Verena Villinger / Alfred A. Schmid (Hgg.): Hans Fries. Ein Maler an der Zeitenwende, München: Hirmer 2001, 312 S., 220 teilw. farbige Abb., ISBN 978-3-7774-9400-5, EUR 75,80
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Hans Fries ist der bedeutendste Schweizer Maler vor der Reformation. Um 1460 als Sohn eines Bäckers in Freiburg im Üchtland (Fribourg) geboren, lernte er bei dem Berner Maler Hans Bichler/Büchler. Nach einem vermuteten Aufenthalt in Basel im Jahr 1487/88 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Hier hatte er in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts das Amt des Stadtmalers inne und war zudem Ratsherr. Um 1510 zog er nach Bern, wo er 1523 zum letzten Mal genannt wurde. Sein Todesdatum ist unbekannt.
Archivalische Quellen werfen nur Schlaglichter auf seine Biografie. Schon zu Lebzeiten genoss Hans Fries höchste Wertschätzung. Die Berufung zum Freiburger Stadtmaler spricht für sich. Jean Pélerin genannt Viator zählte ihn 1521 in seinem Perspektivtraktat "De artificiali perspectiva" neben Albrecht Dürer, Lucas Cranach dem Älteren, Hans Baldung Grien und Hans Schäufelin zu jenen Künstlern, die "kostbarer seien als Edelsteine". Kein anderer als Hans Fries wurde schließlich im Sommer 1507 ins Berner Dominikanerkloster gerufen, um die Echtheit der blutigen Tränen einer Marienstatue zu beurteilen. Zwei Jahrzehnte später, auf dem Höhepunkt calvinistischer Bilderstürme, berichtet der Chronist Valerius Anshelm freilich spöttisch, der Maler habe die Täuschung nicht erkannt.
Hans Fries war dann lange Zeit vergessen und musste ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erst mühsam "wiederentdeckt" werden. Ergebnis war ein kleines, aber hochkarätiges Werk: 35 originale Gemälde, davon eines heute verschollen sowie zwei Kopien nach verlorenen Bildern, vier Zeichnungen, ein Holzschnitt und die Fassung einer Skulptur. Er stellte - handelt es sich nicht um eine Zufälligkeit der Überlieferung - ausschließlich religiöse Themen dar und schuf vor allem Altartafeln. Das Spektrum dieses schmalen Œuvres und die aus den Quellen vage zu erschließende Biografie lassen eine typische Künstlerkarriere des ausgehenden Spätmittelalters erkennen, die Künstlerisches mit Handwerklichem verbindet.
Die Wurzeln seiner Kunst bleiben im Dunklen. Kurzzeitig lebte Fries in Basel, wo er auf eine rege Kunstproduktion traf. Die Qualität seiner Werke legt nahe, er habe dort den Eindruck überragender Schöpfungen wie den Heilsspiegelaltar des Konrad Witz empfangen. In Freiburg und später wiederum in Bern hatte er Gemälde der so genannten Nelkenmeister vor Augen. Nicht nur der Hochaltar der Freiburger Franziskanerkirche, in die Fries mit dem Antoniusaltar sein Hauptwerk lieferte (Kat. 9), sondern auch das Johannes dem Täufer geweihte Retabel eines Berner Ateliers (unter anderen Kunstmuseum Bern und Kunsthaus Zürich) wirkten sich auf seine Kompositionen aus. Gegen Ende seines Lebens scheint er unter den Einfluss der Malerei von Niklaus Manuel Deutsch geraten zu sein. Gerne schöpfte Fries aus den Werken oberrheinischer Stecher des 15. Jahrhunderts und der süddeutschen Holzschneider seines Saeculums. Maßgebliche Anregungen empfing er aus der Druckgrafik Dürers, über die er schon kurz nach ihrem Erscheinen verfügt haben muss. Ungeachtet der vielen Einflüsse wahrte Fries aber immer Eigenständigkeit. Mit Sorgfalt beobachtete er seine Umwelt, nicht aber, um sie mit größter Naturnähe wiederzugeben, sondern um sie zu einer ganz eigenen, beinahe abstrakten Formenwelt zu stilisieren.
Seit 1927 wurde das Werk des Hans Fries nie mehr umfassend behandelt. Die nun vorliegende Monografie, Begleitpublikation zur Freiburger Ausstellung 2001/2002, entstand aus der Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten. Dem Katalog sind sechs Essays vorgeschaltet. Verena Villiger, Kuratorin der Freiburger Ausstellung, widmet ihren Einleitungsaufsatz der oft mühsamen Spurensuche nach der "verwirrend geheimnisvollen Persönlichkeit" des Malers Hans Fries, über den viel spekuliert, einiges geschrieben, aber doch wenig bekannt ist. Kathrin Utz-Tremp legt in ihrem Beitrag "Die Zeit des Malers Hans Fries" zunächst die historischen Koordinaten fest, innerhalb deren sich Leben und Schaffen des Malers abspielten. Es folgt das Kapitel Alfred A. Schmids zur Biografie und zum Werk von Hans Fries sowie zu seiner Stellung innerhalb der Kunstgeschichte. Ein Kapitel, wiederum verfasst von Verena Villiger, behandelt Hans Fries als Zeichner und bezieht dabei auch die Unterzeichnungen ein. Es versteht sich damit als Bindeglied zu dem nachfolgenden technologisch ausgerichteten Teil, der sich, ebenso von Verena Villiger erarbeitet, mit den handwerklichen Aspekten der Gemälde befasst. Der Artikel von Ivan Andrey betrachtet die Altargemälde des Malers als Teile von Retabeln und versucht, ihr Verhältnis zu den Skulpturen solcher Schreinaltäre zu klären; außerdem stellt Andrey die Frage nach den Auftraggebern des Malers.
Der Werkkatalog bespricht sämtliche Gemälde, je eine Druckgrafik und eine Skulpturenfassung sowie vier Zeichnungen in chronologischer Ordnung. Technologische Beschaffenheit, Restaurierungen, Provenienzen, ursprüngliche Zusammenhänge, ikonographische Besonderheiten, Vorbilder, Zuschreibungs- und Datierungsfragen: das alles wird mustergültig in ausführlichen Kommentaren erörtert. Alle Werke sind großzügig in Farbe abgebildet; Detailaufnahmen zeigen malerische Finessen. Vergleichsabbildungen erschließen die ikonographischen und künstlerischen Quellen des Meisters. Rekonstruktionszeichnungen der in allen Fällen zersprengten Altäre oder fragmentierten Tafeln lassen das, was jedem Museumsbild an Kontext und Aura zwangsläufig verlustig geht, zumindest erahnen.
Alle Werke des Meisters - von einer Wandmalerei abgesehen sind es Tafelgemälde auf Nadelholz - wurden, mit Ausnahme einer seit 1929 verschollenen Heiligen Familie (Kat. 8), im Original untersucht. Infrarotreflektogramme ihrer Unterzeichnungen zeigen einerseits hohe Disziplin und Formverbindlichkeit bis zum ausgeführten Gemälde, manchmal aber doch überraschende Änderungen im Detail. So wurde bei der Marienkrönung des achtteiligen Marienlebens (Kat. 13i) während des Werkprozesses die seltene Darstellung der dreifach personifizierten Dreifaltigkeit zu Gunsten des gängigen Kanons Gottvater-Gottsohn-Heiliggeisttaube aufgegeben. Auf dem Antonius-Altar von 1506 (Kat. 9) fiel - leider! - die köstliche Darstellung des Santo in Padua dem korrigierenden Eingriff des Künstlers zum Opfer.
Besprochen werden auch zwei Werke, die nur in späteren Leinwandkopien auf uns gekommen sind: ein seinerzeit offenbar hochberühmter "Christus unter der Last des Kreuzes", dessen Original 1502 möglicherweise für die Niederlassung des Antoniterordens gemalt wurde, und dessen einstigen Rang nicht weniger als elf Kopien und Nachahmungen von augenscheinlich unterschiedlicher Nähe zum Original bezeugen (Kat. 5); ebenso ist das 1517 entstandene Bildnis des Eremiten Niklaus von Flüe in zwei offenbar recht verlässlichen Leinwandkopien des 17. beziehungsweise 18. Jahrhunderts überliefert (Kat. 15).
Dass Hans Fries selbst für eher Handwerkliches herangezogen wurde - die Bemalung von Leuchtern oder die Vergoldung von Wappenschilden -, ist in den Freiburger Quellen vielfach bezeugt. Die Qualität der Polychromie des Himmelfahrts-Christus der Freiburger Kathedrale, eine ansehnliche Schnitzarbeit von 1503, legte nahe, diese Fassung mit Hans Fries in Verbindung zu bringen. Im Katalog wird die 1903 von Josef Zemp ausgesprochene Zuschreibung erneut erörtert und um wesentliche Argumente erweitert (Kat. 21).
Ein etwas hölzern daherkommender "Hl. Wenzel zwischen Engeln als Schildhaltern" stellt Hans Fries als Holzschneider vor (Kat. 16). Das mit HF und dem hausmarkenartigen Zeichen des Künstlers versehene Blatt ist Titel des 1499 von Konrad Stahel aus Blaubeuren in Brünn gedruckten "Psalterium Olomucense". Stilistische Eigenheiten des Hans Fries wie die schlanken Figuren mit feingliedrigen Händen und der Hang zu einer quasi ornamentalen Organisation der Bildebene finden auch in einem Medium ihren Wiederhall, das für ihn sonst nicht bezeugt ist. Der Holzschnitt gab früher Anlass zu der Hypothese einer Künstlerwanderung, doch genügt zur Erklärung der Autorschaft der Hinweis auf die engen Verbindungen des Offizianten Stahel zur oberrheinischen Druckerszene. Die auf uns gekommenen Handzeichnungen des Hans Fries - die lavierte Federzeichnung einer heiligen Klara, zwei köstliche Federzeichnungen auf getöntem Papier mit der thronenden Muttergottes und schließlich die Kohle- oder Kreidezeichnung der Assumptio Mariae - lassen schließlich höchste zeichnerische Kultur erkennen.
Beigegeben sind einige falsche Zuschreibungen. Die archivalischen Quellen zu Fries wurden von Kathrin Utz-Tremp neu gelesen und in einem umfassenden Anhang ediert. Endlich sei noch die Freiburger Ausstellung lobend erwähnt, die für wenige Monate die im Katalog besprochenen Werke versammelte, mit Ausnahme der verschollenen Marientafel (Kat. 8) und der Münchner Altarflügel (Kat. 3 und 4), deren fragiler Zustand eine Ausleihe nicht erlaubte.
Der von dem bewährten Basler Grafiker Urs Graf (sic!) anspruchsvoll gestaltete Katalog ist über die von ihm begleitete Ausstellung hinaus ein Beitrag zur - sieht man von Konrad Witz ab - noch nicht recht im Bewusstsein verankerten Schweizer Malerei der Spätgotik. Nach dem Willen der Autoren versteht er sich zwar allenfalls als Grundlage einer künftigen Beschäftigung mit Hans Fries, doch wird man ohne jede Übertreibung ein "unentbehrlich" anfügen dürfen.
Christof Metzger