Nikolas Jaspert: Die Kreuzzüge (= Geschichte kompakt), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003, 180 S., ISBN 978-3-534-15129-5, EUR 14,90
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Nikolas Jaspert bietet eine sehr übersichtlich gegliederte und gut geschriebene Einführung in das Phänomen "Kreuzzüge", seine Entstehungsbedingungen, seine Ausprägungen und seine Folgen. Entsprechend einem weit verstandenen Kreuzzugsbegriff werden dabei nicht nur die Unternehmungen in das Heilige Land, sondern auch auf der Iberischen Halbinsel, im Ostseeraum und gegen Feinde im Inneren Europas behandelt, wobei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede immer wieder deutlich herausgearbeitet werden. So entsteht ein klares Bild der komplexen Zusammenhänge dieses Phänomens, das als Teil der europäischen Expansion des Mittelalters zu begreifen ist.
In einem ersten Kapitel werden die Vorbedingungen erläutert, auf deren Hintergrund die Kreuzzugsidee entstehen konnte. Es werden die herrschaftlich zersplitterte Situation der christlichen und der muslimischen Welt am Ende des 11. Jahrhunderts, die gegenseitigen Beurteilungen von Islam und Christentum sowie Konfliktfelder konzise skizziert. Die Grundlagen des als neu wahrgenommenen Kreuzzugsgedankens reichen weiter zurück: Es sind dies die zum "geheiligten Krieg" weiterentwickelte Idee des "gerechten Krieges" von Augustinus, die Verchristlichung des Rittertums und das Pilgerwesen. Bestimmend für die konkrete Entwicklung wurde das Reformpapsttum, das zu einem größeren und weiteren Einfluss der Päpste führte, die religiösen Reformbewegungen des 11. und 12. Jahrhunderts, die Ausfluss und Movens der religiösen Unruhe der Zeit waren, sowie die nicht zuletzt darin wurzelnden Veränderungen im Buß- und Ablasswesen. Hier beeinflusste die Kreuzzugspraxis die Verschiebung von einem Erlass der irdischen Bußstrafen hin zur Tilgung aller Sünden. In der Zusammenfassung dieses ersten Kapitels wird noch einmal die Vielschichtigkeit der Einflüsse und Motive betont, wobei die religiösen vor allem in den Jahrzehnten und Jahrhunderten nach dem ersten Kreuzzug von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und anderen Motivationen überlagert wurden, aber insgesamt das "spezifisch Mittelalterliche der Kreuzzüge" ausmachten (32).
Das zweite Kapitel behandelt die Kreuzzüge in den Vorderen Orient, wobei bewusst nicht die - vor allem auf die von Königen angeführten Kreuzzüge abzielende - übliche Nummerierung verwendet wird, sondern die Vielzahl kleinerer und größerer Unternehmungen betont wird (45). Trotz der Fülle gleitet die Darstellung aber an keiner Stelle in eine Aufzählung der Fakten ab, sondern hebt Wesentliches hervor und ordnet es in größere Zusammenhänge ein. Das gilt vor allem für das zweite Unterkapitel über die Kreuzzüge des 12. bis 15. Jahrhunderts. Ausführlicher geschildert wird der erste Kreuzzug: der Aufruf Urbans II., die "Volkskreuzzüge" und die Judenpogrome, der Zug der Ritter, die Eroberung Jerusalems sowie die Errichtung von Kreuzfahrerherrschaften. Besonders gelungen ist das Unterkapitel, das einen zusammenfassenden Einblick gibt in die praktischen Probleme von Kreuzzügen (organisatorische, finanzielle und - unter dieser Überschrift vielleicht nicht ganz passend - Teilnahme von Klerikern, Ärzten und Frauen), in die institutionelle Ausformung der Kreuzzüge in Kirchenrecht und Kreuzzugswerbung sowie in Kritik an den Kreuzzügen. Kritische Stimmen erhoben sich seit den ersten gescheiterten Unternehmungen immer wieder, vor allem gegen eine Ausweitung der Kreuzzugsidee auf andere Szenarien, Verzögerungen von Kreuzzügen ins Heilige Land und Ausnutzung von Kreuzzügen für andere politische, finanzielle oder militärische Zwecke (66). Das abschließende Unterkapitel behandelt die Kreuzzüge aus islamischer Sicht. Hier werden die muslimischen Reaktionen auf Kreuzzüge und Errichtung von Kreuzfahrerherrschaften dargestellt, die Rolle des Dschihadgedankens und muslimische Bilder von den Christen im Heiligen Land erläutert.
Das dritte Kapitel ist den Kreuzfahrerherrschaften gewidmet. Es bietet einen Einblick in die weltliche Herrschaft (Grenzsicherung und Grenzverschiebung, Herrscherdynastien, die Rolle der Barone und des Lehenswesens sowie des Handels und der Städte), in die kirchliche Organisation (lateinische Kirche, Ordenswesen, orientalische Kirchen) sowie die ethnisch und konfessionell verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Den einheimischen Muslimen, Juden und orientalischen Christen stehen die neu angekommenen, mehr neben als mit den Einheimischen lebenden Siedler gegenüber, sowie nur zeitweise sich im Land aufhaltende Händler und Pilger. Identitätsstiftende Elemente für ein Selbstverständnis der Siedler als Orientalen waren das sich als zweite Verkehrssprache durchsetzende Französisch, die Stadt Jerusalem und insbesondere die Grabeskirche als zentraler Ort sowie das Kreuz als wirksames Symbol. Der Verlust Jerusalems und der Heiligkreuzreliquie als Konsequenz der Niederlage von Hattin verursachten entsprechend eine Identitätskrise, die durch die Sonderstellung der italischen Händler und Einwanderer verstärkt wurde.
Eroberung durch Ritter und Einwanderung von Siedlern sind auch Charakteristika der Kreuzzüge auf der iberischen Halbinsel und im Ostseeraum, die Gegenstand des vierten Kapitels sind. Als Kreuzzüge können diese Unternehmen berechtigterweise bezeichnet werden, weil auch sie vom Motiv des religiösen Kampfes getragen waren, weil für die Teilnahme an ihnen Ablässe vergeben wurden und weil sich Kontingente aus verschiedenen Ländern unter Eidesverpflichtung daran beteiligten. Für die erste Phase der Reconquista auf der iberischen Halbinsel, die durch die Expansion der Almoraviden beendet wurde, treffen diese Elemente noch nicht zu, wohl aber für die von 1095 bis 1492 reichende zweite Phase, auf die auch die Entwicklungen der Orientkreuzzüge rückwirkten. Auch hier lässt die christliche Wiederbesiedlung keinen toleranten, sondern nur einen pragmatischen Umgang mit den Andersgläubigen erkennen. Muslime und Juden konnten ihre Religion ausüben und genossen zwar nicht die gleichen Rechte, aber Rechtssicherheit. Bei der Expansion in den Ostseeraum erfuhren nicht-christliche Religionen keine Duldung; die Christianisierung, die bereits lange vor den Orientkreuzzügen begonnen hatte, wurde seit dem 12. Jahrhundert von ihnen beeinflusst. Eine weitere Besonderheit ergibt sich hier durch die landesherrliche Stellung des Deutschen Ordens, der weit größere Macht erlangte als die geistlichen Ritterorden in anderen Gebieten. Ähnlichkeiten und Unterschiede werden auch herausgearbeitet bezüglich des dritten Bereichs, in dem Kreuzzüge außerhalb des Orients geführt wurden, im Inneren Europas. Mit vom Papsttum proklamierten und privilegierten Kreuzzügen gegen Häretiker wie gegen die Albigenser, die auch von Zeitgenossen kritisiert wurden, ergab sich aber letztlich historisch gesehen eine Rückkehr zum Ursprung der Theorie des gerechten Krieges. Dieser Kreuzzug war aber zunehmend unlösbar mit dem Kampf um die politische Macht in Südfrankreich verbunden. Eine ähnliche Verquickung zeigt sich bei den Hussitenkriegen. Grenzfälle der Kreuzzugsgeschichte stellen schließlich die Kriege gegen weltliche Feinde der Kirche dar, wie der Kampf um Sizilien, die politischen Kreuzzüge der avignonesischen Päpste und der Krieg gegen die Stedinger Bauern.
Ein eigenes Kapitel ist schließlich den Ritterorden gewidmet, ihrer Entstehung aus karitativen oder militärischen Bruderschaften, ihrer Ausbreitung über die Kreuzzugsgebiete hinaus, ihrer militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung sowie Kritik und Untergang. Deutlich wird hier, dass es weit mehr als die bekannten Ritterorden gab und wie sehr diese das Kreuzzugsgeschehen prägten.
Abschließend bilanziert Jaspert kurz die Folgen der Kreuzzüge. Nach "interkulturellen Kontakten" beziehungsweise "Kulturtransfer" fragend, stellt er fest, dass zwar überall ein gewisses Maß an Austausch notwendig war, dass auch einiges an arabischem Wissen, Techniken und Begriffen aus der islamischen Welt vom Westen übernommen wurde, dass diese Transfervorgänge aber am wenigsten in den Kreuzfahrerherrschaften des Vorderen Orients stattfanden, sondern eher in den Handelsstädten des Mittelmeers sowie in Sizilien und in Spanien, die beide mehrere Jahrhunderte von der Kultur der unterworfenen Muslime geprägt blieben. Am intensivsten war der interkulturelle Austausch in Spanien, wohl begünstigt durch eine längere Zeitspanne und weniger Störungen in der Begegnung von Christentum und Islam (159). Bis heute wirken die Kreuzzüge in einem vielschichtigen und wandelbaren Mythos weiter, sowohl in der christlichen als auch in der jüdischen und der islamischen Welt.
Dieses letzte Kapitel ist umso wichtiger, als der inzwischen teilweise überholte entsprechende Abschnitt aus Mayers Geschichte der Kreuzzüge in den neuesten Auflagen überhaupt nicht mehr abgedruckt wurde, diese - bis zu Jasperts Buch neueste deutschsprachige Kreuzzugsgeschichte - also abrupt mit dem Ende der Kreuzfahrerherrschaften 1291 abbrach. Auch diesbezüglich bietet Jasperts Buch mit der Fortführung aller Entwicklungsstränge bis ins 15. Jahrhundert neue Perspektiven.
Wie bei den anderen Bänden der Reihe "Geschichte Kompakt Mittelalter" sind auch hier Erklärungen zentraler Begriffe und Quellenausschnitte optisch hervorgehoben. Allerdings steht entgegen der Ankündigung in der Einleitung keineswegs in jedem Kapitel "eine Quelle im Vordergrund [...], die wesentliche Aspekte des Abschnitts" verdeutlicht; insgesamt gibt es nur vier solcher Quellenausschnitte. Mehrfach wird auf die Quellenbasis der Ausführungen hingewiesen, wobei man sich diese Werke dann auch im Quellenverzeichnis wünschen würde (zum Beispiel Albert von Aachen, 36 und öfter). Ansonsten bietet das beigegebene Quellen- und Literaturverzeichnis eine zielgerichtete und treffend kommentierte Auswahl vor allem neuerer Überblickswerke und Forschungsbeiträge. Drei Karten zeigen die geografischen Schauplätze der Kreuzzüge im Vorderen Orient, auf der iberischen Halbinsel und im Ostseeraum. Ein Register beschließt den insgesamt sehr gut gelungenen Band.
Gertrud Thoma