Alexander Heisig: Joseph Matthias Götz (1696-1760). Barockskulptur in Bayern und Österreich (= Studien zur christlichen Kunst; Bd. 5), Regensburg: Schnell & Steiner 2004, 406 S., 19 Farb-, 56 s/w-Abb., ISBN 978-3-7954-1520-4, EUR 84,00
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Der Bildhauer Joseph Matthias Götz (1696-1760) war in der 1720er- und 30er-Jahren von Passau aus vor allem in Österreich tätig. Er hat von den Neuerungen in München und Augsburg keine Notiz genommen, auch nicht vom Aufkommen der Rocaille als wichtigem Element einer neuen Stilrichtung. Sein Blick war wie die Kunst in Passau überhaupt nach Osten gewandt, vor allem nach Wien. Sein bedeutendes Œuvre, das erstmals von Rudolf Guby nach dem 1. Weltkrieg erschlossen worden ist, erscheint in seiner stilistischen Ausprägung merkwürdig heterogen und hat sich bisher nicht zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammenfügen lassen. Seit langem gehört eine neue Monografie über den Bildhauer zu den dringenden Desideraten der Barockforschung.
Das vorliegende Buch basiert auf einer 2000 abgeschlossenen Erlanger Dissertation. In dem stattlichen Band werden auf etwa hundert Seiten Leben und Werk des Künstlers im Zusammenhang behandelt, fast doppelt so umfangreich ist der Werkkatalog. Zwischen diese beiden Hauptteile schiebt sich ein höchst interessanter und aufschlussreicher Quellenanhang von 50 Seiten, gefolgt von einer achtseitigen Auflistung der dokumentierten biografischen Daten. Personen und Orte sind in zwei Registern erfasst, bei denen - für mich unverständlich - Urkundenteil und Liste der biografischen Daten nicht berücksichtigt worden sind. Die 75 überwiegend zu kleinen Abbildungen, davon 19 in Farbe, reichen bei weitem nicht aus, um das Werk angemessen vorzustellen, was den Nutzen des Buchs stark beeinträchtigt. Vielleicht hätte eine durchaus denkbare Reduzierung des Textumfangs (Katalog!) mehr Spielraum für die Bebilderung gegeben. Oft werden beispielsweise längere Zitate aus komplett abgedruckten Schriftstücken wiederholt, in einem Fall zehn Druckzeilen aus einem Brief (143f.) sogar dreimal (30, 207 und 288).
Götz war der Sohn eines Bamberger Bildhauers und Orgelbauers. Die Lehre absolvierte er bei seinem Stiefvater Sebastian Degler, mit 17 Jahren ging er auf die Wanderschaft, und 1715 wird er in Passau greifbar. Dort bewarb er sich als Neunzehnjähriger noch vor Abschluss der üblichen Wanderjahre mit erstaunlichem Selbstbewusstsein um eine Bildhauergerechtigkeit und das Bürgerrecht. Joseph Hartmann, in dessen Werkstatt er eingetreten war, hatte gerade in dem vor der Stadt gelegenen Augustinerchorherrenstift St. Nikola in der Stiftskirche den Hochaltar vollendet, arbeitete an den Seitenaltären und ließ Götz dafür - wie dieser selbst angibt - selbstständig Figuren schnitzen. Götz gelang es zwar nicht in der Stadt Passau Fuß zu fassen, doch nahm ihn das von der Stadt unabhängige Kloster St. Nikola als Klosterbildhauer mit uneingeschränkter Arbeitsmöglichkeit auf. Offensichtlich ist es ihm gelungen, seinen vormaligen Meister Hartmann auszustechen, sodass er die begonnenen Seitenaltäre der Kirche in eigener Regie vollenden konnte. In der Folge glückte es dem redegewandten Künstler mit selbstsicherem Auftreten immer wieder, bei Auftraggebern Eindruck zu machen und dadurch Aufträge zu erlangen. Er war auch schreibfreudig und dabei auffallend unbekümmert in seiner Orthografie (z.B."tifigulteten" <149> für Diffikultäten). Freilich hatte er nicht immer Erfolg, jedenfalls nicht 1739 in Kloster Fürstenzell beim Bau der Klosterkirche, wo er sich unaufgefordert als Architekt angeboten hatte. Der dort für Bausachen zuständige P. Benedikt Waldaderer berichtete süffisant, wie Götz zunächst "mit seiner bekandten suada" (64) beim Abt reüssierte, dann aber durch sein arrogantes Auftreten Anstoß erregte. "Man spihlte neben bey ein vollkhommen herrn", und damit habe der Künstler "sein Kramm nit auf den rechten Markht gebracht" (65). Die Ausübung der Bildhauerkunst scheint Götz nicht ausgefüllt zu haben. Zunehmend wurde er zum Unternehmer und Organisator, und als sich ihm mit dem Militärdienst eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg bot, verkaufte er 1742 seine Werkstatt an seinen Gesellen Joseph Deutschmann und trat als Ingenieur-Leutnant in die kurbayerische Armee ein. Was ihn zum Ingenieur befähigte, bleibt unklar, denn als Architekt hatte er sich zuvor nicht etablieren können. In den Jahren nach 1742 hat er keine Skulpturen mehr geschaffen.
Großen Einfluss auf Götz' Karriere hatte seine Zusammenarbeit mit dem Passauer Orgelbauer Johann Ignaz Egedacher, mit dessen Metier er vom Elternhaus her vertraut war. 1720 hatte Egedacher für die von Kloster Lambach erbaute Dreifaltigkeitskirche in Stadl-Paura die Gesamtherstellung der Orgel einschließlich Prospekt übernommen und übertrug Götz den Entwurf und die Ausführung des Prospekts. Diese Arbeit, die zur Zufriedenheit des Auftraggebers ausfiel, brachte Götz Anschlussaufträge, zunächst für die drei skulpierten Holzkugeln der Tabernakel und dann für die gesamten Alabasterbildwerke der Altäre, für die er sogar das Material aus seiner Heimat Franken besorgte. Etwa gleichzeitig erhielt er im Wettbewerb mit starker Konkurrenz, darunter wohl auch Egid Quirin Asam, um 1723 den Auftrag für den Hochaltar und danach noch für die beiden vorderen Seitenaltäre der Klosterkirche von Aldersbach. Den Höhepunkt erreichte seine Karriere in den 1730er-Jahren. Parallel liefen zunächst die Arbeiten für den Prospekt der großen Orgel Egedachers im Passauer Dom, 1731-33, und für Orgelprospekt, Hochaltar und weitere Arbeiten in der Klosterkirche von Zwettl, wo er 1731-33 mit seinen Gesellen vor Ort arbeitete. In die Jahre nach 1732 fällt seine Tätigkeit für Krems, wo er unter anderem Hochaltäre für die Dominikaner- und die Pfarrkirche sowie die Dreifaltigkeitssäule schuf. Gleichzeitig war er noch für Maria Taferl tätig. Am Ende seiner Aktivität als Bildhauer stehen die drei monumentalen Altäre für die Karmeliterkirche in Straubing (1738-42), deren Ausführung er weitgehend seinen Gehilfen überließ.
Holger Schulten hat 1992 für die Altäre Joseph Hartmanns in St. Nikola den Stilzusammenhang mit Werken von Matthias Steinl erkannt; sie haben auch auf Götz einen wesentlichen Einfluss ausgeübt. Heisig arbeitete für den Altarbau von Götz die Entwicklung und die stilistische Einbindung überzeugend heraus. Bei der Analyse des Figurenstils war er jedoch weniger erfolgreich. Hier sind seine Betrachtungen nicht differenziert genug. Gelegentlich begnügt er sich sogar mit so allgemeinen Merkmalen wie "Vertikalisierung, expressiver Ausdruck und virtuose Behandlung des Materials" zur Begründung einer keineswegs eindeutigen Zuschreibung (348, Kat. 72). Er tut so, als seien "Wiener Reichsstil" oder "Wiener Reichsbarock" mit "obligatorischer Ganzvergoldung" (84) für die Skulptur Begriffe mit spezifischer Aussage. Schwer nachzuvollziehen ist die "italienische Grandezza" (108) bei den Alabasterfiguren von Stadl-Paura, und allzu pauschal und plakativ erscheint seine Charakterisierung von Götz' Kunst als einer "höchst individuellen Kompilation von fränkischen, altbayerischer und österreichischer Stilströmungen" (107).
Schon 1716 arbeitete Götz mit mehreren Gesellen (143). In Zwettl war er mit zwei oder drei Gesellen tätig (131) und außerdem produzierte gleichzeitig die Werkstatt in St. Nikola weiter, was selbstständige und zuverlässige Mitarbeiter voraussetzte. Götz hat anscheinend seinen Gehilfen mehr freie Hand gelassen als andere Bildhauer. Man kann offenbar nicht einmal für jede Skulptur einen Bozzetto von seiner Hand voraussetzen. Leider sind von ihm weder Entwurfszeichnungen für Figuren noch plastische Entwürfe erhalten geblieben. Es ist schwer vorstellbar, dass so unterschiedliche Werke wie der Auferstandene Christus in Aldersbach (Abbildung XVIII) und der etwa zehn Jahre später entstandene Johannes der Täufer in St. Andrä an der Traisen (Abbildung XVII), die Heisig nebeneinander abbildet, von einer Person geschnitzt worden sind. Interessant ist die Mitteilung, dass Götz 1732 persönlich in Wien einen neuen Gesellen engagiert hat (150). Zu beachten sind auch die von Herbert Wittmann (Peter Heel <1696-1767>, Bildhauer, Stuckator und Bausachverständiger. In: Alt-Füssen, Jg. 2001, 50-122, hier 56-58) beobachteten Analogien von Arbeiten dieses Pfrontener Künstlers mit Skulpturen an den Götz-Altären in Aldersbach. Peter Heel und sein Halbbruder, der Maler Johann Heel, haben Stuck und Fresken der ab 1726 durch Kloster Aldersbach errichteten Wallfahrtskirche in Frauentödling geschaffen. Damit ist Peter Heels Verbindung zu Aldersbach belegt und seine Mitarbeit bei der Ausstattung der Klosterkirche wäre verständlich. Man muss aber zunächst die unterschiedlichen Werkgruppen und Stiltendenzen bei den Skulpturen der Götz-Werkstatt präzise herausarbeiten, um dann vielleicht den jeweiligen Anteil von möglichen Mitarbeitern unterscheiden zu können. Auch Werke, die sich an Arbeiten von Götz anschließen lassen, wie zwei stehende Engel und die Figur der hl. Magdalena in Kloster Weltenburg, die zu Unrecht mit Johann Baptist Straub in Verbindung gebracht wurden (Felix Mader: Die Kunstdenkmäler von Niederbayern, Band 7: Bezirksamt Kelheim, München 1922, 384, Abbildung 382f., und: Lothar Altmann und Rupert Thürmer: Benediktinerabtei Weltenburg a.d. Donau, München/Zürich 1981, Abbildung 23), sind nach einer solchen kritischen Sichtung besser zu beurteilen. Vielleicht ließen sich auch aus einer genauen Analyse der erfreulich zahlreichen und aussagekräftigen Dokumente, vor allem den Verträgen, Kostenvoranschlägen und Briefen, die man durch eine Nummerierung und Einzelverweise darauf im Katalog besser hätte erschließen können, noch zusätzliche Erkenntnisse für den Werkstattbetrieb gewinnen.
Die schwierigen und komplexen Stilprobleme bei einzelnen Skulpturen waren bei einem so umfangreichen Material in einer Dissertation wohl nicht zu lösen, doch besitzen wir nun mit dieser sorgfältig recherchierten und zuverlässigen Arbeit eine sehr solide und wesentlich verbesserte Grundlage für weitere Bemühungen um das plastische Werk von Joseph Matthias Götz.
Peter Volk