Walther L. Bernecker: Spanische Geschichte. Von der Reconquista bis heute, Darmstadt: Primus Verlag 2002, 248 S., 2 Karten, ISBN 978-3-89678-422-3, EUR 19,90
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Mit dem vorliegenden Buch hat der bekannte Fachmann für spanische und lateinamerikanische Geschichte, Walther Bernecker, eine bündige und gut lesbare Überblicksdarstellung zur Geschichte Spaniens vorgelegt. Mit dieser schließt er an andere gelungene Einführungs- und Nachschlagewerke an, die er in den letzten zwölf Jahren allein oder mit anderen verfasst oder herausgegeben hat, - so zum Beispiel das "Spanien-Lexikon" (München, 1990), die "Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert" (Frankfurt a.M., 2. Aufl., 1991), das Buch "Spanien heute" (Frankfurt a.M., 1991), die "Geschichte Spaniens" (gemeinsam mit Horst Pietschmann; Stuttgart, 1993) und die "Kleine Geschichte Haitis" (Frankfurt a.M., 1996).
Berneckers "Spanische Geschichte" ist in zehn Kapitel untergliedert und reicht von der dynastischen Einigung Spaniens unter den katholischen Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragonien bis zur zweiten Regierung von José María Aznar. Zeigen die ersten beiden Kapitel den Aufstieg Spaniens zur Weltmacht unter den "Trastámaras" und den Habsburgern Karl V. und Philipp II., so wird im dritten Kapitel der wirtschaftliche, politische und militärische Niedergang des Landes unter den "Austrias menores" - Philipp III., Philipp IV. und Karl II. - beschrieben. Diesem folgt eine Darstellung des Dynastiewechsels und der Reformbestrebungen des 18. Jahrhunderts unter den Bourbonen. Kapitel V beleuchtet den eher knappen, aber von großen Umbrüchen geprägten Zeitraum von der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen bis zum Verlust der amerikanischen Kolonien in den Zwanzigerjahren des 19. Jahrhunderts. Die beiden folgenden Abschnitte behandeln die wechselhafte Entwicklung bis zum Beginn der Diktatur Primo de Riveras (1923-1931). Die letzten drei Kapitel sind dem zwanzigsten Jahrhundert gewidmet: Zweite Republik und Bürgerkrieg; Franco-Ära; Wiederherstellung der Demokratie, Einrichtung der Autonomiestatute (Baskenland und Katalonien), wirtschaftliche Modernisierung und Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft.
Am Beginn eines jeden Abschnitts findet sich eine kurze und übersichtliche Zeittafel, in der die wichtigsten Daten zur Ereignisgeschichte angegeben werden. An diesen Tafeln lässt sich auch sofort ablesen, wo die Stärken des Buches liegen, nämlich in den Bereichen der Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Souverän handhabt Bernecker nicht nur das Problem der Präsentation der wichtigsten diesbezüglichen Fakten auf knappem Raum, sondern er versteht es auch, in unaufdringlicher Weise die großen Forschungsdebatten der spanischen Geschichte darzustellen. So fasst er gleich zu Beginn des Buches (11-13) die verschiedenen Meinungen zum Problem der Sonderstellung Spaniens im Mittelalter zusammen. Wie sehr die "convivencia" - das Zusammenleben der drei großen religiös-kulturellen Gruppen Spaniens (des Christentums, des Islam und des Judentums) - und das Ende dieses Miteinander- und Nebeneinanderlebens in der Frühen Neuzeit Spaniens Geschichte beeinflusste, wurde von namhaften Historikern und Denkern, von América Castro und Claudia Sánchez-Albornoz bis hin zu Juan Goytisolo, teilweise sehr leidenschaftlich diskutiert.
Bernecker gelingt eine abwägende Darstellung dieser Diskussion, ohne zu harmonisieren, und er erlaubt es dem Leser auf diese Weise, sich auf den Weg zu einem eigenen Urteil zu machen. Das Gleiche gilt für die Diskussion über die Rolle der Inquisition und die Verfolgung der "conversos", der zum Christentum konvertierten Juden, für die Bernecker die gegensätzlichen Positionen von Benzion Netanyahu und Antonio Domínguez Ortiz skizziert (16-18), oder die Frage, welche Gründe für das Scheitern der Zweiten Republik und den Ausbruch des Bürgerkriegs verantwortlich gemacht werden können (hier zeichnet der Autor die Positionen Pierre Vilars und Edward Malefakis' nach; 158f.). Eine weitere, heftig diskutierte Forschungsfrage betrifft die Diskussion um die während des Bürgerkriegs begangenen Grausamkeiten und die umstrittenen Opferzahlen, die dieser forderte; für diese Problemkreise werden die Veröffentlichungen von Hugh Thomas, Ramón Salas und Manuel Túñón de Lara genannt (175).
Im Vergleich zur meisterhaft präsentierten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Geschichte findet die auf der Rückseite des Buches ebenfalls angekündigte Kulturgeschichte weniger Berücksichtigung. Von einigen Vertretern der Literatur und der Kunst des "Siglo de Oro", wie Cervantes (34), Calderón (58, 71) Lope de Vega (58), El Greco (58-59) oder Murillo (58), und für die spätere Zeit von Goya (101) einmal abgesehen, wird man vergeblich nach wichtigen Vertretern der spanischen Kunst- oder Literaturgeschichte suchen. Da die genannten Autoren und Maler in einem organischen Zusammenhang mit der Sozialgeschichte genannt werden, möchte man vermuten, dass es gar nicht in der Absicht des Verfassers lag, kulturgeschichtliche Gesichtspunkte gesondert zu behandeln, und dass der (vom Verlag formulierte?) "Klappentext" einfach mehr verspricht, als das Buch halten wollte.
Ein weiterer Nachteil des Buches liegt darin, dass es geschlechtsblind ist. Die Frage, wie Frauen im Unterschied zu Männern, aber auch Männer im Unterschied zu Frauen, in den fünf Jahrhunderten nach der dynastischen Einigung Spaniens lebten, wird leider nicht gestellt. Einzig auf Seite 110 findet sich der Satz: "Die große Mehrheit der Bevölkerung, die Frauen, Indianervölker, Schwarze und Mulatten, mußten sich ihren Platz in den neuen Gesellschaften erst noch erkämpfen. Dieser Emanzipationsprozeß dauert bis heute an." Gerade über diesen sozialen Ausschluss und den Kampf um rechtliche, soziale und kulturelle Gleichberechtigung (Wahlrecht für Frauen, Zulassung zu höheren Bildungseinrichtungen) würden manche Leserinnen und Leser am Beginn des dritten Jahrtausends wohl gern mehr erfahren.
Eine Antwort auf die Fragen, warum die Kulturgeschichte nur nebensächlich behandelt wird - Federico García Lorca, Salvador Dalí, Joan Miró oder Pedro Almodóvar bleiben unerwähnt - und warum auch der Gender-Aspekt ausgeblendet wird, findet sich im Buch nicht, denn es hat - und das ist ein wirkliches Manko - keine Einleitung. In dieser hätte dargestellt werden können, warum der Kultur- und Geschlechtergeschichte fast kein Raum gegeben wird. So langweilig Einleitungen bisweilen auch sein mögen, in einem Überblickswerk scheinen sie mir unverzichtbar zu sein. Zu Beginn eines solchen Buches muss meines Erachtens dargelegt werden, welche Epocheneinteilung getroffen wurde, welche Gründe für diese Einteilung sprechen und welche Aspekte des menschlichen Zusammenlebens herausgegriffen und dargestellt werden sollen. Ein halbseitiger Klappentext kann eine Einleitung nicht ersetzen.
Die genannten Nachteile sind um so mehr zu bedauern, als das Buch viele Vorzüge hat, die es zu einem Standardwerk werden lassen könnten: die Verlässlichkeit der gelieferten Information, die gute Lesbarkeit, die schlüssige Gliederung, die Diskussion wichtiger Forschungsfragen und nicht zuletzt die ausgezeichnete Bibliografie. Vielleicht lassen sich die genannten Mängel für eine zweite Auflage beheben; Bedarf an einer kurzen Einführung in die spanische Geschichte besteht im deutschen Sprachraum allemal.
Christopher Laferl