Guido Hinterkeuser / Jörg Meiner (Bearb.): Aspekte der Kunst und Architektur in Berlin um 1700, Potsdam: Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg 2002, 188 S., EUR 36,00
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Die Forschung zur Kunstgeschichte Berlins um 1700 ist um einen wertvollen Band reicher geworden. Ohnehin ist diese bewegte Zeit beziehungsweise die Wirkung des energischen Friedrichs III./I. und seiner Entourage auf die Kulturgeschichte Preußens und den Absolutismus in Europa nur lückenhaft erforscht. Immer noch fehlen darüber hinaus ganzheitliche Darstellungen dieser Epoche der Selbstetablierung eines sehr dynamischen Herrscherhauses, dessen Streben nach Standeserhöhung reiche Früchte trug: 1688 Kurfürstentum, 1701 Königtum Preußen. Die visuellen Strategien, die den Karriereweg Friedrichs III./I. begleiteten, waren von der ehrgeizigen Zielorientierung des Herrschers geprägt und hatten sich gegen eine starke, europäische Konkurrenz wie Frankreich oder Österreich zu behaupten. Vor diesem Hintergrund ist deshalb der fokussierte Blickwinkel auf einen Repräsentativbau wie Charlottenburg besonders ergiebig, zumal die Vollendung des Baus unmittelbar vor dem Aufstieg der Hohenzollern in den Olymp der europäischen Königshäuser liegt: Charlottenburg als Sitz der zukünftigen Königin Sophie Charlotte und als Teil eines Repräsentationsprogramms, das den Weg zum Königtum ebnen half?
Mit dieser übergeordneten Frage und anderen wichtigen Aspekten beschäftigt sich der Tagungsband "Aspekte der Kunst und Architektur in Berlin um 1700". Er ist die Frucht eines Kolloquiums im Rahmen einer Jubiläumsausstellung in Charlottenburg (ehemals Lietzenburg) selbst, die 1999, 300 Jahre nach der Einweihung des Schlosses, zu sehen war.
Der themenreiche Tagungsband - mit 12 Aufsätzen und einem sehr hilfreichen, in diesem Rahmen nicht unbedingt üblichen Personenregister - ist in zwei Kapitel (jeweils mit einer kurzen Einführung) unterteilt: Der erste Komplex ist kulturhistorischen Fragen gewidmet, welche die Architektur und Ausstattung von Charlottenburg ebenso betreffen wie das kulturelle Hofleben, in dessen Zentrum die eigentliche Hausherrin Sophie Charlotte (1668-1705) stand. Der zweite Teil ist der Grafik vorbehalten, die weniger wegen der parallelen Ausstellung im Schloss thematisiert wurde, als vielmehr einem Aufschwung neuer Forschungsergebnisse zu Berliner Architekturzeichnungen geschuldet ist. Neu sind dabei besonders Zuschreibungsfragen bezüglich der Architekten Andreas Schlüter, Johann Friedrich Eosander, Jean de Bodt, Jean Baptiste Broebes und dem bisher kaum beachteten Werk von T. Henry Reetz.
Der erste Teil dürfte ein breites Leserpublikum interessieren, da exemplarisch anhand bedeutender und bisher wenig beachteter Beispiele höfischen Lebens und höfischer Kunst Erkenntnisse über besonders interessante Aspekte der Funktion von Kunst geboten werden, während zumindest die Texte des zweiten Teils vermutlich leider nur ein sehr spezielles Fachpublikum erreichen werden.
Schwungvoll und interessant ist gleich der Auftakt von Cordula Bischoff, die mit ihrem Beitrag zur Porzellansammlungspolitik im Hause Brandenburg klarstellen kann, welch großen Anteil das von der Kunstgeschichtsforschung immer wieder unterschätzte Kunsthandwerk am repräsentativen Gesamtbild des Herrscherhauses hatte. War die Porzellansammlung bislang "Frauensache" und bis 1685 weitgehend auf die Niederlande beschränkt, so ist Friedrich I./III. als der erste seines Geschlechts anzusehen, der seine Porzellankabinette selbst bestellte. Und dies aus gutem Grund: Seine nach allen Regeln der Sammlerkunst zusammengetragenen und ausgestellten Exponate waren hocheffiziente Hinweise auf die guten Verbindungen des Noch-Fürsten nach Holland und seine begründeten Hoffnungen auf die Nachfolge Wilhelms III. von Oranien. In diesem politisierten Sinne erhielt in dieser Zeit jedes Hohenzollernschloss ein Porzellankabinett.
Ähnlich bedeutend und in seiner Genese eine Pionierleistung war neben dem Porzellankabinett das "Gläserne Schlafgemach" in Charlottenburg. Jörg Meiner konzentriert sich in seinem konzisen Artikel auf die Ikonographie der Ausstattung dieses intimen, aber dennoch auf Repräsentation ausgerichteten Raumes von Sophie Charlotte. Seine Deutung spielt auf die Darstellung der "Weltweisheit" an, die nicht als Allegorie erfahrbar wird, sondern vielmehr in der Synthese der Gesamtausstattung zu finden ist. Ähnlich wie beim exotischen Porzellan ist auch das Schlafgemach - wie der Name schon suggeriert - mit zahlreichen Spiegeln ausgestattet, die zum Ende des 17. Jahrhunderts nichts Selbstverständliches waren, gehörten doch Spiegel selbst nach Erfindung des Gießverfahrens (1688) noch immer zu den teuersten Gegenständen einer Raumdekoration.
In Meiners plausibler Deutung stehen die lichtbündelnden Spiegel nicht nur für selbstreflexive Weisheit, sondern darüber hinaus für die Reflexion der Seele des Betrachters. Ist diese aber im Spiegelbild noch an den Körper des Betrachters gebunden, wird sie schließlich im Deckenfresko von ihren körperlichen Fesseln befreit, wenn Psyche - von Hermes geführt - in den olympischen Himmel aufsteigt. Die hochgelehrte Sophie Charlotte, deren geistiger Mentor Leibniz war, hat ihren Glauben mit einem Rekurs auf die zeitgenossische Philosophie inszeniert, indem sie den Betrachter durch die Spiegel zum Protagonisten beförderte. Unkonventionell, gewitzt und geistreich war ihre Idee vom Besucher als Hort und Betrachter der Seele, deren "psychische" Himmelfahrt von ihrer Unsterblichkeit zeugt.
Ähnlich gelehrt, doch weniger geistreich scheint einem nach diesem kurzen Traumausflug in die Wunderwelt des Lichts und der Seelenwanderung der Telemach-Zyklus von Augustin Terwesten in Charlottenburgs Alter Galerie. Iris Wenderholm weist zurecht auf die Bedeutung der Mythologie hin, die gerade um 1700 eine wahre Euphorie der Roman-, Theater- und Opernproduktion zu diesem Thema an den absolutistischen Höfen auslöste. Für die Alte Galerie ließ Sophie Charlotte 10 Szenen malen und als Supraporten anbringen. Dabei scheint sie didaktische Ambitionen gehabt zu haben. Denn in den "Conversations sur le livre de Télémaque", die 1700 im Auftrag Sophie Charlottes veröffentlicht wurden und in denen sie selbst die Hauptrolle der Göttin Minerva spielt, geht es letztendlich um die Erziehung ihres Prinzensohnes zum tugendhaften Idealherrscher. Terwestens 10 Gemälde heben förmlich den moralischen Zeigefinger über den Köpfen der Betrachter, können aber bei aller Gelehrtheit wegen ihres schlechten Malstils nur mäßig überzeugen.
Charlottenburg als Kleinod tiefsinniger Kunstsammlung und Raumausstattung war auch der Ausgangspunkt des berühmten Bernsteinzimmers, das bekanntlich erst später von Friedrich Wilhelm I. an den russischen Zarenhof verschenkt wurde. Mit detektivischer Akribie, bei lückenloser Angabe allerlei Breiten- und Längenmaße, gelingt es Goerd Peschken, jenen Raum im Charlottenburger Schloss zu ermitteln, den die bei Kriegsende mysteriös verschwundene Ausstattung ursprünglich schmückte. Ergebnis: Die rote Kammer. Die zukünftige Forschung kann auf dieser Erkenntnis aufbauen, wenn es um die ikonologische Entschlüsselung des Bernsteinzimmers geht.
Die nun folgenden Aufsätze verlassen die monolokale Betrachtung Charlottenburgs. Wenn sie auch den Blick ausweiten auf die vielen anderen Berliner Bauten um 1700, deren Ausstattung und deren Architekturzeichnungen, so gewinnen sie jedoch nicht mehr den umfassenden Tiefgang von kulturgeschichtlicher Relevanz, wie es den Charlottenburger Detailbetrachtungen gelungen war. Das schwungvolle erste Drittel des Aufsatzbandes wird nun gebremst von einer positivistischen Kunstgeschichte, die nicht um ihre wissenschaftliche Legitimation, aber dennoch bisweilen um die Geduld des Lesers fürchten muss, der den Sinn so mancher Datierungs- und Händescheidungsversuche nicht immer verstehen wird.
Das kann jedoch den Wert der Berliner Architekturzeichnungen in keiner Weise schmälern. Ihnen ist die Zweite Hälfte des Bandes gewidmet - mit Recht, wie man feststellen muss, denn zum einen wird die Architekturzeichnung gegenwärtig in der Kunstgeschichtsforschung immer bedeutender - für Baurekonstruktionen ebenso wie für den Werkprozess. Zum anderen bieten die Berliner Architekturzeichnungen Meisterwerke von höchstem Rang, die es verdienen, einem breiten Publikum gezeigt zu werden. In den verschiedenen Aufsätzen, die mit sehr guten Abbildungen versehen sind, kommt der Architekturzeichnung ein geradezu ursprünglicher Quellenwert zu, der viele Berliner Bauten in neuem Licht erscheinen lässt. Hervorragend dokumentiert ist die turbulente Planungs- und Entstehungsgeschichte der Parochialkirche, von deren Zeichnungen einige noch nicht zugeschrieben sind. Beachtlich ist auch Schlüters zart-plastische, lavierte Federzeichnung zum Landhaus Kameke - die einzige auf uns gekommene, die einen ausgeführten Bau Schlüters betrifft, sofern sie wirklich von Schlüter ist, was der Autor Guido Hinterkeuser aber überzeugend nachweisen kann.
Doch spätestens bei den zahllosen Entwurfszeichnungen aus dem Umkreis Johann Fridrich Eosanders und Jean de Bodts wird klar, dass die überproportionale Bedeutung Schlüters für den Berliner Barock nicht in Frage gestellt, aber wenigstens revidiert werden muss. Dafür plädiert auch Hans-Joachim Kuke, der in seinem Artikel zu Jean de Bodt darauf verweist, dass letzterer und Eosander von ihren Zeitgenossen mindestens genauso geschätzt wurden. Die Kunstgeschichte hat - wie wir sehen - in der Preußenforschung noch viel zu tun. Der vorliegende Tagungsband leistet dazu einen konstruktiven Beitrag.
Philipp Zitzlsperger