Mark Grimsley / Clifford J. Rogers (eds.): Civilians in the Path of War (= Studies in War, Society, and the Military), Lincoln: University of Nebraska Press 2002, XXVI + 280 S., ISBN 978-0-8032-2182-6, USD 50,00
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Titel (und Schutzumschlag) sind in gewisser Hinsicht erst einmal irreführend. Sie erwecken den Eindruck, es ginge um Opferhistoriographie, gar Betroffenheitsgeschichte - mitnichten. Das Buch handelt von den Motiven der politischen und militärischen Führung, wenn man so will: der "Täter". Andererseits ist der Titel auch geschickt gewählt, spiegelt er doch die funktionalistische These, der viele der Beiträger verpflichtet sind: Dieser Band versammelt Aufsätze, die kaum von gezielten Terrorakten gegen die Zivilbevölkerung sprechen, dagegen häufig von Nichtkombattanten, die Opfer von militärischen Aktivitäten werden, die nicht gezielt gegen sie gerichtet sind. In "Civilians in the Path of War" erleiden Zivilisten vor allem deswegen Schaden an Leib und Gut, weil sie in einem sehr wörtlichen Sinne in den Weg des Krieges geraten; weil der Krieg geradezu über sie stolpert, da sie das Pech haben, an seinem Pfad zu leben. Wenn sich dabei gelegentlich der Gedanke einschlich, über das Leid der Zivilbevölkerung auch Druck auf die politischen Institutionen des Kriegsgegners auszuüben, den Durchhaltewillen einer Gesamtgesellschaft im Kriege direkt zu beeinflussen, so erscheint das in diesem Buch meist fast als nachträglicher Einfall, als Selbstrechtfertigung von Grenzverletzungen in einer Grauzone des Kriegsgebrauches.
Die Beiträge des Bandes sind aus einer Tagung hervorgegangen, die bereits 1993 in Columbus (Ohio) stattgefunden hat. Im Gegensatz zu manch anderem Konferenzband sind die hier versammelten Aufsätze mit wenigen Ausnahmen von erstaunlicher Kohärenz und erkennbarer Konzentration auf eine übergreifende Fragestellung geprägt. Die gelegentlichen Bezugnahmen auf andere Beiträge des Werkes mögen den Herausgebern geschuldet sein; aber dass ein Sammelband mit neun Aufsätzen, die einen Zeitraum von über 2000 Jahren umspannen, eine erkennbare rote Linie, fast eine Art durchgehende These hat, die nicht etwa nur von einem nachträglich geschriebenen Vorwort gestiftet wird, ist schon sehr beachtlich. Diese These nun lautet, kurzgefasst: Die Entscheidung, im Krieg Nichtkombattanten in der Regel zu verschonen, ist instrumental - der Entschluss, es im Einzelfall eben doch nicht zu tun, ebenfalls.
Zivilisten werden zu Opfern des Krieges, weil der Unterhalt oder die Sicherheit der Streitkräfte (der fremden oder der eigenen) anders nicht erreicht werden kann; weil sie unglücklicher Weise in belagerten Städten oder in als "cordon sanitaire" vorgesehenen Regionen zu wohnen; weil Partisanenkrieg, Seeblockade oder Luftkrieg keine Grenzen zwischen Militär und Zivil kennen (können); weil durch Gewalt gegen die Zivilbevölkerung der politischen Führung oder Dritten die Zwecklosigkeit von Widerstand vor Augen geführt werden soll. Kriegsgebrauch und Kriegsvölkerrecht, die letztlich auch nur instrumental sind, werden dem jeweiligen Bedarf entsprechend gedehnt und gebeugt. Zweckfreien Terror gibt es entweder überhaupt nicht, oder er ist zumindest nicht das Thema dieses Sammelbandes.
Bei aller Plausibilität der einzelnen Beiträge sind gewisse Ansätze von Apologetik doch nicht zu verkennen: Am Ende ist jedes Handeln irgendwie instrumental, auch wenn die Ziele gelegentlich nur in der verzerrten Weltsicht der Akteure Sinn machen. Dennoch bleibt ein roter Faden, der sich durch fast alle (mit dem Landkrieg befassten) Beiträge zieht, bedenkenswert: Vom Standpunkt militärischer Disziplin, im Hinblick auf die Kampffähigkeit der Truppe ist jede Ausschreitung gegen Zivilisten, ob Plünderung, Brandschatzung, Vergewaltigung oder Mord, unmittelbar erst einmal kontraproduktiv.
Die einzelnen Beiträge sind erwartungsgemäß von unterschiedlicher Qualität, aber im Schnitt flüssig geschrieben und aufschlussreich. Leider gehören gerade die beiden Aufsätze, die das Buch einrahmen, der von Paul A. Rahe über den Peloponnesischen Krieg und der von Williamson Murray über den Zweiten Golfkrieg, zu den unbefriedigenderen. Rahe traktiert den Leser mit ausgedehnter Textexegese, gespickt von in Klammern notierten Quellenangaben und griechischen Fachtermini, ohne die Quellenebene auch nur einmal für eine übergreifende Interpretation zu verlassen. Das mag den Althistoriker freuen, steht aber für den Nichtfachmann dem Verständnis eher im Wege (von der Lesefreude gar nicht zu reden). Murrays Beitrag ist knapp und oberflächlich und enthält keine Erkenntnisse, die dem Zeitungsleser nicht vertraut wären, was bei einem so kurz zurück liegenden Ereignis auch nicht anders zu erwarten ist.
Die eigentliche Stärke des Bandes liegt in den gelungenen vier Aufsätzen, die sich dem Mittelalter, der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert widmen. Hier mag der Fachmann für die Militärgeschichte der jeweiligen Epoche zwar nichts wirklich Neues erfahren, aber die Darstellung ist dicht und verständlich, die Interpretation schlüssig und gut präsentiert. Allenfalls mag man Clifford J. Rogers Abhandlung über Heeresernährung, Plünderungen, Raubzüge und Belagerungen im Hundertjährigen Krieg etwas langatmig finden, aber da die wenigsten Leser Experten für Militärgeschichte des Mittelalters sein dürften (der Rezensent ist es jedenfalls nicht), sind die methodischen Beschränkungen des Erkenntnisgewinns über die Kriegführung dieser Ära, zumal anschaulich dargestellt, durchaus nicht uninteressant. Inhaltlich nahtlos schließen sich die folgenden Beiträge an: John A. Lynn über die teils geplante, teils den Charakteristika frühneuzeitlicher Heere geschuldete Plünderung und Verwüstung Südwestdeutschlands durch die Heere Ludwigs XIV., T.C.W. Blanning über den Kontrast zwischen revolutionärer Befreiungsrhethorik und Realitäten der Kriegführung in den Feldzügen der Französischen Revolution und Mark Grimsley über den Amerikanischen Sezessionskrieg. Der rote Faden aller vier Aufsätze ist die Erkenntnis, dass Krieg, der aus dem Lande lebt, immer zu Lasten der Zivilbevölkerung geht; dass er sich damit bereits in einer Grauzone bewegt, in der es nur mehr ein kleiner Schritt ist zum bewussten Einsatz von Plünderung und Verwüstung, um vom Gegner nicht nutzbare Sicherheitszonen zu schaffen, die Wirtschaft des Kriegsgegners zu schädigen oder den Angriff auf die Moral der gegnerischen Gesellschaft auszudehnen.
Wo Mark Grimsley in seinem anregenden Beitrag zum direkten Vergleich anhebt zwischen der Kriegführung der U.S. Army gegen die Konföderation und der gegen die Indianer an der "Frontier", greift er über die europäische Perspektive hinaus und begibt sich auf ein Feld, dass in einem derart umfassend angelegten Sammelband vielleicht mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte - Kriegsgebrauch und Kriegsvölkerrecht galten schon immer nur eingeschränkt für Nichteuropäer: Rassismus, der den Anderen nicht als aller Menschenrechte teilhaftig ansah, spielte dabei ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass außereuropäische Kriegsgegner häufig keine dem Europäer zugängliche staatliche Organisation hatten und sich der Mittel des Partisanen- oder Guerillakriegs bedienten. In diesem Sinne hätten ein, zwei Beiträge über Kolonialkriege des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts interessante Vergleichsmöglichkeiten bieten können; so muss man sich für derartige Anknüpfungspunkte mit Truman O. Andersons Fallstudie über den Partisanenkrieg in der Ukraine während der deutsch-ungarischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg begnügen, die zwar detailliert und anschaulich, aber letztlich bar übergreifender Erkenntnisse ist.
Holger H. Herwigs umfassende Abhandlung zu Deutschland von 1871 bis 1945 fokussiert auf die bekannte These, das deutsche Offizierkorps habe, ausgelöst durch den Erfolg in den Einigungskriegen, sich bereitwillig verleiten lassen, militärische Effizienz zu verabsolutieren und moralische wie kriegsvölkerrechtliche Erwägungen zunehmend und am Schluss radikal hintanzustellen. Conrad C. Crane liefert eine anregende und übersichtliche Analyse der Entwicklung der strategischen Bombenkriegsdoktrin der U.S. Air Force.
Ein Ärgernis des Bandes sind, wie so häufig, die computergenerierten Karten. Auf den Europakarten zur Zwischenkriegszeit (167/227) sind zahlreiche Grenzen geradezu abenteuerlich falsch dargestellt, geben den Zustand von 1914, im schlimmsten Falle gar von 1864 wieder. Auch die Beschriftung zeugt von einer gewissen Fantasie ("Luthuania").
Im Großen und Ganzen aber ein gelungenes und lesenswertes Buch, zumal für einen Konferenzband.
Dierk Walter