Jutta Schlick: König, Fürsten und Reich (1056-1159). Herrschaftsverständnis im Wandel (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 7), Ostfildern: Thorbecke 2001, VIII + 218 S., 4 Abb., ISBN 978-3-7995-4258-6, EUR 39,80
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Die Einsicht, dass Konsensualität ein charakteristisches Bauprinzip der mittelalterlichen Königsherrschaft war [1], ermöglicht neue Perspektiven in einer Forschungstradition, die dem Verhältnis zwischen König und Fürsten seit langem besonderes Interesse entgegenbringt; nicht zuletzt unter dem Einfluss der Gegenwartsinteressen des 19. Jahrhunderts schrieb sie die Geschichte des Königtums als "Meistererzählung" des Verfalls einer starken Zentralmacht. Demgegenüber birgt der Blick auf die Konsensualität auch die Chance, eine rechtshistorisch-systematisierende Verfassungsgeschichte zu öffnen für die Praxis der Interaktion zwischen König und Großen sowie für die Untersuchung der Normen, denen sie verpflichtet war. Insoweit verdient Jutta Schlicks Dissertation besondere Aufmerksamkeit, zumal sie sich ganz programmatisch dieser neuen Forschungsperspektive verbindet.
Die Arbeit ist in drei Teile untergliedert: Ein erster gilt dem "entzweiten Reich" während des Investiturstreits (1077-1125), ein zweiter der "wiedergefundenen Eintracht" unter Lothar III. (1125-1137), ein letzter dem "Aufbruch in eine neue Zeit" unter Konrad III. und Friedrich Barbarossa (1138-1159). Ein besonderer Akzent liegt auf den Königswahlen und Hoftagen, die den Wandel im fürstlichen Anspruch auf Teilhabe am Reich illustrieren. Die einzelnen Etappen der Fürstenopposition gegen Heinrich IV. werden nachgezeichnet, von den "königslosen Hoftagen" bis zur Königswahl Rudolfs von Rheinfelden, in der sich die Fürsten als eigentliche Träger des Reichs sahen, persönliche Idoneität des Königskandidaten als Wahlkriterium erkannten und damit eine "Verschiebung vom Königsideal zum Idealkönig" (47) vorgenommen hätten. Nach den Konflikten mit dem Vater eröffnete die Fürstenwahl seines Sohnes Heinrichs V. eine hoffnungsvoll beginnende Phase königlich-fürstlicher Zusammenarbeit, deren Ideal jedoch in Heinrichs Bereitschaft, sich mit dem Papst auf Kosten der Reichsbischöfe zu einigen, zerbrochen sei; "Resignation und Desillusionierung" (68) habe die Fürsten zunächst zu intensiviertem Einsatz für eigene Interessen bewogen, bevor sie wiederum auf königslosen Hoftagen ihrer Verantwortung für das Reich gerecht wurden, mit dem Vertrag von Würzburg 1121 Heinrich zum Ausgleich drängten und als Garanten des Friedens die neue Ordnung des Wormser Konkordats mittrugen. Die Erhebung Lothars III. 1125 zeige als "erste[r] Prüfstein für die Tragfähigkeit der gemeinsamen Idee" (94) der fürstlichen Handlungsgemeinschaft die "Zurückstellung persönlicher Interessen" und "Verantwortungsbewußtsein dem Reich gegenüber"(95). Seine Regierung sei der gemeinsamen Leitidee der concordia verpflichtet gewesen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Königtum Konrads III. als "Aufbruch in eine neue Zeit" (131), denn obwohl seine Wahl noch von fürstlicher "Sorge um Eintracht von Kirche und Reich" bestimmt gewesen sei, zeige sich doch das "Grundstürzende des Wandels [...] innerhalb einer Generation" (142) in der "Neuorientierung" (143), die Konrad III. nicht mehr auf die "unter Lothar und schon unter Heinrich V. gängige Wendung der concordia" (143), sondern auf den Gedanken von "Nutzen und Ehre des Reichs" (143) habe zurückgreifen lassen. Im "juristisch-rechtlich geprägten Begriff" des honor zeige sich eine "Verschiebung der Werte", eine "rechtliche Komponente", die das Reich zum "Träger von Recht und Sakralität" mache und mit der Konrad III. die Fürsten als "Garanten des Reichs" für seine Politik "instrumentalisierte" (144). Im folgenden Abschnitt über "Herrschaft zwischen Idee und Wirklichkeit" findet Schlick zu Urteilen, wie man sie seit Wilhelm Bernhardis "Jahrbücher der deutschen Geschichte. Konrad III.", erschienen 1883, nur noch selten las: Das "halbherzige Lavieren zwischen verschiedenen Befindlichkeiten" ließ Konrad "zu keiner konsequenten Linie" finden (163), und seiner "Entschlußunfreudigkeit" (187) entsprach, dass er das seiner Idee vom honor regni innewohnende Potenzial "nicht einmal annähernd" (164) auszuschöpfen verstand. Mit Friedrich Barbarossa brachen schon wieder "Neue Zeiten, neue Konzepte" an (164); mit seiner Wahl zeigten sich die Fürsten zwar immer noch ihrem Anliegen nach "Stabilisierung des Reichs im Innern" (166) verpflichtet, Barbarossa aber habe schließlich mit der 1157 in Besançon formulierten Idee, dass er Königtum und Kaisertum durch Fürstenwahl von Gott empfangen habe, dem fürstlichen Selbstverständnis aus eigener Initiative eine "neue, ja revolutionäre Interpretation" vorgegeben (177), sodass es schließlich die Reichsfürsten waren, die in dieser "rein weltliche[n] Auffassung" (178) dem Reich die Sakralität verliehen.
Überraschende Konsequenz von Schlicks Blick auf die Fürsten ist, dass alte Wertungen nun in ihr genaues Gegenteil verkehrt erscheinen: nicht mehr der König wahrt das Reichsinteresse, wie die ältere Forschung meinte, es sind vielmehr die Fürsten, die das "Schicksal des Reichs in ihre Hand" nehmen (14), für die "das Wohl des Reichs Priorität besaß" (31), die "ihre Verantwortung für das Reich über die eigenen Wünsche stellten" und in Krisenzeiten "das Reich auch vor dem König schützen konnten" (40), "aus Überzeugung und Verantwortung für das Reich" (42) handelten, sich "schützend vor das Reich" gegen den Herrscher stellten (73), "in der Zurückstellung persönlicher Interessen" ihr "Verantwortungsbewußtsein dem Reich gegenüber" bewiesen (95) und so weiter. Gerade in diesen Umwertungen zeigt sich die Arbeit aber der alten Vorstellung vom Dualismus zwischen König und Fürsten verpflichtet, deren Bezugspunkt ein Staat ist, zu dessen Nutzen oder Nachteil die eine oder andere Seite handelt. Mittelalterliche Staatlichkeit war aber vor allem personenbezogene Herrschaftspraxis. Das bedeutet erstens für den Reichsbegriff selbst, dass er stets einen personalen Bezug hat; wenn also von "Reichsinteresse" die Rede ist, müssen auch die persönlichen Interessen der Fürsten mitgedacht werden, die mit dem "Reich" argumentierten. Dafür sind die fürstlichen Stellungnahmen auch transparenter, als Schlicks Darstellung nahe legt - etwa im Fall der doch noch einmütigen Wahl Lothars III. beziehungsweise der Zustimmung des zuvor übergangenen Erzbischofs Konrad I. von Salzburg zur Wahl Konrads III. (Dissens hätte stets das unkalkulierbare Risiko des Konflikts mit dem neugewählten König und seiner Partei bedeutet). Personenbezogene Herrschaftspraxis bedeutet zweitens für die Interaktion zwischen König und Großen, dass sie den honor wahren musste, also die Ehre als Summe all dessen, was - aus Vornehmheit, Ämtern, Besitz, persönlichen Fähigkeiten und Verbindungen gebildet - die beanspruchte Stellung in der Rangordnung ausmachte. Am Beispiel der Fürstenopposition gegen Heinrich IV. zeigt Schlick eindrucksvoll, welche Konsequenzen eine Verletzung dieser Norm durch den König hatte. Allerdings gehört zur 'Pathogenese' dieses Konflikts auch Heinrichs eigene Erfahrung drastischer Verletzung des könglichen honor, als er 1062 bei Kaiserswerth von Fürsten entführt wurde. Schlick begründet dieses Tat mit der "Idee der Handlungsgemeinschaft der Fürsten" (15), einem "revolutionäre(n) Gedanke(n)" (16); aber diese Tat entsprang auch dem Eigeninteresse der Beteiligten, die sich - zu Recht oder zu Unrecht - um ihre Teilhabe an der Königsherrschaft gebracht sahen, die sie aufgrund ihrer Stellung im Machtgefüge des Reichs beanspruchten.
Nicht nachvollziehbar ist mir der behauptete Bruch Konrads III. mit der für Lothars III. Königtum angeblich so charakteristischen Idee der concordia, der sich in der "auffallend selten[en]" Erwähnung des Begriffs spiegeln soll: immerhin taucht in Konrads Urkunden der Begriff concordia doch auf (142, Anm. 70 erwähnt sechs Belege), während er in Lothars Urkunden überhaupt nicht erscheint, sondern nur in der 'Narratio de electione Lotharii' und in einer Reihe fürstlicher Zeugnisse (107 f.). Davon abgesehen: wären Begriffe wie consensus oder assensus nicht ebenfalls Indikatoren für eine solche Idee? Sie bleiben aber unbeachtet.
In den Abschnitten zur Stauferzeit drängt aber ohnehin die alte "Meistererzählung" wieder machtvoll in den Vordergrund: Die Annahme, die Könige hätten ihre Herrschaft gegen die Fürsten stärken wollen, wird zur darstellungsleitenden Prämisse. Besonders nachteilig für Schlicks eigentliches Erkenntnisinteresse macht sich aus meiner Sicht bemerkbar, dass sie, der älteren Forschung folgend, die Formel 'honor regni / imperii' aus dem Verständnishorizont der Ehre dezidiert ausgrenzt (143!) und darin einen "juristisch-rechtlich geprägte[n] Begriff" (144), einen "neuen Gedanken" (190) sieht. Das ist der altvertraute Strang der "Meistererzählung", hier mit dem Motiv, der König habe zur Rettung seiner bedrohten Machtfülle die Fürsten mittels einer "Idee" zu seinem eigenen politischen Nutzen instrumentalisiert. Diese Interpretation von 'honor regni / imperii' als eine vom König ausgehenden Idee erfasst nur den transpersonalen Zug der Formel [2], die aber problematisch ist; die Dimension der Konsensualität bleibt ihr dagegen verborgen. Sie wird durch eine Übersetzung von 'honor' mit 'Ehre' freilich sofort zugänglich. Träger von Ehre kann nicht ein abstraktes Reich sein, sondern nur die Gemeinschaft der Personen, die ihrerseits das Reich bildet; daher ist in den Formeln von der 'Ehre des Reichs' gerade auch die Vorstellung einer Gemeinschaft von König und Fürsten greifbar. Indem Schlick ohne Not die Spur der Ehre verlässt, in der sie bei der Erklärung der Konflikte in salischer Zeit noch lief (vergleiche 37 f. und 80!), erkennt sie zwangsläufig auch einen Wandel der "Ideen und Konzepte". Bleibt man indessen gegen die ältere Forschung innerhalb des Verständnishorizonts von Ehre, wogegen nichts spricht, so weisen 'honor regni / imperii' nur auf die für das Handeln von König und Fürsten auch in staufischer Zeit ungebrochen lebendige Norm der Ehre hin. Barbarossas auffällig konfliktfreie Nähe zu den Reichsfürsten erscheint dann auch nicht als Konsequenz seiner geschickten "Instrumentalisierung" der Fürsten mittels der neuen Idee des 'honor regni / imperii' (wie hätte man sich das auch konkret vorzustellen?), sondern als Konsequenz seiner verlässlichen Orientierung an der Norm der Ehre ('honor'), die seine Interaktion mit den Großen bestimmte. Solche Rücksichtnahme war übrigens gewiss geboten für den Herzog von Schwaben, den nur dynastischer Zufall auf den Königsthron brachte. Die Zäsuren erscheinen also weniger schroff, wenn das Beharrungsvermögen politischer Mentalitäten unter der Oberflächenbewegung der Herrscherwechsel berücksichtigt wird. Das gilt übrigens auch für Schlicks Vermutung, die alte Vorstellung des Sakralkönigtums habe unter jedem Herrscher neu belebt werden müssen (182); man könnte stattdessen von einer ungebrochenen Lebendigkeit dieser Vorstellung ausgehen, womit auch die Festkrönungen Konrads III. und Barbarossas gut erklärt wären, die im Gegensatz zu jenen Lothars III. (125) aber unverständlicherweise nicht erwähnt und daher auch nicht als Indiz für die "Idee eines Sakralkönigtums" herangezogen werden. Die Prämisse rascher Konzeptionswechsel, zumal mit impliziter Modernisierungstendenz, verstellt den Blick auf dauerhafte Strukturen und Mentalitäten.
Jutta Schlicks Buch zeigt, dass ein Wechsel der Forschungsperspektive weit reichende Folgen für die Darstellung vermeintlich gesicherter Geschichtsbilder haben kann. Es zeigt aber auch, dass allein die "verführerische Einfachheit" der alten "Meistererzählungen" dazu führt, "daß sie den Raum des Gewohnten immer wieder gleichsam durch die Hintertür neu betreten".[3]
Anmerkungen:
[1] Bernd Schneidmüller: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, hg. von Paul-Joachim Heinig u.a., Berlin 2000, 53-87.
[2] Diese Sicht beruht auf Gottfried Koch: Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte; 20) Wien / Köln / Graz 1972.
[3] Frank Rexroth: Tyrannen und Taugenichtse. Beobachtungen zur Ritualität europäischer Königsabsetzungen im späten Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 278 (2004), 27-53, hier 29.
Knut Görich