Zentralinstitut für Kunstgeschichte / Bayerischer Kunstgewerbe-Verein (Hgg.): schön und gut. Positionen des Gestaltens seit 1850. Tagungsband des gleichnamigen Symposiums, 21./22.9.2001, SiemensForum in München (= Schriftenreihe des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins e.V.; Heft 32), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2002, 272 S., 148 Farb-, 368 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06387-7, EUR 49,80
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Auf dem letzten Deutschen Kunsthistorikertag, der Anfang diesen Jahres in Leipzig stattfand, war eine der Sektionen ausschließlich dem Kunstgewerbe gewidmet. Betrachtet man die Geschichte dieser Veranstaltung und ihrer Themen und Sektionen, so ist deutlich, dass dies durchaus nicht selbstverständlich war. Es ist vielmehr Ausdruck sowohl eines verstärkten Interesses, dass diesem Bereich künstlerischer Produktion dieser Tage entgegen gebracht wird, als auch des Wunsches, ein solches weiter anzufachen. Eben diesem Zweck sollte auch das Symposium "Schön und gut" dienen, das durch das Zentralinstitut für Kunstgeschichte und den Bayerischen Kunstgewerbe-Verein am 21. und 22. September 2001 im Siemens-Forum in München veranstaltet wurde.
Auf den dort gehaltenen Vorträgen baut der vorliegende gleichnamige Band auf, der, so die einleitende Bemerkung von Ursula von Haeften, "eine grundlegende Veröffentlichung über die Entwicklung der angewandten Kunst in den letzten 150 Jahren" (12) sein soll. Der gewählte Zeitraum von etwa 1850 bis heute war dabei nur mittelbar durch die Geschichte des Gegenstandes, die angewandte Kunst, motiviert. Ausschlaggebend war vielmehr die Geschichte des Vereins, zu dessen 150 jährigem Jubiläum Symposium und Band in Angriff genommen wurden. Für Herausgeber und Beiträger war dies zweifelsohne Begründung genug für die zeitliche Eingrenzung; über Ansätze in einzelnen Beiträgen hinaus unterbleiben ausdrückliche Reflexionen des gewählten Zeitrahmens und seiner Bedeutung für die Geschichte der angewandten Kunst.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: in einen umfänglichen Abbildungsteil mit kurzen allgemeinen Kommentaren und Informationen zu einzelnen Objekten, mit deren Hilfe die Geschichte des Kunstgewerbes der letzten 150 Jahre am Beispiel kunstgewerblicher Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen des Bayerischen Kunstgewerbevereins dargestellt werden soll, und in einen zweiten Teil, der die Beiträge der beteiligten Autoren zu unterschiedlichen Kapiteln der Geschichte insbesondere von Keramik und Möbeln im gewählten Zeitraum in chronologischer Ordnung umfasst.
Unter diesen Beiträgen beschäftigt sich nur die geringere Zahl ausschließlich mit Kunstgewerbe bayerischer Provenienz, und allein Norbert Götz widmet sich ausdrücklich einem Thema aus der Geschichte des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins. Er zeichnet die Ereignisse vom Beginn des Jahres 1897 bis zum Frühjahr 1898 nach und gibt so eine mikroskopische Bestandsaufnahme der Auseinandersetzung zwischen Historismus und Jugendstil und der Versuche eines Ausgleichs der Gegensätze von Traditionalismus und Moderne innerhalb des Vereins. Lose, zu lose, verknüpft mit der im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend konservativer werdenden Politik des Bayerischen Kunstgewerbevereins werden darüber hinaus nur noch Beispiele in Clementine Schack von Wittenaus Beitrag. Dabei handelt es sich um historistische Möbelproduktion aus Coburg sowie ebensolches Glas und Silber weiterer Hersteller aus Wien und Frankfurt, die sich alle in der Sammlung der Veste Coburg befinden. Der Genius loci konnte jedoch auch zu tief gehenderen Einsichten führen.
In einem vielschichtigen Beitrag untersucht Stefan Muthesius bayerische Anwendungen der von ihm bewusst in ihrer englischen Begrifflichkeit "interior decoration" und "vernacular architecture" eingeführten Konzepte von intentionaler und umfassender Innenraumgestaltung und positiv konnotierter regionaler Architektur im Werk Gabriel von Seidls und Georg Hirths und wirft dabei die Frage nach einer differenzierten Beurteilung des Historismus ebenso wie die nach der Tradition auf.
Der gemeinsame Nenner fast aller Beiträge ist, dass sie sich gemäß einer grundlegenden Bedingung ihres Gegenstandes mit den Schnittstellen auseinander setzen, die die angewandte Kunst mit den Nachbarbereichen Industrie, Handwerk und freie Kunst aufwies und -weist oder die - im Falle der Verschränkung von Kunst und Leben - von der angewandten Kunst selbst markiert werden. Das letztere weite Feld klingt bei der Beschäftigung unter anderem mit John Ruskin und William Morris im Beitrag Michaela Braesels an, der die Auswirkungen der Weltausstellung 1851 in London auf die englische kunstgewerbliche Produktion darstellt, und zwar im Bereich der Ausbildung von Kunsthandwerkern und im Hinblick auf die Wirkung außereuropäischen Kunsthandwerks auf die Herangehensweise an Ornament und Produktgestaltung.
Konkret der Schnittstelle von Kunst und Kunstgewerbe widmet sich Wolf Tegethoff in seinem Beitrag zur Geschichte und Theorie der Unterscheidung einer angewandten und einer freien Kunst. Er entwirft dabei auch einen hypothetischen Ausblick auf eine Zukunft, die so aussehen könne, dass von Objekten, die bewusst ambivalent Funktions- und Kunstwerkcharakter integrieren und gleichzeitig gegeneinander ausspielen, eine Befruchtung für eine in ihrer Wirkungslosigkeit gefangene freie Kunst ausgehen könnte; eine These, die in der Kürze des Beitrages leider unerklärt bleiben muss.
Von gegenseitiger Befruchtung, in diesem Fall von Kunst und Handwerk, geht auch Marion Ackermann aus, die sich Künstlern wie Jeff Koons und Charles Ray sowie einzelnen Vertretern einer jungen Künstlergeneration zuwendet, die in ihrem Werk jeweils eigene Verfahren einer Inkorporation des Handwerklichen - sei es durch eine höchsten Ansprüchen genügende Fremdausführung, sei es durch ausgesprochen handwerkliche Tätigkeiten wie das Sticken - verfolgen und damit beispielhaft auch das Verhältnis von künstlerischer Invention und manueller Ausführung thematisieren. Vor dem Hintergrund dieses Beitrags muss die Grundannahme im Aufsatz von Rüdiger Joppien problematisch erscheinen; dass nämlich das unterscheidende Merkmal zwischen angewandter und freier Kunst Material und Materialbearbeitung seien: "Sinn für Kostbarkeit, Veredelung von Oberflächen ist nach meiner Einschätzung einer der wichtigen Unterschiede zwischen freier und angewandter Kunst." (257) Diese Definition entspricht aber dem Tenor des Beitrages, in dem der selbst- und von außen verschuldete Profilverlust eines großen Teils des zeitgenössischen Kunsthandwerks beklagt wird, gegen den der Autor die Besinnung auf eine schöne, mitunter luxuriöse Ausführung und auf innovative Konzepte empfiehlt.
Andere Beiträge, die sich der Schnittstelle von angewandter Kunst, Handwerk und Industrie widmen, argumentieren weniger visionär. Thomas Esers Beitrag zur Geschichte des Bayerischen Gewerbemuseums in Nürnberg problematisiert jedoch auf sehr instruktive Weise den Auftrag einer Vorbilder bereitstellenden Institution im Spannungsfeld von Museum und Wirtschaft und von Vergangenheit und Gegenwart der angewandten Kunst im Zeitraum von etwa 1870 und 1900. Ingeborg Beck zeichnet anhand der Entwicklung der angewandten Kunst in München und Berlin in der Zeit von 1900 bis 1907 die Bewegung hin zu einer Mechanisierung der Produktion einerseits und zu einer verschärften nationalen Identität im Bereich der Herstellung von Gebrauchskunst andererseits nach. Magdalena Droste thematisiert die Dichotomie von Handwerk und Industriedesign anhand der Beziehung von Bauhaus-Design und Kunsthandwerk, weist auf die zahlreichen Bezüge zwischen diesen Positionen und auf die scheinbare Versöhnung hin, die nach 1933 propagiert wurde.
Welche methodischen und inhaltlichen Lehren kann man aus den im vorliegenden Band versammelten Beiträgen für eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kunstgewerbe ziehen? Betrachtet man einige der Texte unter dieser Maßgabe, so muss man zu dem Schluss kommen, dass eine Konzentration auf die Form hier wie in allen anderen Bereichen der Geschichte der Kunst in keiner Weise ausreichend sein kann. Dies zeigt Georg Himmelhebers Beitrag, der die Organisationsstrukturen der Nationalsozialisten für die kunsthandwerkliche Produktion, die partiellen personellen Kontinuitäten zwischen den zwanziger und dreißiger Jahren und einen Teil der deutschen kunstgewerblichen Produktion nach 1933 diskutiert. Beschreibungen von Arbeiten der dreißiger Jahre als "durchaus anerkennenswert", "formal durchaus anständig" oder "durchaus gelungen" (205-207) können das Problem künstlerischer Entsprechungen vor und nach 1933 nicht adäquat historisch fassen; dies könnte allein die umfassende Analyse ihrer Kontexte leisten. Wesentlich glücklicher sind in dieser Hinsicht die Ausführungen von Barbara Mundt, die sich der Entwicklung im Kunsthandwerk von der "guten" zur "freien" und zur "reichen" Form im Bereich der Keramik widmet und dabei den Arbeiten der Fünfzigerjahre in Deutschland, denen ihre besondere Aufmerksamkeit gilt, einen weit gefassten historischen Rahmen anweist und zudem die im weitesten Sinne funktionale Einbindung der Arbeiten prägnant anreißt.
Neben der Frage nach Kontext und Funktion dürfte eine zweite weiterführende Frage die nach einer Theorie der angewandten Kunst sein. Ein wenig gelungenes Beispiel ist dafür allerdings der Beitrag Hans Högers zur Beziehung von Kunsthandwerk und Industriedesign, der eigentlich auf Vertreter italienischen Designs wie Ettore Sottsass und Michele De Lucchi konzentriert ist, aber auch mit Exkursen zur Frage nach Unikat und Serie im Futurismus, in der Architektur und in der visuellen Kommunikation aufwartet. Die notwendige Kürze des Beitrags und die Ambitionen des Autors stehen hier in einem so offensichtlichen Missverhältnis, dass die Aussagen unvermeidlicherweise vage bleiben und wenig Evidenz aufweisen. In instruktiverer Weise wird die Frage nach der Theorie in einem zweiten Beitrag von Wolf Tegethoff gestellt, in dem dieser Gottfried Sempers Stilbegriff analysiert, der Funktion und Material als entscheidende Faktoren der Stilbildung bestimmte, ihn als erste "brauchbare Grundlage für eine Standortbestimmung des Kunstgewerbes im Rahmen der übrigen Künste" (133) beschreibt und seine modernen und seine konservativen Züge beleuchtet.
Zwei inhaltliche Aspekte seien abschließend angemerkt, die im Rahmen einer vielstimmigen Beschäftigung mit dem Kunstgewerbe, wie dies ein Buch wie das vorliegende nur sein kann, kaum systematisch zu verfolgen sind: zum ersten der Versuch einer Beantwortung der Frage nach dem spezifischen Beitrag des Kunstgewerbes zur Ausbildung der Moderne unter Berücksichtigung ihrer vor allem auf die Bildkünste bezogenen Neudefinitionen in den vergangenen Jahrzehnten, zum zweiten die nach dem Ort des Kunstgewerbes im anhaltenden Diskurs um die historischen und theoretischen Bezüge von High & Low. Zur Fortschreibung einer umfassenden Geschichte der angewandten Kunst, zu der dieser Band sicher ein Beitrag ist, böten sich unter anderem diese beiden Frageinteressen an.
Claudia Hattendorff