Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel. Ein landschaftlicher Vergleich (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters; Bd. 52), Stuttgart: Anton Hiersemann 2003, XVI + 630 S., ISBN 978-3-7772-0312-6, EUR 198,00
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Joachim Schneider beschreibt und analysiert in diesem auf seiner Würzburger Habilitationsschrift (WS 2000/2001) beruhenden Buch den sozialen Wandel im Niederadel des Reiches im Zeitraum von 1400 bis 1530. Seine Absicht ist es, durch einen prosopografischen Zugriff Gruppenbildungsprozesse im Niederadel zu erforschen und damit zugleich die Nützlichkeit regionaler Adelsstudien zu unterstreichen. Zudem will er durch eine vergleichende Perspektive die von ihm konstatierte landesgeschichtliche Verengungen der Niederadelsforschung überwinden. (13/14, 537) Schneider operationalisiert sein Vorhaben am Beispiel des Niederadels in (Kur-)Sachsen, Altbayern, das bis 1503 zeitweise in vier Herrschaftsgebiete aufgespalten war, und Franken (Bistümer Würzburg, Bamberg, Herrschaftsbereich der Hohenzollern). Er begründet die Auswahl dieser drei Landschaften damit, dass sie sich in sozial- und verfassungsgeschichtlicher Hinsicht signifikant unterschieden, und deshalb "ein kontrastiver Vergleich der sozialen Strukturen des Niederadels aufschlussreiche Ergebnisse erwarten ließ" (22).
Die Anlage und Gliederung des Buches entsprechen der doppelten Zielstellung der Untersuchung. Auf die Analyse der Genese von regionalen Niederadelspopulationen folgt der Vergleich der drei Adelslandschaften. Nach der Einführung in die Fragestellung, den Methoden und Prämissen seiner Arbeit (I) berichtet Schneider über den Forschungsstand und die Überlieferung (II). Im nächsten Kapitel erläutert er die Formierung des bayerischen Turnieradels im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts (III), um sich dann am Beispiel von Sachsen dem Niederadel in einem entstehenden Fürstenstaat im Übergang vom 14. zum 15. Jahrhundert zu zuwenden (IV). Im Vergleich behandelt er anschließend die Ansätze ständischer Differenzierung in Sachsen, Brandenburg, Bayern und Österreich (V) und richtet sein Augenmerk dann auf den "Kleinadel am unteren Rand" des Niederadels in Sachsen und Bayern sowie auf die Möglichkeiten und Grenzen der Fluktuation zwischen Landadel und Bürgertum (VI.). Nachdem er die ständisch-rechtlichen Kriterien (Turnierfähigkeit, Landsässigkeit, in Sachsen: Schriftsässigkeit oder Amtssässigkeit) für die innere Differenzierung der regionalen Adelspopulationen beleuchtet hat, stellt Schneider "sozioökonomische Untersuchungen" des Niederadels in seinen Vergleichslandschaften an. Diese Untersuchungen sind die Grundlage für die Beobachtung von sozialer Mobilität. Ihn interessieren realisierte Aufstiegsambitionen ebenso wie die Ursachen für den Abstieg oder gar das Verschwinden von Niederadelsfamilien (VII). Im abschließenden Kapitel (VIII) behandelt Schneider den Niederadel als politische Kraft im Reich und in den Regionen.
Schneiders Untersuchungen auf der Grundlage von Lehensbüchern und Wappenrollen, Aufgebots- und Steuerlisten sowie Landungs- und Anwesenheitslisten von Turnieren und Landtagen, erbringen einen reichen Ertrag für die Sozialgeschichte des Niederadels und seine Verortung im spätmittelalterlichen deutschen Reich. Sie reichen von der Erstellung des sozialen Profils des Niederadels auf lokaler Ebene - zum Beispiel für die Ämter Dresden, Leisnig, Rochlitz, Schellenberg in Sachsen oder für die bayerischen Gerichte Abling, Erding Pfaffenhofen - bis zu Beobachtungen zur sozialen Fluktuation zwischen Adel und Nichtadel. Dabei fallen erhebliche Unterschiede in den drei Landschaften auf. In Franken erscheinen praktisch keine neuen Familien im Adel, in Kursachsen etwa ein Viertel (circa 25%) sowie in Niederbayern-Landshut und Oberbayern-München zwischen 30% und 50% (542). Für die Quoten war ausschlaggebend, ob es möglich war, Adelsgut zu erwerben und ob der Zuzug geduldet beziehungsweise gefördert wurde. Die Tendenz in Sachsen wie in Franken lief in Richtung auf einen größeren Landesadel, der die Kleinadelsfamilien verdrängte. In Bayern blieb dagegen der Kleinadel ein ernst zu nehmender Konkurrent für den Turnieradel.
Im Hinblick auf die Ausbildung der fürstlichen Territorien macht Schneider die folgenden Beobachtungen (545/6). In Sachsen ist es den Wettinern gelungen, bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts den Niederadel in ihr Dienstsystem einzubinden, während in Franken dem Niederadel der Übergang in die Reichsritterschaft gelang. Im Herrschaftsbereich der Herzöge von Bayern fehlte das Lehenswesen zur Organisation des Niederadels. Die Fürsten konnten dies durch den Rückgriff auf den Kleinadel kompensieren. Die Angehörigen dieser Gruppe arbeiteten mit den Fürsten zusammen auf die Territorialstaatsbildung hin.
Es können hier nur einige der vielen Ergebnisse dieser material- und faktenreichen Studien referiert werden. Insgesamt belegen sie die Leistungsfähigkeit des von Schneider gewählten vergleichenden Ansatzes zur Erforschung des Niederadels. Er weißt zu Recht nachdrücklich auf die regionalen, sozialen und politischen Unterschiede hin und warnt davor, von den Ergebnissen eines Fallbeispiels (einer Region) allgemein gültige Aussagen abzuleiten. Seine drei Referenzlandschaften belegen eindrucksvoll, dass mit erheblichen landschaftlichen Varianten zu rechnen ist.
Schneider verwendet bei der Untersuchung der sozialen Differenzierung der Adelspopulationen auch statistische Methoden bei der Auswertung seiner Personenlisten, ist jedoch kein Freund einer theoriegeleiteten Geschichtswissenschaft. Beim Vergleich der Landschaften geht er induktiv und pragmatisch vor, lässt sich von den Aussagemöglichkeiten der Quellen leiten und verzichtet bewusst auf "die Zugrundelegung moderner sozialgeschichtlicher bzw. vergleichender Theorien und Modelle" (20). Stattdessen schlägt er Typologien vor, um seine Ergebnisse einzuordnen und die unterschiedlichen Befunde zu bündeln (546). So zum Beispiel nach dem "Grad der Hierarchisierung des Adels im Rahmen des Lehenswesens": in Sachsen gelungen, in Franken jedoch nicht. In Bayern und Österreich spielte das Lehenswesen keine große Rolle. Oder ausgehend von dem "Verhältnis der fürstlichen Ämter und Adelsherrschaften zueinander": in Franken ein Nebeneinander, in Bayern die völlig Unterwerfung der Adelsherrschaften unter die Ämter, in Sachsen starke Ämter, aber der größere Adel wurde von ihnen nicht erfasst, in Österreich fehlten durchgebildete Ämter.
Es bleibt abzuwarten, ob dieser Vorschlag zur Bildung von Typologien die zukünftige Forschung zum Niederadel im Speziellen und für eine vergleichende Landesgeschichte im Allgemeinen inspirieren kann.
Jörg Rogge