Hans-Otto Kleinmann (Bearb.): Heinrich Krone: Tagebücher. Zweiter Band: 1961-1966 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 44), Düsseldorf: Droste 2003, XXX + 575 S., ISBN 978-3-7700-1892-5, EUR 42,80
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Bereits 1995 ist der erste Band der Tagebücher von Heinrich Krone erschienen, ebenfalls von Hans-Otto Kleinmann bearbeitet. Dieser zweite Band setzt nun endlich die mustergültige Edition fort. Wer die im Archiv für christlich-demokratische Politik verwahrten Tagebücher kannte, dem konnte sich - zu Unrecht, wie sich jetzt zeigt - der Verdacht aufdrängen, dass mit dem Erscheinen des zweiten Bandes gewartet werden sollte, bis die letzten beteiligten Akteure, die letzten Honoratioren der CDU aus den Sechzigerjahren verstorben sein würden. Denn deren Handeln wurde von Heinrich Krone in seinen Tagebüchern zuweilen mit schonungsloser Offenheit kommentiert. Insbesondere Rainer Barzel, einem Hoffnungsträger der konservativen Katholiken in der CDU, verzieh Krone seinen allzu offensichtlichen Ehrgeiz nicht. Als Barzel Ende 1962 in der Folge der Spiegel-Krise ins Kabinett berufen wurde, wollte er offenbar vom Beauftragten der katholischen Bischöfe in Bonn eine Messe lesen lassen, zu der er engste politische Freunde einlud, darunter auch Heinrich Krone. Daraufhin rief dieser bei Barzels Persönlichem Referenten an und erkundigte sich, "ob Barzel übergeschnappt sei" (132). Die Messe wurde abgeblasen, dennoch äußerte sich Krone in seinem Tagebuch geradezu verächtlich über "die Angeberei" (132) des sehr jung in hohe Ämter gelangten Ministers. Kleinmann spekuliert in seiner Einleitung darüber, ob Krone an Barzel nicht unbewusst die Eigenschaften kritisiert habe, die ihm selber fehlten. Obwohl es sicher richtig ist, dass es Krone, so sehr er auch in sachlichen Fragen Härte zeigen konnte, nicht lag, um Ämter und Anerkennung zu kämpfen, so war es in diesem Falle wohl doch eher die Eitelkeit, die ihn abstieß, wie auch seine Kommentierung von Barzels Kanzlerkandidatur nach Erhards Scheitern erkennen lässt: "Barzel ist zu eitel, um klug zu sein." (517) Erhard dagegen hat Krone, obwohl er sich der politischen Schwächen des Kanzlers nur allzu bewusst war, menschlich sehr geschätzt, wie an vielen Eintragungen erkennbar ist.
Es soll jedoch kein falscher Eindruck erweckt werden. Der Quellenwert von Heinrich Krones Tagebüchern liegt keineswegs in der Kolportage von politischem Tratsch, sondern im Gegenteil darin, dass hier ein politisch und menschlich erfahrener Akteur, der an vielen Entscheidungen und politischen Konflikten an zentraler Stelle beteiligt war, sehr offen eine äußerst persönliche, an einen festen weltanschaulichen Standort gebundene Sicht der Ereignisse und Vorgänge, aber eben auch der handelnden Menschen formuliert.
Der zweite Band der Tagebücher beginnt mit der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl im November 1961. Im Grunde war Krones ungewöhnlicher Wechsel vom äußerst einflussreichen Vorsitz der Unionsfraktion im Bundestag auf den Posten eines Bundesministers ohne Portefeuille eine aus der Not der Koalitionsverhandlungen mit der FDP geborene Verlegenheitslösung. Nachdem die Liberalen Adenauer als Bundeskanzler nicht hatten verhindern können, bestanden sie auf die Ablösung Brentanos als Außenminister. Dessen Nachfolger wurde der insbesondere bei den Berliner Unionsabgeordneten höchst umstrittene Innenminister Gerhard Schröder. Um die Berliner zu beruhigen, holte Adenauer Krone ins Kabinett, denn dieser galt - was gerade in den Wochen und Monaten unmittelbar nach dem Mauerbau von größter Bedeutung war - in den Berlin-Fragen als besonders zuverlässig. War Krone also zuerst vornehmlich mit der Berlinpolitik betraut, so gewann sein neu geschaffenes Ministerium mit der Zuständigkeit für den Bundesverteidigungsrat, die Adenauer ihm noch kurz vor seinem Rücktritt übertrug und die Erhard sogar noch verstärkte, ein eigenständiges Profil. Jedoch gelang es Krone gegen den Widerstand der klassischen Ressorts nicht, wie er sich am Ende seiner Amtszeit resignierend eingestand, daraus ein zentrales, alle Fragen der Sicherheitspolitik koordinierendes Ministerium zu schaffen.
Die Ausrichtung des neu geschaffenen Ministerium weist schon auf die Schwerpunkte hin, die auch die Tagebuchaufzeichnungen dominieren: die Deutschland-, Außen- und Sicherheitspolitik, die gerade in jenen Jahren aufs engste verwoben waren. In dem viel beschriebenen Atlantiker-Gaullisten-Streit der Sechzigerjahre, der nicht zuletzt auf Grund seiner konfessionellen Dimension - die meisten Atlantiker in der Union waren evangelisch und die meisten der Gaullisten katholisch (vergleiche zum Beispiel den Eintrag vom 21. Juli 1964, 316) - die Unionsparteien an den Rand einer tiefen Krise führte, nahm Krone eine gemäßigte Position ein. So sehr auch er grundsätzlich von der Bedeutung eines engen deutsch-französischen Zusammenwirkens überzeugt war, so blieb er sich doch auch stets darüber im klaren, wie sehr die Sicherheit der Bundesrepublik von den Vereinigten Staaten abhängig war, was manche der eifrigen Unionsgaullisten, wie etwa Franz Josef Strauß, gelegentlich zu verdrängen schienen. Bei aller Wertschätzung für den französischen Präsidenten sah Krone doch, dass manche der deutsch-französischen Irritationen auf dessen Unilateralismus zurückgingen (vergleiche den Eintrag vom 28. April 1965, 363f.). Und so sehr Heinrich Krone der Politik des Außenministers Gerhard Schröder kritisch gegenüber stand, so wenig beteiligte er sich an den verschiedenen Intrigen, die auf dessen Sturz zielten.
Daneben kommt in den Tagebüchern häufig zum Ausdruck, dass Krone eine der treibenden Kräfte war, die aus dem Hintergrund immer wieder auf den Abschluss der Großen Koalition drängten. Wie manch andere konservative Unionspolitiker war er von der Persönlichkeit Herbert Wehners fasziniert. Vor allem ging es ihm aber aus grundsätzlichen Erwägungen darum, die Sozialdemokratie in die Führung des Staates einzubinden. Es war letztlich eine historische Ironie, dass ihn die Verwirklichung dieser Koalition 1966 sein Ministeramt und seinen großen politischen Einfluss kostete.
Neben dem hohen tagespolitischen Informationsgehalt, der in diesen Aufzeichnungen steckt, sind Krones Tagebücher insgesamt ein eindrucksvolles Dokument der Sorge eines konservativen Katholiken der frühen Bundesrepublik: Sorge um Deutschland und die Verfestigung der deutschen Teilung, Sorge um die Union und deren weltanschauliches, christliches Fundament, Sorge auch um die Entwicklung innerhalb der katholischen Kirche. Gerade die immer wieder eingestreuten Reflexionen über den christlichen Glauben und die katholische Kirche machen neben dem politik- auch den großen mentalitätsgeschichtlichen Wert dieser Tagebücher aus.
Torsten Oppelland