Hillary Rodham Clinton: Gelebte Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Stefan Gebauer und Ulrike Zehetmayr, 5. Auflage, München: Econ 2003, 670 S., ISBN 978-3-430-11862-0, EUR 24,00
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Amt und Persönlichkeit der First Lady spielen in der politischen Kultur der USA eine eigentümliche Rolle. Diese erklärt sich aus der doppelten Funktion des Präsidenten als republikanischem Monarchen und Staatsoberhaupt einerseits und Chef der Regierung andererseits. So hat die First Lady mit dem Aufstieg der imperialen Präsidentschaft im Laufe des 20. Jahrhunderts eine für diese Institution wachsende Bedeutung gewonnen, sodass heute das in der Verfassung nicht vorgesehene "Amt" der First Lady wenigstens für die Außendarstellung der Präsidentschaft wichtiger ist als der politisch eher unbedeutende Vizepräsident, der unter Clinton und dem jüngeren Bush eine vermutlich nur vorübergehende Aufwertung erfahren hat.
Während Laura Bush in der Kriegspräsidentschaft ihres Mannes kaum in Erscheinung tritt, erreichte der Zuwachs an institutioneller Macht der First Ladyship unter Hillary Clinton einen vorläufigen historischen Höhepunkt. Diese stand als Präsidentengattin nicht zufällig im Mittelpunkt vieler Kontroversen um die Präsidentschaft ihres Gemahls und konnte ihre "Amtszeit" im Weißen Haus als Sprungbrett zu einer eigenständigen politischen Karriere nutzen, ein Novum in der Geschichte von First Lady und Präsident. Selbst ihr großes Vorbild Eleanor Roosevelt widerstand nach ihrem Ausscheiden aus dem Weißen Haus allen Versuchen, sich als Kandidatin für den Kongress werben zu lassen, wenn sie auch immerhin das Amt der ersten UN-Botschafterin der USA wahrnahm.
Angesichts einer eminent politischen Auffassung von Aufgaben und Rolle der First Lady legt Clinton den Schwerpunkt ihrer Erinnerungen auf die politischen Kontroversen um ihren Ehegatten, während ihre persönliche Herkunft, ihre politische Sozialisation in einer republikanisch gesinnten Mittelschichtfamilie, ihre Konversion nach links im Umfeld der Protestkultur der ausgehenden 1960er-Jahre bis hin zur Heirat mit Bill Clinton im Oktober 1975 nur die ersten 100 Seiten dieser "Gelebten Geschichte" ausmachen und über das bereits bisher Bekannte hinaus nur wenig Neues bringen.
In erster Linie geht es Clinton darum, den Beweis für ihre kontroverse Äußerung zu führen, es habe eine umfassende, konservative Verschwörung ("vast, right-wing conspiracy") gegen die Präsidentschaft ihres Mannes gegeben, indem sie ausführlich die Genese des Whitewater-Falles, einer missglückten Immobilien-Spekulation der Familie Clinton in Arkansas, und des Wirkens des von der republikanischen Kongressmehrheit mit unbegrenzten Ressourcen ausgestatteten Sonderermittlers Kenneth Starr schildert. Breiten Raum nimmt natürlich auch die Lewinsky-Affäre ein, als die republikanische Kongressmehrheit einen Seitensprung des Präsidenten für ein Amtsenthebungsverfahren instrumentalisierte.
Von besonderem Interesse für die Forschung sind Clintons ausführliche Reflexionen über die Funktion der First Lady. Dabei stellt sie sich sehr bewusst in die Tradition der bedeutenden First Ladys, angefangen mit Dolley Madison (191), der Frau des vierten Präsidenten. Sehr deutlich wird der Vorbildcharakter Eleanor Roosevelts, deren Büste Clinton im Weißen Haus aufstellen ließ, um den Beitrag der Präsidentengattin für den "Mythos Roosevelt" deutlich zu machen (201). Nach dem Desaster der Gesundheitsreform, für das Hillary Clinton persönlich verantwortlich zeichnete, und dem republikanischen Wahlsieg in den "mid term elections" im November 1994 suchte sie das "Zwiegespräch" mit ihrer großen Vorgängerin (324 ff.). Nachdem Clinton es anfänglich vermieden hatte, den Titel "First Lady" zu führen, wurde sie, als von der neuen Frauenbewegung geprägte "baby boomerin" ein wenig wider Willen, auf eine konsensuale Linie zurück ins Glied gezwungen, was ihren tatsächlichen Einfluss auf die Präsidentschaft ihres Mannes jedoch nicht schmälerte.
Auch mit der Rolle der jüngeren, aktivistischen First Ladys wie Lady Bird Johnson, auf die eine Reihe von institutionellen Neuerungen im Rahmen der First Ladyship zurückgingen (213), Pat Nixon, Betty Ford und Rosalynn Carter, setzt sich Clinton in ihren Memoiren auseinander. Sie übernimmt hier die Rolle einer Historikerin ihres eigenen Amtes. Deutlich wird der enge Austausch der First Ladys über die Generationen hinweg, vor allem Clintons Verhältnis zu Jackie Kennedy (183 ff.), der sie Einsichten über den Schutz der Familie des Präsidenten vor der Öffentlichkeit verdankte. Ein ganzes Kapitel ist dem bürokratischen Konkurrenzkampf von Westflügel, wo sich das "oval office", also das Büro des Präsidenten, befindet, und dem Ostflügel gewidmet, wo seit der Administration Truman der Stab der Präsidentengattin untergebracht ist. Es gelang Clintons Stabschefin, erstmals in der Geschichte des Weißen Hauses Arbeitsplätze für die Mitarbeiterinnen der Präsidentengattin in der Nähe des Präsidentenbüros zu sichern.
Da Hillary Clintons Ambitionen auf den Präsidentensessel oder andere hohe politische Ämter nachgesagt werden, sind ihre Erinnerungen nur in zweiter Linie von historischem Interesse. Man mag den Quellenwert für die Geschichte der Präsidentschaft Clinton in Zweifel ziehen, als politisches Manifest wird dieses Buch, das nicht zufällig mit der Vereidigung von Senator Clinton am 3. Januar 2001 im Senat endet, weiterhin große Aufmerksamkeit finden.
Philipp Gassert