Tālavs Jundzis (ed.): The Baltic States at Historical Crossroads. Political, economic, and legal problems and opportunities in the context of international co-operation at the beginning of the 21st century. A collection of scolary articles. Published in memory of Senator August Loeber and on the occasion of the 75th birthday of Professor Dietrich André Loeber, 2., durchges. und erw. Auflage, Riga: Latvian Academy of Sciences 2001, 703 S., ISBN 978-9984-643-30-4
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Sven Jüngerkes: Deutsche Besatzungsverwaltung in Lettland 1941-1945. Eine Kommunikations- und Kulturgeschichte nationalsozialistischer Organisationen, Konstanz: UVK 2010
Bernhart Jähnig / Klaus Militzer (Hgg.): Aus der Geschichte Alt-Livlands. Festschrift für Heinz von zur Mühlen zum 90. Geburtstag, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004
Kevin O'Connor: The History of the Baltic States, Westport, CT / London: Greenwood Press 2003
Darf man das Wort "Superlativ" in einer wissenschaftlichen Rezension verwenden? Zumindest die äußeren Fakten sprechen im Falle des vorliegenden Bandes dafür. Nicht nur, dass diese Festschrift Vater und Sohn, die es in derselben Profession zu Ruhm und Ehren gebracht haben, gewidmet ist und sie einen dementsprechenden Umfang hat, nein, sie erschien bereits nach drei Jahren in zweiter Auflage. Und diese zweite Auflage ist tatsächlich auch noch um einige Artikel, aktuelle Informationen sowie um eine weitere Fotosammlung - neben den Fotos aus dem Leben der Jubilare bietet die zweite Auflage Bilder zur jüngeren Geschichte der drei baltischen Staaten - bereichert worden. Wenn das kein Superlativ ist?
Aber schauen wir uns den Inhalt an. Abgesehen von den Beiträgen, die sich den Loebers widmen, versammelt diese Festschrift die erstaunliche Anzahl von 34 Artikeln sowie eine Zusammenfassung des Herausgebers, eine 413 Titel umfassende Bibliografie unter dem Titel "Co-operation and Integration of the Baltic States and Europe" (645-684) und sogar ein Personenregister (687-701). Die Artikel sind in die folgenden sechs Abschnitte gegliedert: 1. "Integration of the Baltic States in Today's European and World Political, Economic, and Security Structures", 2. "Legal Reforms in the Baltic States in the Context of European Integration", 3. "Co-operation among the Baltic States", 4. "Efforts at Co-operation and Integration by the Baltic States in the Pre-war Period", 5. "The Baltic States between East and West: Relations with Russia", 6. "The Baltic States in World Literature and Archives".
Eduards Bruno Deksinis führt im 1. Abschnitt kompetent ein in das Labyrinth der Für und Wider des EU-Beitritts, gefolgt von Tālavs Jundzis, der sich mit der NATO-Osterweiterung beschäftigt, aber angesichts der zu vernachlässigenden Gefahr eines direkten Angriffs auf die Baltischen Staaten vor allem die Zugehörigkeit zur EU als de-facto-Sicherheitsgarantie sieht. In einem der zwei Beiträge, die Litauen gewidmet sind, porträtiert Justas Vincas Paleckis die litauische Außenpolitik, die auf den drei Eckpfeilern EU, NATO und guten Beziehungen mit allen Nachbarn beruhe. Diana Bleiere untersucht die Möglichkeiten einer baltischen Kooperation mit den übrigen Kandidatenländern. Der zweite Abschnitt bietet Beiträge von Egil Levits, Heiki Pisuke und Juozas Žilys zu den Reformen der Rechtssysteme in Lettland, Estland und Litauen sowie vergleichend zur Idee des Ombudsmanns (Juris Dreifelds) und zum Wirtschaftsrecht (Kalvis Torgāns). Hervorgehoben sei der Beitrag von Ineta Ziemele zum Problem der Staatsbürgerschaftsgesetzgebung vor dem Hintergrund der staatlichen Kontinuität der drei Länder über die Zeit der sowjetischen Okkupation hinaus. Abgesehen von ihrer nüchternen Verteidigung der Praxis vor allem in Estland und Lettland mit ihren einmaligen Minderheitenproblemen stellt sie mit Recht die Frage, ob nicht gerade anhand des baltischen Beispiels gezeigt werden könne, dass unser heutiges Verständnis von Nationalität im Kontext des Nationalstaats der Entwicklung der Menschenrechte hinterherhinkt.
Der dritte Abschnitt wird eingeleitet mit einem anachronistischen Pamphlet von Edgars Dunsdorfs, der für eine politische Baltische Union plädiert. Es bleibt einem im sechsten Abschnitt des Bandes verborgenen informativen Beitrag von Andrejs Plakans vorbehalten, diese Idee aus dem Geist des "baltischen Bewusstseins" unter den baltischen Emigranten in den USA vor 1991 heraus zu erklären. Einer stärkeren Kooperation im wissenschaftlichen Bereich hingegen, deren Entwicklung in der Zwischenkriegszeit ausführlich von Jānis Stradiņš und Dzintra Cēbere erläutert wird, würde sich Plakans mit Sicherheit genauso wenig widersetzen wollen wie einer militärischen Kooperation, die der Beitritt zur NATO ohnehin erfordert - zu diesem Komplex äußert sich Kārlis Krēliņš kenntnisreich. In der historisch angelegten vierten Sektion des Bandes präsentiert Marko Lehti seine These über die Randstaaten nach dem Ersten Weltkrieg, deren Intention zur politischen Kooperation zwangsläufig in dem Maße nachließ, in dem ihre jeweilige Stabilität wuchs. Zigurds L. Zīle informiert über lettische Aktivitäten im Völkerbund, und Helena Šimkuva gibt einen historiografischen Überblick über lettische Arbeiten zum deutschbaltischen Erbe. Eine Ergänzung findet ihr Beitrag im sechsten Abschnitt durch Inesis Feldmanis, der die Historiografie zur deutschbaltischen Rolle in der lettischen Republik bis 1940 untersucht.
Vor allem der fünfte Teil leidet unter dem Problem, dass die für Russlands Zustimmung zur Osterweiterung der NATO an die Narva so bedeutsame Zäsur des 11. September 2001 erst nach Drucklegung der zweiten Auflage erfolgte. Manche der hier vorgetragenen Spekulationen über Moskaus mögliche Reaktion sind nur noch Makulatur. Während Boris Meissner das Jahr 1940 aus einer heutigen Perspektive betrachtet und - kaum überraschend - seine Ansichten über die Illegalität der sowjetischen Okkupation bestätigt findet, macht Peer H. Lange deutlich, wie gering die tatsächliche militärische Kapazität Russlands heute ist. Die Moskauer Perspektive wird von Dmitri Trenin und Konstantin Voronov behandelt, wobei ersterer einerseits auf die Doppelzüngigkeit der russischen Politik in Bezug auf die "Landsleute" in Estland und Lettland beziehungsweise Kasachstan hinweist und andererseits Moskaus Verhältnis zu den ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken pointiert in die Worte fasst, dass bei einer grundsätzlichen Akzeptanz einer getrennten Zukunft die Betonung in der gemeinsamen Vergangenheit liege. Voronov hingegen verwickelt sich in genau diese Widersprüche, wenn er die Tatsache, dass Tallinn estnische Pässe für Bürger der Sowjetunion habe drucken lassen, die vor 1940 estnische Staatsbürger gewesen seien, als Diskriminierung auffasst. Und woher er die Information nimmt, dass es zwischen Estland und der Russischen Föderation keine ungelösten Grenzfragen mehr gebe, bleibt angesichts der weiterhin störrischen Duma sein Geheimnis. Wie gering das Potenzial einer Vereinnahmung der russischsprachigen Minderheit durch die Moskauer Außenpolitik mittlerweile geworden und wie weit die Integration der Russen in die estnische Gesellschaft gediehen ist, zeigt der abwägende Beitrag von Aksel Kirch.
Im sechsten Abschnitt, der entgegen seiner Überschrift keinerlei literaturwissenschaftliche Artikel enthält, behauptet Jānis Peniķis aus einer US-amerikanischen Perspektive, dass sich die internationale Forschung über das Baltikum vor allem auf die Zäsur 1991 konzentriere - ein durchaus überraschender Befund angesichts der Masse an Literatur, die über die baltischen Transformationsgesellschaften besonders in Skandinavien und Großbritannien erscheint. Neben dem Beitrag von Wilhelm Lenz über die Situation der baltischen Archivalien in Deutschland betont Ādolfs Sprūdz den Erfolg der westlichen Politik der Nichtanerkennung der sowjetischen Okkupation des Baltikums, und Jānis Krēsliņš hebt die Rolle der Stockholmer Zeitung Latvju Zinās für die demokratisch gesinnte lettische Emigration hervor.
Wie bei einer solchen Festschrift üblich, überzeugen bei weitem nicht alle Beiträge, zumal viele von ihnen von alten Weggefährten der Jubilare verfasst wurden, die nicht immer ausgewiesene Spezialisten für baltische Fragen sind. Ärgerlich ist es, dass in manchen Texten nicht gerade sorgsam mit der Sprache umgegangen wurde - vor allem in Bezug auf die ethnischen Minderheiten. Wenn Ilga Apine von "brutaly damaging" Konsequenzen der sowjetischen Migrationspolitik für Estland und Lettland, "imported Slavic labourers" und einer "dangerously large colony" von russischen Staatsbürgern in Lettland spricht (321, 324), dann ist dies das Vokabular aus den ersten Jahren nach 1991. Wie wenig das mit Wissenschaft zu tun hat, zeigt ihre überraschende Ansicht, dass es keinen Sinn mache, Dokumente zu suchen, die bewiesen, dass die sowjetische Regierung "intended to flood the republics with imported labour and thus russifying the indigenous populations" (319). Dass ihr Kollege Atis Lejiņš in einem merklich überheblichen Ton betont, die Erfolge der baltischen Staaten nach 1991 seien "despite the great number of so-called Russian speakers" erreicht worden (508), scheint ebenfalls die Tendenz zu bestätigen, dass - unabhängig vom jeweils genutzten Ton - die russische Minderheit oft nur als pauschales Hindernis für die Entwicklung der drei Staaten wahrgenommen wird. Zwölf Jahre nach der Wende sollte man auch im Minderheitenkontext in der Lage sein, Dmitri Trenins Anregung Aufmerksamkeit zu schenken, der für einen positiven Ansatz in der Frage der russisch-baltischen Nachbarschaft plädiert. Man kann sich nämlich auch fragen, inwieweit die Gesellschaften der drei Länder durch ihre Minderheiten bereichert werden. Stigmatisierung, und sei es nur in verbalen Klischees wie bei Apine, führt nur zur Marginalisierung und Isolierung. Das können die drei Länder kaum wollen.
Karsten Brüggemann