Heinz Duchhardt / Karl Teppe (Hgg.): Karl vom und zum Stein: der Akteur, der Autor, seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. für Universalgeschichte; 58), Mainz: Philipp von Zabern 2003, IX + 261 S., ISBN 978-3-8053-3102-9, EUR 34,80
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Eine von der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft und vom Institut für Europäische Geschichte in Mainz im Februar 2002 veranstaltete Konferenz auf Schloss Cappenberg, dem Alterssitz Steins, beschäftigte sich mit den Komplexen Stein'sches Weltbild, Stein'sche Denkschriften sowie Geschichte der Rezeption Steins. Intendiert war eine Art Bestandsaufnahme der Stein-Forschung und ein historiografischer Neuanfang, da der einst zu den verehrten Ahnherrn des modernen Deutschland gezählte Stein nunmehr seit Jahrzehnten weitgehend im Abseits stand. Der Sammelband präsentiert die entsprechenden zwölf, mit präzisen wissenschaftlichen Apparaten ausgestatteten und durch ein Personenverzeichnis ergänzten Beiträge.
Zunächst erörtert Willibald Steinmetz Steins Institutionsbegriff am Beispiel des englischen Parlaments. Mancherlei Ausführungen über unterschiedliche zeitgenössische Verwendungen des Begriffs "Institution" und über die englische Parlamentsgeschichte folgen relativierende Thesen zu Steins Orientierung an englischen Vorbildern. So habe Stein trotz des Lobes von Sittlichkeit, Vaterlandsliebe und Gottesfurcht, welche das englische Parlament ausgezeichnet hätten, kaum Interesse an einer Nachahmung politischer Modelle Englands gezeigt, ja er habe nicht einmal über ein konsistentes Englandbild verfügt.
Anschließend spannt Andrea Hofmeister in ihrem Beitrag über Presse und Staatsform in der Reformzeit den Bogen von der insgesamt explosionsartigen Vermehrung der periodischen Presse im 18. Jahrhundert bis hin zur dann wieder restriktiven Pressepolitik im Deutschen Bund. Sie betont, dass die vielfältigen Pressestrategien zur Zeit der Reformpolitik Steins in Preußen schon im Ansatz stecken geblieben seien, und anders als die Staatspropaganda Napoleons oder die paradiesische Pressefreiheit der nördlichen Niederlande keinen Orientierungspunkt im Kampf um eine spätere Liberalisierung der Presse gebildet hätten.
Thomas Kleinknecht geht in seinem Beitrag von einer frappanten Stellung Steins zwischen Aufklärung und Romantik sowie altadeligem Ständewesen und bürgerlich-liberalen Verfassungsidealen des 19. Jahrhunderts aus. Beim Versuch, die Richtung von Steins Denken und Wirken, beispielsweise im Hinblick auf dessen Streben nach einer Parlamentarisierung, zu erfassen, stößt er auf die "Prozeßkategorie". So sei es dem Reichsfreiherrn vor allem darauf angekommen, eine graduelle wie stete Fortentwicklung von tradierten Verfassungsverhältnissen bei wachsendem Pflichtbewusstsein seiner Träger zu erreichen.
Wolfram Pyta zeichnet des Weiteren ein überaus wohl wollendes Bild von dem Einfluss des Zaren Alexander I. auf die Europa-Konstruktion des Wiener Kongresses, die dann auch ihrerseits in bestem Lichte präsentiert wird. Seit 1815/20 habe eine produktive und innovative Politik auf Frieden und Bewahrung kollektiver Güter der Mächte abgezielt. Stein sei bei deren Installierung der durchaus bedeutende Part zugefallen, den Zaren zum Vorkämpfer eines friedensstiftenden Bundes deutscher Staaten mit gesamteuropäischer Perspektive zu verpflichten.
Anke John ist es vorbehalten, die Rollen nachzuzeichnen, die Stein als Berater des Zaren und Münster als Hannoveraner Staatsminister 1812 bis 1814 spielten. Sie beobachtet dabei eine bemerkenswerte Anzahl paralleler Überlegungen beider Politiker, beispielsweise bezüglich der projektierten Stellung vom künftigen Deutschland in Europa. Wie zu erwarten erscheint der eher legitimistische und realpolitische Münster als derjenige, der andere Politiker zur Übernahme zumindest von Teilen seines Konzeptes bewegen konnte, während Stein trotz großer Resonanz letztendlich eher isoliert blieb, wozu nicht zuletzt dessen spröde und sprunghafte Argumentation beigetragen habe.
Theo Stammen wendet sich den Denkschriften zu und gelangt zu recht blassen Aussagen bezüglich dieser Einlassungen als einer literarischen Form: Was sollte man sich sonst unter Denkschriften anderes vorstellen als stilisierte politische Wortergreifungen, darauf ausgerichtet, etwas zu bewegen?
Auch Peter Burg kommt mit seiner Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Steins Nassauer Denkschrift und der späteren preußischen Kommunalverfassung nicht recht vom Fleck. Er bündelt in von Einseitigkeiten nicht frei erscheinender Weise die Argumente, welche darauf hinweisen, dass weder die bestimmenden Einflüsse, denen Stein bei Abfassung seiner Überlegungen folgte, noch deren Bedeutung für die preußischen Reformen im Kern exakt zu fassen seien.
Im scharfen Kontrast hierzu erscheint der Beitrag Paul Noltes, der sich mit Steins in den Jahren 1806-1818 entwickelten, auf Stände, Kommune und Nation ausgerichteten Ordnungsvorstellungen beschäftigt; hinzu kommen Beobachtungen zu deren Auswirkungen bis 1945. In einem stets anregenden und meist überzeugenden Essay, das randvoll mit Thesen gefüllt ist, stellt er sich der zentralen Aufgabe, mit Blick auf Steins Aussagen zu Nation und Verfassung eine inhaltliche Analyse zu präsentieren.
Nolte konzentriert sich auf das Miteinander dreier zentraler Stein'scher Vorstellungen: der Idee von einer bürgerlichen Verfassung sowohl als Selbstverwaltung wie auch als Ergänzung monarchischer Souveränität, des Gedankens an eine Staatsrevolution von oben und des Bildes von einem ständisch-repräsentativen Verfassungsaufbau von unten. Hieraus leitet er schlüssig erscheinende Thesen zur Geschichtswirksamkeit ab: Steins Ideen seien modern und flexibel genug gewesen, um beim Demokratisierungsschub Deutschlands Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts eine erhebliche Rolle spielen zu können, doch hätten sie auch zum Arsenal jener gehört, die sich wie Papen und Brüning mit antiparlamentarischen Argumenten bewaffneten.
Bei Thomas Stamm-Kuhlmann, mit der Stein-Rezeption im 19. Jahrhundert befasst, erscheint Stein dann wieder als häufig markant gefeierter, aber nirgendwo so recht greifbarer oder hinpassender Solitär, der selbst als Reformkonservativer nicht recht zu fassen sei. Seine Wirkung habe letztlich auf der Gewalt seiner Worte und der Stärke seines Charakters beruht.
Zu Recht verweist Heinz Duchhardt in seinen Aussagen über die Stein-Jubiläen des 20. Jahrhunderts darauf, dass man sich dem Reichsfreiherrn im späten Kaiserreich und in der frühen Bundesrepublik aus unterschiedlichen und leicht zu interpretierenden Gründen allenfalls respektvoll gewidmet habe. Alle derartigen Erinnerungen weit in den Schatten stellend habe jedoch das Gedenken 1931 an den 100. Todestag Steins herausgeragt. In einer Zeit desaströser mentaler Verirrungen und materieller Nöte habe die Nation gleichsam einen Halt an Stein gesucht, wobei bei durchaus respektabler Beteiligung demokratischer Kräfte nationalistische und ständisch-rückwärts gerichtete Elemente vorneweg marschierten.
Den gewaltigsten gedanklichen Bogen versucht Wolfgang Stelbrink in seinem Aufsatz über Stein und die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 zu schlagen. Er spricht von Propaganda und Illusionen der Akteure der NS-Zeit.
Der abschließende Beitrag von Thomas Kleinknecht und Karl Teppe beschäftigt sich mit der Bildungsarbeit der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft. Diese 1952 entstandene Institution habe sich - so die kaum strittige, aber auch wenig aussagekräftige These - der Nationaleinheit gewidmet, wobei sich die Pendel zwischen den Zielen einer "konservativen Revolution" und eines "Verfassungspatriotismus" bewegt hätten.
Wie jeder Sammelband verbindet auch diese Stein-Studie Beiträge von unterschiedlicher Qualität und stellt eine willkommene Ergänzung unseres Wissens und eine Anregung zu weiteren Stein-Forschungen dar. Nicht zu übersehen ist dabei jedoch, dass auch auf der Cappenberger Tagung eine übergroße Verunsicherung unter Wissenschaftlern im Hinblick auf Stein und dessen historische Verortung anhielt. Nicht zufällig traute sich seit Jahrzehnten niemand mehr, eine moderne Biografie zu verfassen. Unterschiedliche Faktoren trugen dazu bei wie die in dem Sammelband geradezu als Trauma erscheinende Erinnerungsfeier 1931 oder die generellen Schwierigkeiten im gegenwärtigen Deutschland mit einer historischen Standortbestimmung. Dennoch hätte man den Herausgebern und dem Gros der Referenten mehr Relevanzbewusstsein bei der Auswahl der Themen und zupackendere Analysen gewünscht.
Günter Wollstein