Ulrich Pfeil: Die "anderen" deutsch-französischen Beziehungen. Die DDR und Frankreich 1949-1990 (= Zeithistorische Studien; Bd. 26), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, 704 S., ISBN 978-3-412-04403-9, EUR 64,90
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Wer von den deutsch-französischen Beziehungen in der Nachkriegszeit sprach, bezog sich auf das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Frankreich. Dass auch zwischen der DDR und Frankreich vielfältige Kontakte, seit 1973 auch diplomatische Beziehungen, bestanden, war im allgemeinen Bewusstsein kaum präsent. Daher ist es zu begrüßen, dass sich Ulrich Pfeil auf breiter archivalischer Grundlage den "anderen" deutsch-französischen Beziehungen widmet. Sein Ziel ist, das ostdeutsch-westdeutsch-französische Beziehungsgeflecht "nicht alleine als (außen-) politisch-diplomatiegeschichtliches Forschungsthema", sondern auch "als asymmetrische und dynamische Dreiecksgeschichte mit seinen sozio-kulturellen Ebenen in der bipolaren Weltordnung" zu behandeln (33). Die Einbeziehung der sozio-kulturellen Dimension jenseits von und in Verbindung mit Politik und Diplomatie führt zur Ausbreitung eines äußerst reichhaltigen Tableaus, das unter anderem die gemeinsamen Anknüpfungspunkte beim Antifaschismus, das Verhältnis zwischen SED und den französischen Linksparteien, die Freundschaftsgesellschaften, die Kontakte in Theater, Oper, Film, Wissenschaft, den Fremdsprachenunterricht, die Jugendbeziehungen und die Städtepartnerschaften umfasst. Der rote Faden entschwindet zwar nie völlig, wird an einigen Stellen jedoch etwas dünn.
Die Arbeit verdeutlicht, dass die französische Führung die DDR stets im Zusammenhang ihrer Deutschlandpolitik beurteilte. Und darin besaß der westdeutsche Teilstaat, mit dem sich Frankreich immer enger verband, durchgehend Priorität vor der DDR. Trotz aller Lippenbekenntnisse und vertraglichen Verpflichtungen zur deutschen Einheit waren indes der französischen Politik zwei deutsche Staaten lieber als ein Gesamtdeutschland. Die deutsche Teilung und die feste Einbindung der Bundesrepublik in den Westen schien die deutsche Gefahr auf absehbare Zeiten zu bannen. Die DDR konnte nur dann an Gewicht gewinnen, wenn es im westdeutsch-französischen Verhältnis kriselte, etwa nach Abschluss des Elysée-Vertrags 1963 oder in den Jahren 1969 bis 1973, als Paris den ostpolitischen Initiativen Bonns misstrauisch gegenüberstand. 1964/65 häuften sich die DDR-freundlichen Gesten Frankreichs, ungeachtet der festen Auffassung de Gaulles, dass die Regierung in Pankow "un gouvernement absolument artificiel" und die DDR "une zone d'occupation russe" sei (113). Während damals Ost-Berlin als Druckmittel gegenüber Bonn fungieren sollte, dienten die parallel zur "Neuen Ostpolitik" Willy Brandts unternommenen direkten, geheimen Kontakte zur DDR dazu, ihr durch Bonn nicht recht befriedigtes Informationsbedürfnis zu stillen. Auch die Gesten und Schritte gegenüber der DDR wurden also mit Blick auf die Bundesrepublik unternommen.
Nach der Anerkennung der DDR durch Frankreich änderte sich an dieser Grundkonstellation nicht viel. Frankreich achtete strikt auf seine Rechte als Siegermacht, sodass es seine Botschaft in Ost-Berlin nicht in der DDR, sondern nur bei der DDR eröffnete. Das äußerst langwierige Ringen um einen Konsularvertrag, der die umstrittene Staatsbürgerschaftsfrage ansprach, zeigt, dass Frankreich hier ganz eng zu seinem westdeutschen Verbündeten stand. Unterzeichnet wurde der Vertrag erst 1980, gemeinsam mit einem Kulturabkommen, das auch die Errichtung eines allgemein zugänglichen französischen Kulturinstituts in Ost-Berlin vorsah. Auf die Frage, ob die Zustimmung zur Errichtung dieses Kulturinstituts die ostdeutsche Gegenleistung für die französische Zustimmung zu dem Konsularabkommen darstellte, wird leider nicht eingegangen.
Im Dezember 1989 wurde das westdeutsch-französische Verhältnis noch einmal ernsthaft durch einen Schritt des französischen Präsidenten in Richtung DDR getrübt. Angestoßen durch den Zehn-Punkte-Plan von Helmut Kohl besuchte François Mitterrand damals den ostdeutschen Ministerpräsidenten Hans Modrow in Ost-Berlin. Es handelte sich um einen letzten Versuch, die für Frankreich vorteilhafte Nachkriegsordnung zu erhalten, woraus noch einmal der Stellenwert der DDR für die französische Politik hervorgeht: Deren Existenz schien notwendig zur Einhegung des westdeutschen Nachbarn; auch in dieser Phase war die französische DDR-Politik eine Funktion ihres Verhältnisses zur Bundesrepublik.
Die DDR wiederum, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung Pfeils, überschätzte ihre Möglichkeiten im Hinblick auf Frankreich ebenso wie die Risse im westdeutsch-französischen Bündnis. Dies gilt etwa für die Jahre nach dem Elysée-Vertrag, als sich Ost-Berlin auf Grund der westdeutsch-französischen Spannungen zunächst Hoffnungen auf eine de-facto-Anerkennung durch Paris machte. Als sich dies nicht realisierte, setzte die ostdeutsche Führung zwar nicht mehr auf ein Ausscheren Frankreichs aus dem westlichen Bündnis in dieser Frage, hoffte aber auf Pariser Druck, um Bonn zu einer Anerkennung der DDR zu bewegen. In den Siebzigern und Achtzigern - die auf einer im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren dünneren archivalischen Grundlage behandelt werden - setzte die DDR vor allem auf Prestigegewinne durch eine immer intensivere Besuchsdiplomatie zwischen Ost-Berlin und Paris. Diese Treffen auf hoher und höchster Ebene, die im Besuch Honeckers 1988 in Paris kulminierten, demonstrierten aus Sicht der DDR-Führung ihre gewachsene Akzeptanz in der westlichen Staatenwelt. Gleichzeitig gaukelten sie ihr eine Legitimität vor, die sie im Innern jedoch keineswegs besaß.
Wenn unter transnationalen Beziehungen vor allem gesellschaftliche Beziehungen jenseits von Politik, Diplomatie und Wirtschaft zu verstehen sind, lassen sich die von Pfeil minuziös behandelten vielfältigen Kontakte der DDR nach Frankreich nicht unter dieser Bezeichnung subsumieren. Denn alle Partei- und sonstigen Kontakte standen eindeutig im Dienst der Anerkennungspolitik und nach 1973 der Imagepflege. Beabsichtigt war zum einen eine möglichst weitgehende Beeinflussung der französischen Öffentlichkeit, um den innerfranzösischen Druck in Richtung DDR-Anerkennung zu verstärken; zum anderen ging es um die Gewinnung bedeutender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich innerhalb der französischen politischen Institutionen für DDR-Belange einsetzen sollten. Dass die DDR hierbei vor allem auf das in Frankreich besonders starke linke Milieu und die hier verankerten politischen Parteien und Gewerkschaften setzte, ist wenig verwunderlich. Bemerkenswert ist hingegen das Ergebnis der Forschungen Pfeils in diesem Zusammenhang: Die Beziehungen waren alles andere als spannungsfrei, die französischen Kommunisten waren anfangs antideutsch und damit auch gegen die gesamtdeutsche Propaganda der DDR eingestellt. Die Beziehungen verbesserten sich zwar im Verlauf der Fünfzigerjahre, verschlechterten sich jedoch wieder deutlich mit dem Prager Frühling und dann ab Mitte der Siebzigerjahre, als der PCF sich eurokommunistisch gab. Sehr breit werden ebenfalls die in Frankreich 1958 gegründeten "Echanges Franco-Allemandes" (EFA) und die ab 1964 von der DDR aus tätige "Deutsch-Französische Gesellschaft" (Deufra) behandelt; die EFA entwickelten sich zur bedeutendsten nichtstaatlichen Organisation in Westeuropa, die sich für die DDR-Anerkennung einsetzte. Gleichwohl war all diesen Bemühungen kein Erfolg beschieden: Die Anerkennung der DDR war nicht Ergebnis dieser und anderer ostdeutscher Bemühungen, sondern wurde erst durch den deutsch-deutschen Grundlagenvertrag ermöglicht.
Pfeil bleibt nicht bei dieser Feststellung stehen, sondern fragt weiter, ob sich innerhalb der Betätigungsfelder der genannten und anderer Organisationen nicht weitere Beziehungen ergaben, die als Austausch auf kulturell-gesellschaftlicher Ebene verstanden werden können. Die politisch-ideologischen Ziele dominierten jedoch stets in einem solchen Maße, dass ein echter Kulturaustausch - an dem die SED ohnehin nicht interessiert war - nicht zu Stande kommen konnte. Die Kulturpolitik Frankreichs in der DDR hatte indes nach der Eröffnung des französischen Kulturinstituts in Ost-Berlin 1984 ungeahnte Auswirkungen auf Teile der ostdeutschen Gesellschaft: Indem das Kulturzentrum in zunehmendem Maße zu einer Anlaufstelle für die innere Opposition der DDR wurde, leistete die französische Kulturpolitik einen kleinen Beitrag zur Konstituierung der ostdeutschen Opposition. Die minimale Öffnung der DDR im Zuge der Entspannung ermöglichte folglich gesellschaftliche Prozesse, die aus Gründen der DDR-Staatsräson alles andere als erwünscht waren.
Hermann Wentker