Peter J. Rhodes (ed.): Athenian Democracy (= Edinburgh Readings on the Ancient World), Edinburgh: Edinburgh University Press 2004, XIV + 358 S., 3 Karten, ISBN 978-0-7486-1687-9, GBP 19,99
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Die "Wege der Forschung" sind tot, es leben die "Edinburgh Readings on the Ancient World"! Während die traditionsreiche Wissenschaftliche Buchgesellschaft inzwischen das Wort "Wissenschaftliche" unter dem Logo im Kleingedruckten versteckt, wird jenseits des Kanals nach wie vor erkannt, dass man Studierenden für eine fundierte akademische Ausbildung neben mundgerechten Einführungen auch das anfangs harte, erst durch geduldiges Kauen süßer werdende, dann aber sehr nahrhafte Brot von gelehrten Aufsätzen verabreichen muss. Der mögliche Einwand, solche "Reader" mögen vor dreißig Jahren ihren Sinn gehabt, diesen aber im Zeitalter von Fotokopierern, Scannern und Online-Aufsatzlieferdiensten verloren haben, geht ins Leere. Gerade angesichts der unüberschaubaren Flut von Abhandlungen muss eine kundige Hand grundlegende, klärende, originelle oder Schneisen schlagende Beiträge auswählen; was in den gelungenen "Wege der Forschung"-Bänden zu Herodot und Thukydides, zur griechischen Staatskunde oder zum Untergang des römischen Reiches versammelt war, stellte für längere Zeit einen Kanon dar, eine Diskussionsgrundlage, die zu kennen unabdingbar war.
Die recht neue Reihe "introduces English-speaking students to central themes in the history of the ancient world and to the range of scholarly approaches to these themes". Für den Band über die athenische Demokratie konnte mit Peter J. Rhodes einer der besten Kenner gewonnen werden. [1] Neben einer knappen allgemeinen Einleitung (1-12) umreißen kurze, kapitelweise zusammengefasste Einführungen jeden Autor und die Bedeutung der abgedruckten Arbeiten. Die Übersetzungen der drei ursprünglich fremdsprachigen Beiträge stammen in zwei Fällen aus bereits vorliegenden englischsprachigen Sammelbänden, nur die Studie von Claude Mossé über die "Konstruktion" Solons in der Überlieferung des 5. und vor allem 4. Jahrhunderts wurde neu übertragen. Gegen diese vereinheitlichende Praxis ist grundsätzlich nichts einzuwenden - auch die älteren "Wege der Forschung"-Bände hielten es so [2]; gerade sie hätte es aber erlaubt, mehr als nur einen ursprünglich deutschsprachigen Aufsatz aufzunehmen (siehe unten). Zitate in fremden alten und neuen Sprachen sind durch Übersetzungen ergänzt; in eckigen Klammern oder gesondert gekennzeichneten zusätzlichen Fußnoten verweist Rhodes gelegentlich knapp auf neuere Literatur oder ordnet das jeweils behandelte Problem in den weiteren Gang der Forschung ein. Abkürzungsverzeichnisse, drei Karten und ein (sehr knappes) Register geben weitere Hilfen bei der Erschließung.
Da der Band bereits publizierte, in den Lauf der Forschung eingegangene Studien aus den Jahren 1924 bis 1993 versammelt, erübrigt sich ein kritisches Referat der einzelnen Beiträge. Bei einem so zentralen und intensiv beforschten Thema kann selbstverständlich beinahe jeder Auswahl eine ebenso gute andere entgegengesetzt werden; die von Rhodes angeführten Kriterien (8) sind jedenfalls sehr allgemein.
Im ersten Teil sind unter dem etwas unscharf gebrauchten Begriff "Institutionen" Aufsätze zu wesentlichen Grundlagen und Prinzipien der athenischen Demokratie zusammengestellt: dem Bürgerrecht (J. K. Davies), den Abstimmungsprozeduren in der Ekklesia (M. H. Hansen), der Losung und ihrer technischen Gestaltung durch die Losmaschinen (St. Dow), den Tagegeldern (M. M. Markle) und den Hinrichtungsarten (L. Gernet mit einer anthropologisch orientierten, hier eher marginalen Studie). Teil zwei ist der politischen Praxis gewidmet: dem Wirken der Demagogen (M. Finley, "[who] was happier attacking large issues than disentangling intricate details" [161]), den Möglichkeiten für athenische Politiker zur Mobilisierung (Rhodes selbst, "[who is] happy disentangling intricate details" [ebenda.]), der Fest- und Dramenkultur (R. Osborne) sowie der fortschreitenden Trennung der politischen und der privaten Sphäre (S. C. Humphreys). Teil drei beleuchtet wichtige Momente in der Geschichte Athens: Solon (Cl. Mossé, siehe oben), Kleisthenes (J. Ober; D. M. Lewis) und die auch von Rhodes für sehr wichtig genommenen Reformen des Ephialtes (R. Sealey). [3]
An der Nahtstelle zwischen den systematisch angelegten Arbeiten von Teil eins und zwei und den Fallstudien über einzelne Ereignisse in Teil drei hätte nach Meinung des Rezensenten unbedingt thematisiert werden müssen, ob sich die Demokratie des 4. Jahrhunderts in ihrer institutionellen Architektur und in der politischen Mentalität der Bürger grundsätzlich von der des 5. Jahrhunderts unterschied oder ob die Veränderungen nach dem Peloponnesischen Krieg die demokratische Ordnung nur festigten, nicht aber qualitativ veränderten. An der Stelle des obsoleten, dem Zielpublikum des Bandes außerdem leicht zugänglichen Aufsatzes von D. M. Lewis über Kleisthenes' Neuordnung Attikas aus dem angeblichen Geist einer alkmaionidischen Familienpolitik hätte die einschlägige Studie von Jochen Bleicken stehen können [4]; dessen Grundlagenwerk "Die athenische Demokratie", in erweiterter Neubearbeitung 1994 erschienen, kommt jedoch im ganzen Sammelband nicht vor, weder im kurzen "Guide to Further Reading" (350-351) noch in der völlig willkürlichen "Intellectual Chronology" (349). Dass Bleickens Buch bisher nicht übersetzt wurde, kann kein Grund für diese unbegreifliche Blindstelle sein, denn Rhodes nennt sehr wohl die alte "Griechische Staatskunde" von Georg Busolt.
Immerhin ist wenigstens Christian Meier vertreten, freilich mutterseelenallein in dem etwas hilflos "A View of Democracy" betitelten Teil vier (zuerst als "Die Griechen. Die politische Revolution der Weltgeschichte" 1982 im "Saeculum" veröffentlicht).
Fazit: Das Buch ist nicht für den Lehr- und Studienbetrieb hier zu Lande gedacht und daher in diesem verzichtbar. Die Konzeption der Reihe und die sorgfältige Umsetzung durch einen der Großen in der Zunft vermögen jedoch insgesamt zu überzeugen. Für ähnliche Unternehmungen sollte im einstigen Land der "Wege der Forschung"-Bände auch nicht zuletzt deshalb wieder Raum sein, weil das Prinzip der Wissenschaft in den verkürzten und reduzierten, auf marktkonforme "Ausbildung" zielenden Studiengängen neu definiert und implementiert werden muss.
Anmerkungen:
[1] Vgl. meine Rezension in sehepunkte 4, 2004, Nr. 7/8 .
[2] Anders der als letzter in dieser Reihe erschienene, themengleiche "Wege der Forschung"-Band: Konrad H. Kinzl (Hg.): Demokratia. Der Weg zur Demokratie bei den Griechen. Mit einer Einleitung von Kurt A. Raaflaub, Darmstadt 1995 (WdF; 657); dazu U. Walter, in: Gymnasium 104 (1997), 173-176.
[3] Dazu jetzt differenzierend Michael Stahl: Gesellschaft und Staat bei den Griechen. Klassische Zeit. Paderborn u.a. 2003, 64-86.
[4] Jochen Bleicken: Die Einheit der athenischen Demokratie in klassischer Zeit, in: Hermes 115 (1987), 257-283 (= ders.: Gesammelte Schriften, Stuttgart 1998, Bd. 1, 41-67).
Uwe Walter