mimetisch definierte Abbilder gelesen werden. Das Bewusstsein für dieses Problem zeigt sich zwar in den Überlegungen zur "Ikonologie des Soldaten", womit die Darstellung der Ritterwürde gemeint ist, wie auch in der missverständlich "Ikonologie des Stehens" benannten und auf einer guten Seite abgehandelten Reflexion der Frage, ob Ritter tatsächlich stehend wiedergegeben wurden (17 f.).
Es werden jedoch keine Versuche unternommen, die Standfigur aus dem zeitgenössischen Kontext zu erklären, sondern hier wird übergangslos auf die Antike und ihre Standbilder zurückgegriffen. So berechtigt dieser Konnex im 15. Jahrhundert ist, so wenig ist das entsprechende Kapitel dazu angetan, diesen Konnex tatsächlich herzustellen. Unter dem Titel "Römisches Vorbild?" verbirgt sich nämlich eine Aufzählung der berühmtesten römischen Gedenkmonumente, deren Zusammenhang mit Venedig (abgesehen von Zitaten so bekannter Theoretiker wie Alberti) nicht hergestellt wird.
Ebenso wenig wird die humanistische Kultur Venedigs im größeren Kontext Italiens verhandelt, wodurch die Topik des allenthalben begegnenden Rombezuges deutlich geworden und das Argument zugleich relativiert worden wäre. Hier hätte man eine Auseinandersetzung mit der vorbildlichen Studie von Patricia Fortini Brown (Venice and Antiquity, New Haven - London 1996) erwartet, die allerdings lediglich Eingang in das Literaturverzeichnis fand.
Aufs Ganze gesehen bietet das Buch, zumal mit seinen zahlreichen, gut reproduzierten Abbildungen und dem sorgfältig recherchierten zweiten Teil, einen sehr hilfreichen Überblick über das venezianische Grabmal mit dem Standbild des Verstorbenen. Für ein weiterreichendes Verständnis der an den Grabmälern praktizierten Ehrung verdienstvoller Venezianer bedarf es indes neuer methodischer Ansätze, die über den Antikenbezug hinaus die spezifisch neuzeitliche Formulierung des Grabdenkmals im gewandelten sozialen Selbstverständnis beleuchten.
Tanja Michalsky