Rezension über:

Hagen Keller: Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, 319 S., 11 s/w-Abb., 1 Stammtafel, 1 Tab., ISBN 978-3-534-15998-7, EUR 34,90
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Rezension von:
Ludger Körntgen
Historisches Seminar, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Ludger Körntgen: Rezension von: Hagen Keller: Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 2 [15.02.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/02/1611.html


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Hagen Keller: Ottonische Königsherrschaft

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Das ottonische Königtum ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Gegenstand grundlegender Neubewertungen und methodischer Diskussionen, die zum großen Teil auch über die Epoche hinaus exemplarische Bedeutung beanspruchen können. Das allein rechtfertigt schon die Initiative, zentrale Beiträge eines der wirksamsten Protagonisten der Neuorientierung in einem Band zu vereinigen und einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren, für die der Griff zu den fachwissenschaftlichen Zeitschriften nicht selbstverständlich ist. Dabei konnte es nicht darum gehen, die thematische und methodische Weite der Forschungen des kürzlich emeritierten Münsteraner Mediävisten Hagen Keller abzubilden. Wiedergegeben werden vielmehr einzelne Beiträge, die im Hinblick auf Methoden und Ergebnisse neue Wege eröffnet und der weiteren Forschung die Richtung gewiesen haben. Beim ansonsten unveränderten Wiederabdruck sind missverständliche aktualisierende Formulierungen in den Anmerkungen getilgt worden. Gerd Althoff, Münsteraner Kollege und langjähriger wissenschaftlicher Wegbegleiter Kellers, hat als Vorwort eine kurze und prägnante Würdigung der Forschungsbeiträge aus zwei Jahrzehnten beigesteuert.

In der Zusammenschau entsteht gewissermaßen ein Ersatz für eine "Verfassungsgeschichte" des 10. und frühen 11. Jahrhunderts - ein "Ersatz" freilich schon deshalb, weil gerade die Forschungen Hagen Kellers immer wieder mit der Begrifflichkeit traditioneller Verfassungsgeschichte ringen und deren Untauglichkeit für die Beschreibung und Analyse früh- und hochmittelalterlicher Königsherrschaft nachweisen. Dieses Leitthema wird programmatisch im ersten, erstmals 1989 vorgelegten Beitrag "Zum Charakter der 'Staatlichkeit' zwischen karolingischer Reichsreform und hochmittelalterlichem Herrschaftsausbau" (11-21) entfaltet. Die Problematisierung mittelalterlicher "Staatlichkeit" hat Keller auf neue Grundlagen gestellt, indem er die alten verfassungsgeschichtlichen Fragestellungen mit den Methoden und Ergebnissen der von seinem Freiburger Lehrer Gerd Tellenbach und dessen Nachfolger Karl Schmid initiierten personen- und adelsgeschichtlichen Forschungen vermittelte.

Die Suche nach transpersonalen Strukturen und ideellen Vorläufern des neuzeitlichen Staates wurde durch eine radikalere Fragestellung abgelöst, die zugleich deutlicher auf die Wirklichkeit bezogen ist: Wie erklärt sich die unbestreitbare Kontinuität der im 10. Jahrhundert ausgebildeten Herrschaftsordnung, die auf institutionelle Sicherungen weitgehend verzichtete? Kellers Beiträge geben zwei komplementäre Antworten: Die Herrschaftsordnung erweist sich als ein polyzentrisches Gefüge personaler Bindungen, dessen Anfälligkeit durch die Legitimationskraft sakraler Herrschaftsbegründung aufgefangen wird. Die wesentlichen "Grundlagen ottonischer Königsherrschaft" (22-33, 1985) sind nicht materielle Ressourcen; diese erhalten ihren Stellenwert vielmehr erst im kontinuierlichen Austausch, der eine Vielfalt von Gruppenbindungen und Loyalitäten vermittelt. In diesem Horizont lässt sich die ursprüngliche räumliche Begrenzung intensiverer Königsherrschaft und ihre langsame Ausdehnung auf die süddeutschen Herzogtümer erkennen ("Reichsstruktur und Herrschaftsauffassung in ottonisch-frühsalischer Zeit", 51-90, 1982). Auch die herrscherliche Rechtswahrung bezieht sich nicht auf Recht und Gerechtigkeit als eigenständige Sphäre, sondern bleibt eingebunden in die Vielfalt königlicher Handlungsmöglichkeiten zwischen Belohnen und Bestrafen, Schenken und Vermitteln ("Die Idee der Gerechtigkeit und die Praxis königlicher Rechtswahrung im Reich der Ottonen", 34-50, 1997).

Rechts- und Friedenswahrung verweisen zugleich in den Raum religiöser Verpflichtung und sakraler Legitimation, der besonders durch die ottonischen Herrscherbilder erschlossen wird ("Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler", 167-183, 1985). Im Hinblick darauf hat Keller die Aufgabe formuliert, den herrschaftstheologischen Anspruch der Bilder mit ihrem liturgischen Überlieferungskontext zu vermitteln. Diese Verbindung von Gehalt und Kontext der Quellen wird noch ausführlicher in einem der beiden jüngsten Beiträge thematisiert, der die Entwicklung des herrscherlichen Siegelbildes als Ausdruck des Wandels der kommunikativen Praxis deutet und die aktuelle Präsenz des Herrschers ebenso wie die Vermittlung sakraler Herrschaftsvorstellungen als Intention der Darstellung begreift ("Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext. Die Bedeutung der Ottonenzeit für die Entwicklung von Siegelbild und Siegelurkunde", 131-166, 1997).

Wie wichtig trotz solcher Erweiterung der Methoden und Fragestellungen die philologisch orientierte Kritik der klassischen historiografischen Quellen bleibt, demonstriert die minutiöse Widukind-Interpretation, die versucht, den dominanten Bericht der Sachsengeschichte von der Aachener Krönung Ottos des Großen im Jahr 936 mit Karl Schmids These einer Königserhebung des Thronfolgers noch zu Lebzeiten des Vaters zu vermitteln ("Widukinds Bericht über die Aachener Wahl und Krönung Ottos I.", 91-130, 1995).

Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie nicht nur Wegmarken der jüngsten Forschungsgeschichte erkennen lassen, sondern auch in die weiterhin aktuelle Debatte einführen. Noch in anderer Hinsicht ist der vorliegende Band offen: Zu allen Fragestellungen lassen sich weitere Beiträge des Autors ergänzend und vertiefend heranziehen, die Sammlung fordert also zum Weiterlesen auf.


Ludger Körntgen