Theo Kobusch / Michael Erler (Hgg.): Metaphysik und Religion. Zur Signatur des spätantiken Denkens. Akten des Internationalen Kongresses vom 13.-17. März 2001 in Würzburg (= Beiträge zur Altertumskunde; Bd. 160), München: K. G. Saur 2002, 736 S., ISBN 978-3-598-77709-7, EUR 134,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hartmut Leppin: Einführung in die Alte Geschichte, München: C.H.Beck 2005
Peter Van Nuffelen: Orosius and the Rhetoric of History, Oxford: Oxford University Press 2012
Christopher L.H. Barnes: Images and Insults. Ancient Historiography and the Outbreak of the Tarantine War, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005
2001 trafen sich prominente Altphilologen und Philosophen, um über das Verhältnis zwischen Theologie und Metaphysik in der neuplatonischen Philosophie zu diskutieren. Die Publikation der zahlreichen Kongressbeiträge ist in sechs Sektionen gegliedert: I. Metaphysik und Theologie (Beiträge zur Ontologie und zur philosophischen Gotteslehre); II. Christentum und Platonismus (Berührungspunkte zwischen christlicher Lehre und platonischem Denken); III. Plotin und die Folgen (hier geht es um Kontinuitäten und Brüche im Verhältnis zwischen Philosophie und konkreten Formen der Religionsausübung bei Plotin und bei späteren Neuplatonikern wie Porphyrios, Jamblich, Simplikios, aber auch Augustinus); IV. Platon und die platonische Tradition (Verhältnis zwischen Neuplatonismus und der - soweit rekonstruierbar - ursprünglichen platonischen Lehre); V. Philosophie und Religion (praktische Aspekte der spätantiken Philosophie); VI. Religion und Literatur (literaturtheoretisches Bewusstsein der spätantiken religiösen Texte). Ein Ausblick ins Mittelalter (VII.) rundet die Kongressakten ab.
Für eine eingehende Rezension dieser imposanten und durchaus kohärenten Kongressakten fehlt dem Rezensenten die Kompetenz. Hier kann lediglich betont werden, wie wichtig der durch die Akten ermöglichte Einblick in die aktuelle wissenschaftliche Diskussion über den Neuplatonismus gerade für den Althistoriker ist. Denn er wird ständig mit Aspekten des Neuplatonismus zu tun haben, ob er sich mit der spätantiken Herrscherideologie, den theologischen Auseinandersetzungen des vierten oder fünften Jahrhunderts oder dem Widerstand der intellektuellen heidnischen Elite bis ins beginnende sechste Jahrhundert beschäftigt. Erinnert sei daran, dass die diokletianische Christenverfolgung ganz wesentlich von neuplatonischen Denkern wie Sossianus Hierokles inspiriert worden ist oder dass Konstantin der Große sich selbst als Philosoph bezeichnete und in der "Rede an die Versammlung der Heiligen" Kostproben trivialisierten neuplatonischen Gedankenguts anbot. Neuplatonisches Gedankengut hat meines Erachtens zahlreiche ganz konkrete politische Entscheidungen beeinflusst und bestimmt, die der gegenwärtige Althistoriker oft zu sehr aus der Perspektive der politischen Ratio deutet. Dies gilt etwa für das System der Tetrarchie, bei dem die Regel, dass die Kaiser zehn Jahre Caesares, zehn Jahre Augusti und danach Seniores Augusti sein sollten, als Maßnahme verstanden wird, chaotische Herrschaftswechsel zu vermeiden.
Das ist nur die eine Seite der Medaille. Wenn nämlich die (aus den Panegyrikern, den Münzen und dem epigrafischen Material zu rekonstruierende) Vorstellung herrschte, die Kaiser seien als Iovier und Herculier vom Himmel herabgesandt worden und würden in wohl geordneten Stufen (in Zehnjahresperioden) vom Status bewegter Caesares über den der Augusti in die Sphären unbewegter Seniores Augusti aufsteigen, wo sie in der Abgeschiedenheit entlegener Paläste (an ihrem Geburtsort) ihre endgültige Vergöttlichung, also eine Art homoiosis theo, abwarten sollten, dann ist die Nähe zum Neuplatonismus offenkundig. Die Vorstellung, Menschen seien "herabgesandt", um eine göttliche Mission zu erfüllen, und würden eine Mittlerstellung zwischen Schöpfer und Schöpfung einnehmen, ist völlig parallel mit der Rolle, die dem "Zweiten" oder dem "Sohn" besonders in der radikal-eunomianischen Version des Arianismus zugewiesen wird; vergleiche auch zu diesem Thema den Beitrag von M. Baltes ("Zur Philosophie des Marius Victorinus", 99-120). Aus dem interessanten Beitrag von Michael Erler ("Hilfe der Götter und Erkenntnis des Selbst. Sokrates als Göttergeschenk bei Platon und den Platonikern", 387-413) erfährt man, dass bei Jamblich, Syrian, Proklos und anderen Autoren Sokrates ebenfalls als ein solches vom Himmel herabgesandtes übermenschliches und rettendes Wesen verstanden worden ist, das (wie die tetrarchischen Kaiser) in Kontakt mit der Sphäre seines Ursprungs geblieben ist und sogar mit Herakles verglichen wird.
Die trivialeren und handfesteren Aspekte des Neuplatonismus werden im Band, der doch in allgemeinerer Form die "Signatur spätantiken Denkens" behandeln will, allerdings nur en passant gestreift. Die Ausblendung der politischen Ebene des Neuplatonismus erklärt sich damit, dass die versammelten Philologen und Philosophen sich natürlich in der Hauptsache für die anspruchsvolleren Texte interessiert haben, insbesondere für Plotin. Die genaue Betrachtung dieser Texte zwingt zur Differenzierung und Nuancierung landläufiger Vorstellungen, zum Beispiel derjenigen einer Wende zum Irrationalen, zur Innerlichkeit oder zur Leibfeindlichkeit (vergleiche insbesondere den Beitrag von W. Beierwaltes, "Zum metaphysischen Grund neuplatonischer Lebensform", 121-151). Überhaupt ist der Bruch zwischen Plotin und späteren Philosophen wie Jamblich, Proklos oder Simplikios (vergleiche I. Hadot, "Die Stellung des Neuplatonikers Simplikios zum Verhältnis der Philosophie zu Religion und Theurgie", 323-342) im Verhältnis zu den konkreten heidnischen Kulten so scharf, dass es schwierig ist, noch von dem einen Neuplatonismus zu sprechen. Der eine verachtet sie, die anderen bauen sie in ein System der Theurgie und Telestik ein. Offen bleibt nach der Lektüre des Kolloquiumsbandes auch, ob es eine Kontinuität zwischen dem Denken Platons und den Neuplatonikern gibt und ob die Neuplatoniker zu Unrecht und lediglich aus akademischen Gründen in Platon ihren Ahnherrn gesehen haben. Folgt man Andreas Graeser ("Tradition ohne Innovation? Kritische Bemerkungen zur Interpretation einiger klassischer Platon-Stellen", 355-365), besteht diese Kontinuität überhaupt nicht. Im bereits erwähnten Beitrag Erlers wird dagegen die Ansicht verfochten, dass bestimmte mystische Züge des Neuplatonismus wie die Vorstellung, dass die Erlösung nicht vom Menschen selbst, sondern vom Jenseits zu initiieren ist, also eine Art von Gnadenlehre, auf Platon selbst zurückgehen.
Ein Autorenverzeichnis und ausführliche Register schließen den ansprechenden Band ab.
Bruno Bleckmann