Hans-Ulrich Wiemer: Krieg, Handel und Piraterie. Untersuchungen zur Geschichte des hellenistischen Rhodos (= KLIO. Beiträge zur Alten Geschichte. Beihefte. Neue Folge; 6), Berlin: Akademie Verlag 2003, 416 S., ISBN 978-3-05-003751-6, EUR 69,80
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In den Jahrzehnten nach dem Tod seines Begründers entstanden auf dem Boden des Alexanderreiches neben den drei großen Nachfolgereichen der Antigoniden, Ptolemaier und Seleukiden auch mehrere Mittelmächte, die zumindest zeitweise eine bedeutende politische Rolle gespielt haben. Neben dem Attalidenreich in Kleinasien und dem achaiischen und aitolischen Bund in Griechenland ist hier vor allem Rhodos zu nennen.
Wiemer hat sich also ein zentrales Feld der hellenistischen Geschichte für das Thema seiner Arbeit gewählt [1], dessen letzte monographische Behandlung schon zwanzig Jahre zurückliegt [2] und auf dem unter anderem durch epigraphische Neufunde unsere Kenntnisse in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen haben.
Wiemer setzt sich in seiner Arbeit mit der seiner Ansicht nach in der "modernen Forschung" "ganz überwiegend" anzutreffenden Einschätzung der rhodischen Politik auseinander: Diese sei gegründet gewesen auf den "Prinzipien der Bekämpfung der Piraterie, der Minimierung militärischer Gewaltanwendung, der Vermeidung völkerrechtlicher Bindungen und der Bewahrung eines 'Gleichgewichts der Mächte'". Dabei werde diese Politik meist in einen Kausalzusammenhang "mit der ökonomischen Interessenstruktur des rhodischen Staates, seinem 'merkantilen Charakter'" gebracht (13). Nach einem Forschungsüberblick zu dieser Bewertung der rhodischen Politik, der bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht (16-20), wendet er sich zunächst der Frage zu, welche Bedeutung ökonomische Interessen im hellenistischen Rhodos gehabt haben (20-33). Eine Betrachtung der politischen Entscheidungsstrukturen, der Formen des Handels [3] sowie des Selbstverständnisses der politischen Führungsschicht führt dabei hinsichtlich der rhodischen Außenpolitik zu dem Ergebnis, dass bei deren Erklärung ökonomische Motive anderen nicht prinzipiell vorzuziehen sind und dass sich private ökonomische Interessen wohl nur dann auswirkten, wenn sie in der Bürgerschaft mehrheitsfähig waren (32 f.). Im letzten Teil des Einleitungskapitels kommt Wiemer dann zu dem Schluss, dass Rhodos keineswegs in seiner Außenpolitik das Konzept eines "Gleichgewichts der Mächte" verfolgt habe (33-36).
Im 2. Kapitel, "Zur Kritik der literarischen Quellen" (36-52), fasst Wiemer die überzeugenden Ergebnisse seiner Untersuchung "Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie" (siehe Anmerkung 1) zusammen: In Polybios und Diodor finden sich Passagen über Rhodos, die auf eine gemeinsame Quelle, den Rhodier Zenon, zurückgeführt werden können. Es lässt sich zeigen, dass Zenon vor dem Hintergrund der für Rhodos schmerzlichen Erfahrungen im 3. Makedonischen Krieg die Geschichte seiner Heimatstadt in apologetischer Tendenz glorifiziert und beschönigt hat.
Damit hat Wiemer die methodischen Grundlagen gelegt, um sich in den folgenden acht Kapiteln im Einzelnen mit der rhodischen Politik zu beschäftigen und die eingangs referierten Positionen der Sekundärliteratur zu überprüfen.
Im 3. Kapitel, "Vom Synoikismos bis zur Abwehr des Städtebelagerers" (53-96), unterscheidet Wiemer zwei Phasen in der rhodischen Außenpolitik des 4. Jahrhunderts. Für den Zeitraum bis zur Vertreibung der makedonischen Garnison nach dem Tode Alexanders des Großen konstatiert er zu Recht, dass die Rhodier nur zeitweise eine eigenständige Politik betreiben konnten (53-71). Diese Phase ist daher für Wiemers Fragestellung ziemlich unergiebig und hätte vielleicht auch etwas stärker gekürzt werden können. Für den anschließenden Zeitraum wendet sich Wiemer gegen die Ansicht, Rhodos habe auf Grund seiner ökonomischen Interessen eine strikte Neutralität und enge Kooperation mit Ägypten verfolgt. Vielmehr habe es bis zur Belagerung durch Demetrios keine einseitige Bindung an Ptolemaios, sondern ein Lavieren zwischen den Mächten gegeben. Auch der Konflikt mit Antigonos sei nicht aus einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der Rhodier von Ägypten entstanden, sondern aus der Furcht, in politische Dependenz von diesem zu gelangen.
In dem nächsten Kapitel, "Rhodos und die Ptolemäer im 3. Jahrhundert" (97-109), kann Wiemer erhebliche Schwankungen im Verhältnis der beiden Mächte zeigen, die sich aus wirtschaftlichen Interessen nicht hinreichend erklären lassen.
Eine zentrale Stellung für Wiemers Fragestellung nimmt das 5. Kapitel ein, "Rhodos und die Piraterie" (111-142). Wiemer kann nachweisen, dass Rhodos keineswegs, wie verschiedentlich angenommen, aus ökonomischen Motiven grundsätzlich und kontinuierlich die Piraterie bekämpft hat. Zwar erhoben die Rhodier selbst, wie literarische und epigraphische Zeugnisse belegen, seit etwa Mitte des 3. Jahrhunderts propagandistisch den Anspruch, in gemeingriechischem Interesse gegen Piraterie vorzugehen, sie lösten aber tatsächlich diesen Anspruch nur sehr begrenzt ein.
Auch das folgende Kapitel, "Der 1. Kretische Krieg" (143-176), gehört in diesen Kontext, da dieser Konflikt vielfach als Krieg der Rhodier gegen die kretische Piraterie aufgefasst worden ist. Demgegenüber vermag Wiemer den überzeugenden Nachweis zu erbringen, dass es Rhodos vielmehr darum ging, seinen Einfluss in Kreta und der Ägäis auszudehnen beziehungsweise zu sichern.
In dem 7. Kapitel, "Der Krieg gegen Philipp V." (177-233), versucht Wiemer aufzuzeigen, dass der rhodisch-makedonische Krieg aus der expansiven Politik beider Staaten resultierte. Dabei kommt er unter anderem zu dem Ergebnis, dass das Hilfsgesuch der Rhodier an Rom im Herbst 201 v. Chr. eine bewusste politische Neuorientierung darstellte und dass der römische Entschluss, gegen Philipp V. Krieg zu führen (2. Makedonischer Krieg), nicht durch die Gesandtschaften der Rhodier und des Attalos herbeigeführt worden ist. [4]
Das 8. Kapitel beschäftigt sich mit "Rhodos als Hegemonialmacht" (235-288). Wiemer wendet sich unter anderem gegen die Ansicht, die Rhodier hätten sich am Krieg gegen den spartanischen König Nabis mit dem Ziel beteiligt, die spartanische Piraterie zu bekämpfen. [5] In Hinsicht auf das Verhältnis zu Rom kommt er zu dem Ergebnis, dass 188 v. Chr. noch keine rechtliche Bindung der Rhodier erfolgte, sondern erst nach dem Ende des Perseuskrieges.
Die Arbeit schließt mit zwei Kapiteln zum Krieg gegen Perseus und dem Ende der rhodischen Unabhängigkeit (289-339) und zum 2. Kretischen Krieg (341-351) sowie einer "Schlussbetrachtung" (353-360), in der Wiemer noch einmal die eingangs aufgeworfenen Fragen aufgreift. Als Ergebnis seiner Untersuchungen hält er dabei fest, dass sich in den Quellen kein Beleg dafür finden lasse, dass die Rhodier sich der Aufrechterhaltung eines "Gleichgewichts der Mächte" verschrieben hätten und dass in der modernen Forschung ökonomischen Interessen bei der Erklärung außenpolitischer Entscheidungen zu großes Gewicht beigemessen worden sei.
Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein sehr nützliches Register der Namen, Sachen und Stellen (361-416) runden den Band ab [6].
Wiemer hat eine sehr gründliche, in ihren Ergebnissen weitestgehend überzeugende Untersuchung zum hellenistischen Rhodos vorgelegt, in der von einem friedlichen Handelsstaat und selbstlosen Bekämpfer der Piraterie nicht viel übrig bleibt, sondern sich Rhodos als weitgehend "normale" hellenistische Macht wie andere auch präsentiert, auch wenn vielleicht nicht jeder seine Charakterisierung der modernen Forschung (siehe oben) in allen Punkten teilen wird. [7] Die eindrücklichsten Passagen finden sich dort, wo Wiemer seine profunden Kenntnisse der griechischen Epigraphik einbringen kann. Die Arbeit stellt einen weiteren grundlegenden Baustein für jede weitere Beschäftigung mit der Epoche des Hellenismus dar.
Anmerkungen:
[1] Das zu besprechende Buch ist aus einem Teil der im Sommersemester 2000 in Marburg angenommenen Habilitationsschrift Wiemers hervorgegangen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Arbeit findet sich in ders., Ökonomie und Politik im hellenistischen Rhodos, HZ 275, 2002, 561-591. Einen ersten Teil seiner Habilitationsschrift hatte Wiemer bereits vorher publiziert: Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie (Frankfurter Althistorische Beiträge Bd. 7), Frankfurt am Main 2001. Wegen der vielen Querverweise zwischen den beiden Bänden ist die getrennte Publikation für den Leser leider etwas umständlich.
[2] R. M. Berthold, Rhodes in the Hellenistic Age, Ithaca/London 1984.
[3] Für die rhodischen Amphorenstempel und die Datierung des eponymen Heliospriester (vergleiche Wiemer 27 f.) ist jetzt grundlegend G. Finkielsztejn, Chronologie détaillée et révisée des éponymes amphoriques rhodiens de 270 à 108 av. J.-C. environ. Premier bilan (BAR International Series 990), Oxford 2001. Vergleiche ferner M. L. Lawall, Early Excavations at Pergamon and the Chronology of Rhodian Amphora Stamps, Hesperia 71, 2002, 295-324; Ch. Habicht, Rhodian amphora stamps and Rhodian eponyms, REA 105, 2003, 541-578; N. Badoud, Remarques sur la chronologie des éponymes amphoriques rhodiens, REA 105, 2003, 579-587.
[4] Hier hätte man sich vielleicht eine etwas deutlichere Position Wiemers zu der nach wie vor umstrittenen Frage gewünscht, worin denn tatsächlich die Ursachen für den 2. Makedonischen Krieg zu sehen sind.
[5] Das rhodische Schiedsgericht im Streit zwischen Samos und Priene (I. Priene 37; vergleiche Wiemer 238) gehört nach den neuen Untersuchungen zur Datierung der rhodischen Eponymen nicht in die 190er-Jahre, sondern in die 2. Hälfte der 180er-Jahre, vielleicht vor 181 v. Chr., siehe Habicht, Rhodian amphora stamps (wie Anmerkung 3), 547-549.
[6] Für den Leser äußerst angenehm und heute leider längst nicht mehr selbstverständlich ist die von Wiemer sehr sorgfältig und nahezu fehlerfrei erstellte Druckvorlage.
[7] Siehe jetzt zum Beispiel auch den nuancierten Beitrag von V. Gabrielsen, Economic activity, maritime trade and piracy in the Hellenistic Aegean, REA 103, 2001, 219-240.
Klaus Scherberich