Werner Faulstich: Die bürgerliche Mediengesellschaft (1700 - 1830) (= Die Geschichte der Medien; Bd. 4), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, 295 S., ISBN 978-3-525-20790-1, EUR 46,00
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Seit 1996 erscheint die jetzt auf sechs Bände angelegte "Geschichte der Medien" des Lüneburger Medienwissenschaftlers Werner Faulstich. Das ehrgeizige Unternehmen mit universalhistorischem Anspruch steht neben weiteren Gesamtdarstellungen aus jüngerer Zeit. So hat inzwischen Helmut Schanze ein "Handbuch der Mediengeschichte" (2001) ediert, Jürgen Wilke hat "Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte" (2000) vorgelegt, Jochen Hörisch den Überblicksband "Der Sinn und die Sinne" (2002). Darüber hinaus widmen die beteiligten Disziplinen sich verschiedensten Detailfragen, sodass an Einzeldarstellungen ohnehin kein Mangel herrscht. [1] Dass Epochenzäsuren unter Fachvertretern für erhöhte Aufmerksamkeit sorgen, ist nicht neu. Bei den einschneidenden Veränderungen, die durch die innovativen Informations- und Kommunikationstechnologien in unseren Tagen hervorgerufenen werden, liegt der Fall nicht anders. Faulstich gebührt hier das Verdienst, die Diskussion um Standort und Geschichte der Medien früh mitangestoßen und so auch zu einer Aufwertung der akademischen Mediendisziplinen beigetragen zu haben. Nicht zuletzt die Mediengeschichte selbst findet auf diesem Weg zunehmend zu eigenem Profil.
Vier Bände umfasst Faulstichs "Geschichte der Medien" bis heute. Erschienen sind für die Zeit "von den Anfängen bis zur Spätantike (8. Jahrhundert)" als Band 1 "Das Medium als Kult" (1997), für die Zeit zwischen 800 und 1400 als Band 2 "Medien und Öffentlichkeit im Mittelalter" (1996), Band 3 erschließt die zwischen 1400 und 1700 angelegte "Medienkultur der frühen Neuzeit" (1998), und den (aktuellen) Anschlussband 4 bildet der Überblick über die "bürgerliche Mediengesellschaft" mit den Eckdaten 1700 und 1830.
Faulstich kommt darin ohne Umschweife zur Sache. Medien, definiert er eingangs zu Band 4 bündig, seien "institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz. Seit Beginn der Menschheit regulieren sie als zentrale Steuerungs- und Orientierungsinstanzen den gesellschaftlichen Wandel. Ihre Funktionen im Einzelnen sind vielfältig [...], aber numerisch begrenzt: Kommunikation, Information, Speicherung, Unterhaltung und einige andere, mit Folgewirkungen wie Gemeinschaftsbildung, Unterdrückung und Ausbeutung, Werte- und Traditionsbildung, Simulation oder Emanzipation - in der ganzen Bandbreite von 'Spiel, Bildung, Macht und Profit'" (9).
Dem breit angelegten Medien-Begriff trägt eine größere Zahl an "Einzelmedien" Rechnung, die wiederum zu vier Gruppen gebündelt sind: "Menschmedien", "Gestaltungsmedien", "Schreibmedien" und "Druckmedien". Was hierunter im Einzelnen zu verstehen ist, verdeutlicht eine Übersicht am Ende des Bandes. Zu den "Menschmedien" zählen demnach etwa Prediger, Herold und Theater, zu den "Gestaltungsmedien" Schloss und Park, zu den "Schreibmedien" werden Brief, Blatt und Wand gerechnet und schließlich zu den "Druckmedien" die breite Palette von Zeitung, Plakat, Flugblatt, Flugschrift, Kalender, Almanach, Buch und Zeitschrift (253). Dass ein überwiegender Teil der so begriffenen Medien um 1700 bereits bekannt ist, tut der Sache keinen Abbruch. Auch das Buch gründet - es liegt dies im Wesen einer Reihe - auf den Erkenntnissen der vorausgegangenen Bände. Völlig getrennt ließe sich ein einzelner und so auch der aktuelle Band der Medienreihe nur unter Mühen verhandeln.
Andererseits kommt den Medien bei Faulstich mit Blick auf den Strukturwandel der Öffentlichkeit eine eigenständige, wenn nicht gar dominante Rolle zu. Die Herausbildung des Bürgertums ist für ihn zuvörderst ein durch Medien initiierter Prozess: "Die Durchdringung der gesamten Gesellschaft durch das städtische Bürgertum, die Konsolidierung der bürgerlichen Gesellschaft war erst möglich durch die konsequente Instrumentalisierung aller bereits bestehenden sowie durch die Herausbildung ganz neuer Kommunikationsmedien [...]. Erst die Medien vermochten jene Integration zu leisten, welcher die neue urbane Klasse bedurfte, um die Beschränkungen des Handels hin zum national übergreifend vernetzten Waren- und Informationsverkehr, um die territoriale Zersplitterung hin zur deutschen Hochsprache, zur deutschen Nationalkultur, zur 'deutschen Nation' zu überwinden. Die neue Identität des 'Bürgers' war Resultat einer neuen Medienkultur. Erst als Mediengesellschaft wurde die Gesellschaft im 18. Jahrhundert zur bürgerlichen" (21). Hat man demnach das Jahrhundert der Aufklärung auch als ein 'Jahrhundert der Medien' einzustufen?
Von den deutlich spürbaren Veränderungen, die dieses Jahrhundert der Aufklärung prägen und sich in den Medien niederschlagen, zeugt manches Zahlenbeispiel. Die Erscheinungsfrequenz der Zeitungen etwa erhöhte sich im Laufe des Jahrhunderts von zwei auf bis zu vier Ausgaben pro Woche, die Zahl der Titel bei den politischen Zeitungen von anfangs rund 50 auf mehr als 200 Titel / Erscheinungsorte, bei den Intelligenzblättern gar von weniger als zehn auf rund 170 Titel (29 ff.). Ebenso eindrucksvoll die Steigerungsrate im Verlagsbuchhandel: Um das Jahr 1740 zählte die Branche für den deutschsprachigen Raum ohne das Habsburgerreich jährlich rund 750 Novitäten, am Ausgang des Jahrhunderts war die Zahl um bald das Zehnfache auf 5000 Neuerscheinungen angewachsen. Indes profitierten nicht alle Sparten gleichermaßen von dem Zuwachs. Während ein vermehrtes Interesse an belletristischer und pädagogischer Literatur zu beobachten ist, sind die traditionellen populär-theologischen Titel rückläufig.
Bei den Zeitschriften verzeichnete der Markt - vor allem nach der Jahrhundertmitte - regelrecht einen Boom: Nach einem Anstieg von 70 Titel (1700) auf zunächst 300 bis 400 Titel (1750), überschritten sie in den 1780er-Jahren bereits die 1000er-Marke, um bis zum Jahr 1830 auf sage und schreibe 7000 Titel anzuwachsen. Mit dem enormen Aufschwung korrespondierte ein spürbarer Funktionswandel: Aus der traditionellen Gelehrtenzeitschrift entwickelte sich die 'Fachzeitschrift', und mit dem Typus der 'Moralischen Wochenschrift' wandte sich jetzt eine Zeitschrift an das gebildete bürgerliche Leserpublikum, die dem aufgeklärten Ideal gleichermaßen von Bildung und Unterhaltung entsprach (227 ff.). In dieser Eigenschaft war die Zeitschrift - wie beispielsweise auch die Reiseliteratur (15 ff.) - in der Tat ein typisch aufklärerisches Organ. Faulstich begreift sie denn auch als ein "Schlüsselmedium" und als "Herzstück der bürgerlichen Medienkultur der Zeit". Die Zeitschrift erweise sich als "ein auf Dauer angelegtes Kommunikationsforum für prinzipiell alle aktuellen zentralen sittlichen, moralischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, politischen und kulturellen Themen und Probleme der Zeit" (250). Was dem Leser nützlich, war für manchen Autor damals freilich nicht nur von Vorteil. Die Veränderungen im Literaturbetrieb, denen das Buch breiten Raum schenkt, waren keineswegs ohne Ironie. Denn die Autoren erkauften sich die Abnabelung vom höfischen Mäzenatentum um den Preis einer neuerlichen, wohl noch entschiedeneren Abhängigkeit vom neuen Typus des Verlegers. Für ihn stellvertretend wird Georg Joachim Göschen mit dem Ausspruch zitiert: "Ob ein Goethe das Buch geschrieben hat, ob es die höchste Geisteskraft erfordert hat, darauf kann ich als Kaufmann keine Rücksicht nehmen; ein Krämer kann kein Mäcen seyn" (191).
Dass die mit 1700 und 1830 fixierten Eckdaten sich nicht in allen Fällen als rund erweisen, muss in Anbetracht des Themenfokus nicht verwundern. Die Veränderungen im Postverkehr etwa lassen sich dem vorgegebenen Zeithorizont mehr schlecht als recht unterordnen. Faulstich fasst diese unter den (Schlüssel-)Begriffen 'Postkutsche', 'Briefkasten', 'Briefträger' und 'Beförderungspreise' (93 ff.). Im Falle des Postwagenverkehrs war jedoch schon das alte Reich des späten 17. Jahrhunderts durch ein Kurssystem erschlossen, der Briefkasten hingegen - Ausnahmen bestätigen die Regel - war für den besprochenen Zeitraum gar nicht repräsentativ. Gerade ihn will man zwar intuitiv im 'bürgerlichen Zeitalter' verorten, weil man sich die neue Bürgerlichkeit und ihren wachsenden kommunikativen Austausch ohne eine solche Erleichterung gar nicht vorzustellen vermag. Was jedoch ein Trugschluss ist. Noch Goethe verfügte wie viele Postkunden der Zeit über eine Dienerschaft, die seine Korrespondenz zum Postamt trug und die Post dort auch abholte. Der Briefkasten aber fand seine Verbreitung erst in der nachnapoleonischen Zeit und Sinn erst im Verein mit der 1840 'erfundenen' Briefmarke. Gewiss wäre die Aufklärung undenkbar ohne ein ausgebautes Postverkehrsnetz, im alten Reich mit seinen vielen Kleinstaaten stieß jedoch gerade dieser Postbetrieb buchstäblich auf Grenzen.
Insgesamt beobachtet Faulstich, dass "die Zahl der gesellschaftlich relevanten Einzelmedien zurückgegangen [ist]. Gab es zur Zeit der frühen Hochkulturen etwa 20 Einzelmedien, und zwar verteilt auf Mensch- (9), Gestaltungs- (6) und Schreibmedien (5), im Mittelalter dann etwa 14, so lag die Zahl in der Frühen Neuzeit wieder bei etwa 20, um im 18. Jahrhundert erneut deutlich reduziert zu werden." Und speziell für Band 4 bilanziert der Autor im Einzelnen: "Stuft man die gesellschaftliche Relevanz traditioneller Menschmedien wie beispielsweise Prediger und Herold niedrig ein, so bleibt hier nur noch das Theater - zwar als Tanz-, Sprech- und Musiktheater, aber jeweils elitär vereinnahmt von der Kunst: kommunikationsmedial ein Randgruppenphänomen. Die Erzählerin wurde zur Vorleserin, der Ausrufer funktional vom Intelligenzblatt abgelöst, der Prediger von der Zeitschrift, der Lehrer vom Lehrbuch, das Theater vom Drama und so weiter. Bewertet man ähnlich die feudalen Gestaltungsmedien wie Schloss und Park, so waren zwischen 1700 und 1830 neben den Schreibmedien Brief, Blatt und Wand in absoluter Dominanz nur noch die Druckmedien verbreitet (mit acht von insgesamt zwölf Einzelmedien). Bürgerliche Medienkultur war demnach zuallererst Druckmedienkultur" (253). Endlich wird das Ergebnis, mit Blick auf die "Bedeutung der Medien für den Strukturwandel des Öffentlichen", nochmals zugespitzt in der These: "Nicht 'die Öffentlichkeit' hat sich gewandelt und dabei neue Medien generiert, sondern umgekehrt hat erst der Medienwandel den Strukturwandel des Öffentlichen ermöglicht, den gesellschaftlichen Wandel zur Herrschaft des Bürgertums getragen" (255).
Faulstichs breit gefasster Medien-Begriff ist unter Historikern nicht unumstritten. Jede Form der zeichengebundenen Vermittlung bis hin zur "Wand als Medium" oder gar zum "Menschmedium" auf den Begriff 'Medium' anzuwenden, schwächt für den Mainzer Nachrichtenhistoriker Jürgen Wilke den Begriff selbst: "Dieser Gebrauch macht den Medien-Begriff allerdings ziemlich unspezifisch, ja löst ihn allzu weit und beliebig auf." [2] Auch bei dem Saarbrücker Historiker Wolfgang Behringer überwiegt Skepsis: "Die These, ein bestimmtes Medium habe für sich genommen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel bewirkt, teile ich allerdings nicht. Medien sind selbst 'soziale Konstrukte' in dem Sinn, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen 'erfunden' werden und nur in ihrem gesellschaftlichen Kontext Sinn machen." [3]
Schon der Vollständigkeit halber erwähnt sei, dass Faulstich sein Wissen praktisch ausschließlich aus Sekundärquellen bezieht. Noch dies Verfahren bedarf, zumal angesichts der Themenbreite und -fülle, wiederum einer gestrengen Auswahl. Dass der Autor in die hierbei zu Grunde gelegte Methodik keinen Einblick gewährt, bleibt zu bedauern. Zu gern hätte der Leser gewusst, weshalb etwa der Exkurs zur 'Reiseliteratur' ohne die hierbei grundlegenden Arbeiten von Wolfgang Griep und Klaus Laermann auskommt, obwohl die dort erörterten Fragen durchaus angerissen werden. [4] Schade auch, dass Faulstich jenen Autoren, die bei ihm ausführlich zu Wort kommen, nur selten die Gelegenheit zu kontroverser Debatte einräumt. Das Kapitel zum 'Literaturbetrieb', das mehrere Forschungsansätze kontrastiert, gewinnt hierdurch erheblich. Eine ähnliche Aufwertung hätte der ausführliche Exkurs zum Thema der 'romantischen Liebe' verdient. Gerade die Kulturgeschichtsschreibung, der Faulstich sich verpflichtet sieht, hat hier in den vergangenen Jahren reichlich für (Zünd-)Stoff gesorgt: Betrachtet man die 'romantische Liebe' - was dann freilich müßig wäre - nicht ausschließlich als fiktionales Konstrukt, wird man sie auch kaum als Neuentdeckung des 18. Jahrhunderts verhandeln dürfen. [5]
Für Ärgernis sorgt bei dem Band dessen massive Fehlerhaftigkeit. Nur einige Beispiele: "Bödeler" (15) anstelle von Bödeker, "Willke" (38, 43, 227, 229, 230) statt Wilke, "Dollmeier" (41) statt Dallmeier, "van Dulmen" (63) statt van Dülmen, "Seinhausen" (88) statt Steinhausen, "von Behn" (135) statt von Böhn, "Reinhart" (185) anstelle von Reinhard Wittmann, "Helmut" (177) statt Helmuth Kiesel. Auch die "Turn und Taxissche Postverwaltung" (101) trägt zu den Flüchtigkeitsfehlern bei sowie der "Hamburgische unpartheyische Correspondent", dessen Schreibweise zwischen "unpartheyisch" (30) und "unparteyisch" (38, 43) schwankt. Einige Quellenverweise werden im Anhang nicht aufgelöst, manche der genannten Jahresdaten erweisen sich als widersprüchlich. Im Falle eines Aufsatzes des Volkskundlers W[ilhelm] H[einrich] Riehl stehen dem Leser mit "1852" (154), "1858" (155), "1859" (156) und "1958" (279) gleich vier verschiedene Jahresangaben zur Wahl. Gerade ein Wissen komprimierender Band macht, so lehrt die Erfahrung, ein Mehr an redaktionellem Engagement zwingend erforderlich. Autor und Verlag aber haben diese Anstrengung offensichtlich gescheut.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt den bibliografischen Überblick bei Detlev Schöttker (Hg.): Mediengebrauch und Erfahrungswandel. Beiträge zur Kommunikationsgeschichte, Göttingen 2003, 22 ff. und dort auch die Einleitung des Herausgebers.
[2] Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln, Weimar 2000, 2.
[3] Wolfgang Behringer: Im Zeichen des Merkur, Göttingen 2003, 23. Vgl. hierzu die Rezension von Johannes Arndt in dieser Ausgabe; URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/3862.html
[4] Vgl. Wolfgang Griep: Reiseliteratur im späten 18. Jahrhundert, in: Rolf Grimmiger (Hg.): Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680-1789, München 1980, 739 ff.; Klaus Laermann: Raumerfahrung und Erfahrungsraum. Einige Überlegungen zu Reiseberichten aus Deutschland vom Ende des 18. Jahrhunderts, in: Hans Joachim Piechotta, Reise und Utopie, Frankfurt a.M. 1976, 57 ff.
[5] Vgl. Hans-Jürgen Bachorski (Hg.), Ordnung und Lust. Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität im Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Trier 1991, insbes. den Beitrag von Mathias Beer: "Wenn ych eynen narren hett zu eynem Man, da fragen dye Freund nyt vyl danach." Private Briefe als Quelle für die Eheschließung bei den stadtbürgerlichen Familien des 15. und 16. Jahrhunderts; sowie Beatrix Bastl: Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit, Wien u.a. 2000.
Klaus Beyrer