Katharina Krause: Hans Holbein der Ältere (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 101), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2002, 419 S., 228 s/w-Abb., 20 Farbtafeln, ISBN 978-3-422-06383-9, EUR 88,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Matthias Mende / Rainer Schoch (Bearb.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk in drei Bänden. Bd. I: Kupferstiche und Eisenradierungen, München: Prestel 2000
Peter van den Brink (Hg.): Joos van Cleve. Leonardo des Nordens, Stuttgart: Belser Verlag 2011
Rainer Schoch / Matthias Mende / Anna Scherbaum (Bearb.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Bd. II: Holzschnitte und Holzschnittfolgen, München: Prestel 2002
Christoph Kampmann / Katharina Krause / Eva-Bettina Krems / Anuschka Tischer (Hgg.): Bourbon - Habsburg - Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Christoph Kampmann / Katharina Krause / Eva-Bettina Krems u.a. (Hgg.): Neue Modelle im Alten Europa. Traditionsbruch und Innovation als Herausforderung in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Katharina Krause / Klaus Niehr (Hgg.): Kunstwerk - Abbild - Buch. Das illustrierte Kunstbuch 1750 bis 1930, München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2007
Mit Katharina Krauses Buch über Holbein den Älteren liegt seit nunmehr fast vierzig Jahren endlich erneut eine monografische Arbeit vor, die sich umfassend dem Schaffen des bedeutenden Künstlers an der Schwelle zum 16. Jahrhundert widmet. Während das Interesse der Forschung an seinem gleichnamigen Sohn stets ungebrochen blieb, finden sich Ergebnisse zum Werk des älteren Holbein eher vereinzelt. Nach Christian Beutler (1952/60), Alfred Stange und Norbert Lieb (1960) sowie der Augsburger Holbein-Ausstellung (1965) erinnerte in jüngerer Zeit nur ein Bildband von Bruno Bushart (1987) an den wichtigen Augsburger, mit dessen Œuvre sich gerade vor dem Hintergrund der spärlichen reichsstädtischen Überlieferung an Tafelmalerei des späteren 15. Jahrhunderts ein beachtlicher Fundus an Zeugnissen erhalten hat. Dass diese Forschungslage im Widerspruch zur hohen Wertschätzung der zeitgenössischen Auftraggeber einerseits, zum hohen Potenzial des Neuerers andererseits steht, gibt der Autorin mit ihrem "neuen Versuch zu Leben und Werk Hans Holbeins d. Ä." (12) mehr als Recht - Katharina Krauses brillante, fundamentale wie instruktive Untersuchung schließt nicht nur eine Lücke in der Augsburger Kunstgeschichtsschreibung, sondern setzt innerhalb der Disziplin neue Maßstäbe.
Das Buch gliedert sich in acht Kapitel, die das Œuvre nicht lediglich chronologisch nachzeichnen, sondern Untersuchungen zu Genese, Stil und Erzählstruktur der Werke verschränken mit Überlegungen zu den historischen Rahmenbedingungen, Produktionsprozessen und der Rezeption durch die Zeitgenossen.
Zunächst führt die Autorin mittels detaillierter Analyse von Bildaufbau, Figurenkomposition und Farbgebung der Frühwerke die künstlerische Leistung, ja Subtilität Holbeins eindringlich vor Augen. Niederländische Vorlagen und Muster, die zweifellos benutzt, im einzelnen aber nur selten auszumachen sind, "verbesserte" der Künstler variierend und kombinierend, indem er sich vor allem an deren Ordnungsprinzipien orientierte, die ihm zu einer Fixierung seiner Figuren durch die Bildarchitektur verhalfen. Während für die frühen Arbeiten noch kein Modellstudium festzustellen ist, macht Krause zeichnerische Vorbereitungen der Gesamtkompositionen wahrscheinlich. Hinsichtlich der wiederholt diskutierten Urheberschaft des 'Marienlebens' versammelt die Autorin plausible Indizien, die Israel van Meckenem den Part des Kopisten zuweisen, indem sie nicht nur Beispiele der weiteren Rezeption in Ulm vorführt, sondern auch Rückgriffe van Meckenems auf Einzelfiguren aus anderen Werken Holbeins nachweist.
Der Mangel an schriftlichen Quellen zur Ausbildung der Augsburger Maler vor 1470 erschwert die Beurteilung einer frühen stilistischen Prägung Holbeins. Weil auch das Œuvre der Zeitgenossen Thoman Burgkmair und Ulrich Apt nur unzureichend ermittelt ist, werden prominente und für Augsburg gesicherte Bilder aus dem Bereich der Tafel- und Buchmalerei zum Vergleich herangezogen, die Rückschlüsse auf die Erwartungen der Klientel erlauben. Unter Berücksichtigung der Realität von Lehr- und Gesellenzeit liefert Krause durch eine Vielzahl von Belegen für Holbeins Kenntnisse der niederländischen Kunst, die für ihn trotz der sich abzeichnenden italienischen Einflüsse zeitlebens bestimmend blieb, überzeugende Argumente für eine Reise vor 1490 in den Norden, über Köln vermutlich nach Brügge und Gent. Mit Blick auf die Italien-Rezeption Hans Burgkmairs ist bei Holbein zudem eine sukzessive Aneignung von Motiven der italienischen Renaissance für Ornamentik und Architektur festzustellen. Weil sich kaum Primärquellen zur Wahrnehmung der Auftraggeber erhalten haben, werden Aufschlüsse über deren Stilbewusstsein anhand von Äußerungen zu ästhetischen Phänomenen aus der zeitgenössischen Chronistik gewonnen. Die wenigen Quellen zum damaligen Kunstbesitz bezeugen - ergänzt durch Informationen über Stiftungen an Kirchen - nicht nur das Streben nach dem Besitz fremdländischer Luxuswaren, sondern auch Importe niederländischer Gemälde. Ob erst "nach der Jahrhundertwende Welsches als eine weitere Novität in Augsburg in Mode kam" (105), dürfte vor dem Hintergrund der internationalen Handelstätigkeit in der Reichsstadt wohl erst weitere Forschung klären.
Mit Holbeins Rückkehr von Ulm nach Augsburg werden erstmals ab 1494 gesicherte archivalische Informationen zu Biografie, Aufträgen, Kosten und der arbeitsteiligen Zusammenarbeit mit Handwerksgenossen greifbar. Mittels der Untersuchung von Vorlagen, Figurenrepertoire, Kolorit und Erzählperspektive gelangt die Autorin zu einer zeitlichen Ordnung von Werken aus dem breit vertretenen Themenkreis der Passion und der Martyrien, deren ursprünglicher Zusammenhang nicht immer bekannt ist. So wird die bisher schwankende Beurteilung der Entstehungszeit der "Grauen Passion" für die Jahre vor 1500 wahrscheinlich gemacht, am Frankfurter Dominikaneraltar die Ausführung durch die Werkstatt und am Kaisheimer Altar Holbeins Fähigkeit zu szenischen Neuerungen vor Augen geführt. Aus Mangel an Quellen auch für die Auftraggeberseite zieht Krause Rückschlüsse auf deren Ansprüche hinsichtlich Qualität und Programm aus analogen Vertragstexten, die zugleich die künstlerischen Freiräume und Grenzen erkennen lassen. Obwohl das grundsätzliche Erscheinungsbild sicher weitgehend vom Maler festgelegt wurde, hatten die Besteller ein weitgehendes Mitspracherecht, wie die Autorin zunächst anhand zweier alternativer Visierungen Holbeins für einen Auftrag Sigmund Gossenbrots demonstriert, bevor der Dominikaneraltar und die Altäre in Kaisheim sowie St. Moritz in Augsburg auf die Intention der Auftraggeber hin befragt werden.
Ein eigenes Kapitel wird den in großem Umfang erhaltenen Zeichnungen gewidmet, zumal diese erst spät als Zeugnisse für die Künstlerpersönlichkeit ins Bewusstsein der Nachwelt gelangten. Rückte die bisherige Forschung die Frage nach dem Gebrauch in den Vordergrund, so spezifiziert Krause die verschiedenen Typen (Musterblätter, Modellstudien, Visierungen), ihren speziellen Einsatz im Werkstattbetrieb, und zeigt die Entwicklung von Holbeins Zeichenstil auf. Dabei können die Reinzeichnungen als so detailliert und präzise gelten, dass sie eine Ausführung in Malerei auch ohne Holbeins Beisein ermöglichten, wie etwa das Eichstätter "Jüngste Gericht" der Giltlinger-Werkstatt bezeugt. Das Augenmerk bei den meist kleinformatigen Silberstift-Zeichnungen gilt vor allem der Verwendung der Kopfstudien, die bei Holbein teils mehrfach zum Einsatz kamen, sowie der Identifizierung konkreter Vorarbeiten für die Malerei. Lässt sich in der Überführung von Modellstudien ins Gemälde das Bemühen um größere Lebensnähe und Authentizität erkennen, so kann mangels Quellen nur die Frage aufgeworfen werden nach der Instanz, die über die Aufnahme identifizierbarer Zeitgenossen ins Bild entschied, und nach der Resonanz, die selbige wohl bei den Betrachtern auslösten. Resultat ist, dass Holbein die autonome Zeichnung (noch) nicht pflegte, sondern sich ihrer vorrangig zur direkten Nutzanwendung bediente.
Trotz der vielen Porträtzeichnungen ist die Zahl der gemalten, vergleichsweise spät entstehenden Bildnisse überschaubar. Neben der Herleitung von Holbeins Porträttypen und der Konfrontation mit seinen Stifterdarstellungen geht die Autorin der Frage nach den spezifischen Qualitäten Holbein'scher Bildnisse aus Sicht der Auftraggeber und im Vergleich mit den Formulierungen Hans Burgkmairs nach. Während die Umsetzung von Zeichnungen Veränderungen im Sinne einer formalen Reduktion auf das Wesentliche erkennen lässt, bediente sich Holbein für die Komposition teils burgundisch-niederländischer Vorläufer, für die Ausstattung teils welscher Formen. Integrierte Statuszeichen (repräsentative Wappen, Inschriften) sprechen für die hohen Ansprüche der Besteller. Zu diesen gehörten auch der soziale Aufsteiger Martin Weiß und seine Frau Barbara Vetter, deren Pendantbildnisse hier erstmals identifiziert werden; darüber hinaus hat Krause anhand einer gesicherten Zeichnung ein männliches Porträt in Krakau für Holbein ermittelt. Mit Bezug auf die Bildniszeichnungen bemüht sich die Autorin um eine soziale Verortung von Holbeins Klientel. Während die Position der in zwei Serien aufgenommenen Vertreter des Hauses Fugger im städtischen Gemeinwesen gut bekannt ist, bleibt die soziale Stellung der weiteren Porträtierten eher unscharf unter dem Aspekt einer nicht näher definierten Zunftzugehörigkeit umrissen. Für eine differenzierte Analyse der sozialen Struktur von Holbeins Auftraggeberschaft im Porträtfach wäre - unter Einbeziehung der Malerei - neben der Organisation im Handwerk und/oder der Mitgliedschaft in einer der Zünfte (politische Verbände) besonders die Stubenfähigkeit (gesellschaftliche Korporation) als ein relevantes Kriterium zu nennen gewesen.
Das Schlusskapitel diskutiert die Frage nach der Strukturierung von Holbeins Bilderzählung. Unter Einbeziehung literaturwissenschaftlicher Ergebnisse zur Erzählforschung wird am Beispiel der Bilder des Basilikazyklus erkennbar, dass der Maler das szenisch verschränkte Simultanbild analog zum Aufbau von Texten komponierte und auf diese Weise Faktizität und Plausibilität beanspruchen konnte. Der Blick auf die zeitgenössische Bilderkritik zeigt, dass sich Holbein zwecks "Realismus" und Authentizität des Dargestellten sowohl aktualisierender Motive als auch historisierender Bildquellen bediente, wie seine Verwendung aktueller Stereotype und alter Bild-"Dokumente" (etwa für die Porträts Jesu und Mariae) belegt. Abschließend versammelt eine synoptische Zeittafel stichwortartig die Daten zur Biografie und die Werke.
Angesichts der eminenten Forschungsleistung der Autorin stellt sich am Rande nur die Frage, warum die dichte Argumentation durch häufiges Blättern in den umfangreichen Anmerkungsapparat am Ende des Buches unterbrochen werden muss; mit Bedauern sei ebenfalls die durch Verwendung alter Vorlagen oder willkürliche Beschneidungen teils beeinträchtigte Abbildungsqualität erwähnt. - Die aspektreiche, differenzierte Studie Katharina Krauses zu Holbein dem Älteren steckt das Terrain inhaltlich wie methodisch neu ab. Von Überlegungen systematischer Art getragen, eng am Material arbeitend und archivalische Quellen stets einbeziehend, platziert sie Holbeins Werke nicht nur in den vielschichtigen Zusammenhängen seines Schaffens, sondern setzt zugleich Maßstäbe für das Modell "Künstlermonografie".
Annette Kranz