Christoph Hölz: Der Civil-Ingenieur Franz Jakob Kreuter. Tradition und Moderne 1813-1889. Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Förderkreis Roseninsel Starnberger See e.V. (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 112), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2003, 480 S., 114 Farb-, 64 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-06425-6, EUR 68,00
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Das Bild des deutschen Architekten im 19. Jahrhundert ist nach wie vor ein indifferentes: entweder absolviert er eine glänzende Karriere und wird als international bekannter Hof- und Staatsarchitekt für öffentliche Monumentalbauten tätig, oder aber er fristet ein regional beschränktes Dasein als Baukondukteur und Landbaumeister und ist vorrangig mit Reparatur- und Ingenieurarbeiten beschäftigt. Besonders für den Zeitraum zwischen 1840 und 1870, in dem die Trennung der Berufssparten Architekt und Ingenieur einzusetzen beginnt, herrschen erschreckende Forschungslücken, die nur mithilfe genauer Quellenauswertung geschlossen werden können.
Eine Arbeit, die hier Vorbildliches leistet, stellt die vorliegende, im Jahr 2001 an der TU München eingereichte Dissertation über den Civil-Ingenieur Franz Jakob Kreuter dar. Der Autor Christoph Hölz hat in jahrelanger akribischer Puzzletätigkeit den weit verstreuten Nachlass des bis dahin unbekannten Architekten zusammengefügt und ein erstaunlich facettenreiches Berufsfeld entstehen lassen. Präsentiert werden diese Ergebnisse in einem umfangreichen und sehr aufwändig und ansprechend gestalteten Buch mit einer Vielzahl farbiger Abbildungen, durch die erstmalig Pläne und Aquarelle Kreuters einer größeren Öffentlichkeit gezeigt werden können. Ein 54 Nummern umfassendes Werkverzeichnis sowie eine Bibliografie der erhaltenen Privatbibliothek Kreuters im Anhang vervollständigen diese Monografie.
Franz Jakob Kreuter wollte sich als "erster Civil-Ingenieur Bayerns" verstanden wissen. Nach seinem Studium bei Friedrich von Gärtner und Leo von Klenze ließ er sich 1839 als selbstständiger Architekt in München nieder und war sowohl für Aufträge der "Höheren Baukunst" wie der "Civil-Baukunst" (Industrie- und Nutzbauten) zuständig. Um möglichst viele und lukrative Aufträge dieser Art zu erhalten, verfuhr Kreuter nach zwei Prinzipien: erstens dem Aufbau eines möglichst umfassenden Netzwerks kompetenter Auftraggeber und zweitens mithilfe der Erweiterung seiner traditionellen Architektenausbildung "durch die Hinwendung zur modernen Technik und Naturwissenschaft" (9). Genau diese beiden Themenbereiche sind es, denen sich der Autor Hölz in seiner Studie intensiver widmet; er erreicht damit die Vorstellung eines "Panoramas der gesellschaftlichen Verhältnisse" (10) zur Entstehungszeit der Bauten Kreuters. Trotz der chronologisch aufgebauten Gliederung geht es Hölz also nicht in erster Linie um die Rekonstruktion eines stilistischen Entwicklungsgangs dieses Architekten, sondern vielmehr um die Darstellung des breiten Spektrums seiner Tätigkeiten und Interessen. So hätte man im Titel den für das 19. Jahrhundert inzwischen allzu abgedroschenen Passus "Tradition und Moderne" auch gut weglassen beziehungsweise ihn durch "Architektur, Technik und Naturwissenschaft" ersetzen können.
Denn es sind diese zwei großen komplementären Aufgabengebiete Architektur und Naturwissenschaft beziehungsweise Technik, um die Kreuter als "Civil-Ingenieur" sein Leben lang bemüht ist. Aufbauend auf seinem naturwissenschaftlichen Studium beginnt Kreuter sich ab 1839 für die chemische Industrie in Bayern zu engagieren, er setzt sich mit der Stearinkerzen-Herstellung, der Gas-Synthese, Holzimprägnierung, Asphalt-Aufbereitung und Torfgewinnung (als wichtiger Energiequelle) auseinander und baut für renommierte Industriellenfamilien entsprechende Fabrikanlagen. Hölz konnte den Archivquellen darüber hinaus entnehmen, das Kreuter, nicht nur, wie bereits bekannt, als Industriearchitekt aktiv war [1], sondern auch selbst als Chemiker und Fabrikunternehmer agierte. So betrieb er zum Beispiel zusammen mit dem Freiherrn Ferdinand von Schaetzler ab 1840 die Schwefelsäure- und Sodafabriken Bosch & Co in München und Augsburg. Interessant ist auch für den Leser zu erfahren, dass Kreuter sich in den 1840er-Jahren mit der Einführung der Asphaltpflasterung zum "Belegen von Brücken und Trottoirplatten" (77) befasste. Hölz macht in diesem Zusammenhang deutlich, wie sehr dieses neue Material die Überlegungen hinsichtlich des Städtebaus und der Platzgestaltung in den europäischen Metropolen beeinflusste. Ebenso war die Gasbeleuchtung ein wichtiger neuer technischer Faktor in der Lichtinszenierung einer Großstadt im 19. Jahrhundert, auch auf diesem Gebiet war Kreuter für München agil und legte 1842 König Maximilian II. einen Kostenvoranschlag vor.
Parallel zu dieser Ingenieurtätigkeit arbeitete Kreuter in den 1840er und 50er-Jahren in München und später in Wien als Architekt der "höheren Baukunst". Obwohl kaum Villen- und Wohnhäuser Kreuters erhalten sind, kann Hölz anhand des erarbeiteten Quellen-, Plan- und Bildmaterials diese Phase wiedererstehen lassen. Kreuters Stil zeichnet sich hier durch Formen der Neurenaissance sowie eine Sichtziegelbauweise aus, die er früher als seine Kollegen Friedrich von Gärtner und Friedrich Bürklein von der Schinkel'schen Berliner Schule nach München adaptiert, so zum Beispiel am Wohnhaus für den Düsseldorfer Maler Wilhelm von Kaulbach. Kreuters Landhäuser, wie die Villa Gruber am Starnberger See, zeigen den Typus der palladianischen Villa, angereichert durch seitliche Flügelbauten, die das großbürgerliche Raumprogramm beherbergten. Auch die Innenausstattungen mit aufwändigen pompejianischen Wandmalereien und vor allem Deckenplafonds sind von Kreuter selbst in kunstvollen Entwürfen konzipiert worden. Dass sich der Architekt zu guter letzt auch noch um die Gartengestaltung der Villa Gruber gekümmert haben soll, mag man kaum glauben; immerhin zog er dann einen Experten, den Düsseldorfer Gartenarchitekt Maximilian Friedrich Weye, hinzu.
Der Autor verschweigt nicht, dass Franz Jakob Kreuter zwar attraktive Bauaufträge vom bayerischen König Maximilian II. erhielt, diese auch auszuführen begann, aber jedes Mal auf Grund seiner finanziellen und terminlichen Buchhaltung scheiterte. Beim Bau des Wintergartens für die Münchner Residenz 1851, einem frühen Beispiel einer Eisen-Glas-Konstruktion, überzog Kreuter die anfänglich veranschlagten Kosten dermaßen, dass ihm Maximilian schließlich die Bauleitung entzog. So kam statt des revolutionären Glasgewölbes für die Anlage eine vereinfachte Flachdachversion unter August von Voit zur Ausführung. Ähnlich verlief das Bauprojekt eines Casinos als saisonal genutztes Spiel- und Speisehaus der königlichen Familie auf der Insel Wörth im Starnberger See, bei dem Kreuters Konzept einer romantischen Villa mit umliegendem Park die Kosten explosionsartig in die Höhe schnellen ließ. Auch hier erfolgte die Fertigstellung des Gebäudes durch einen anderen, den Architekten Eduard Riedel. Hölz gelingt es dennoch, Kreuters großen innovativen und künstlerischen Anteil an diesen Bauten durch seine gründliche Quellenrecherche und das herangezogene Bildmaterial zu belegen.
Als letzter wichtiger Aspekt in Kreuters abwechslungsreicher Karriere seien der Eisenbahnbau sowie der soziale Wohnungsbau erwähnt. Hölz referiert dieses Aufgabengebiet recht ausführlich, um Kreuters politisch-soziales sowie auch landwirtschaftlich-nationalökonomisches Engagement zu demonstrieren. Es war eben nicht nur Gottfried Semper, der 1848 in Dresden auf die Barrikaden ging, auch Franz Jakob Kreuter setzte sich bei einem Eisenbahnprojekt in Ungarn zwischen 1846 und 1848 in Zusammenarbeit mit dem Revolutionär Ludwig von Kossuth und mit seiner Schrift "Die Verbindung der Untern Donau mit dem Adriatischen Meere durch eine Eisenbahn von Semlin nach Fiume" für einen demokratischen Verfassungsstaat ein. Ein von Hölz herausgegriffenes Zitat aus Kreuters Schrift hat an Aktualität bis heute nicht verloren: "Nur solche Völker können frei werden und ihre Freiheit behaupten, wo bürgerlicher Wohlstand herrscht, und jedem, der sein Vaterland liebt, muss daran liegen, den Wohlstand der unteren Classen zu fördern, wodurch die höheren von selbst gehoben werden; dies kann aber nur geschehen durch Arbeit, die man diesen Menschen gibt, wodurch ihre Intelligenz geweckt und ihre Moral erhalten wird" (204).
Diese Monografie über Franz Jakob Kreuter bietet eine Unmenge an neuem Material über die vielfältige Tätigkeit des Architekten und darüber hinaus über die Mechanismen der Auftragsvergabe und Netzwerkbildung im Bau- und Ingenieurgewerbe sowie über die enge Verquickung von Technik, Naturwissenschaft und Architektur im 19. Jahrhundert. Dass der Autor sich an manchen Stellen zu sehr in den Quellendetails zu verlieren droht, sei im auf Grund der Qualität der vielen neu erarbeiteten Ergebnisse leicht verziehen.
Anmerkung:
[1] Siehe Winfried Nerdinger (Hrsg.): Romantik und Restauration. Architektur in Bayern zur Zeit Ludwigs I. 1825-1848. Ausstellungs-Katalog München 1987, 330.
Stefanie Lieb