Ingo Kolboom / Thomas Kotschi / Edward Reichel (Hgg.): Handbuch Französisch. Sprache - Literatur - Kultur - Gesellschaft. Für Studium, Lehre, Praxis, Berlin: Erich Schmidt Verlag 2002, 908 S., ISBN 978-3-503-06126-6, EUR 128,00
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Ahlrich Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000
Thomas Keller: Deutsch-französische Dritte-Weg-Diskurse. Personalistische Intellektuellendebatten in der Zwischenkriegszeit, München: Wilhelm Fink 2001
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An Frankreich-Lexika, Überblicksdarstellungen zur französischen Geschichte und an Einführungen in die französische Sprach- und Literaturwissenschaft herrscht auf dem deutschen Buchmarkt kein Mangel. Das von Ingo Kolboom, Thomas Kotschi und Edward Reichel herausgegebene "Handbuch Französisch" jedoch ist in seiner Form einzigartig und schließt eine Lücke. Zum einen liegt der Schwerpunkt des Buches nicht allein auf Frankreich, sondern auch auf anderen Ländern und Regionen, in denen Französisch gesprochen wird oder die durch die französische Sprache und Kultur geprägt sind. Zum anderen behandelt das Buch vor allem die Themen, die auch im Zentrum des Faches Französisch stehen, wie es an deutschen Schulen und Universitäten gelehrt und gelernt wird. "So wie dieses Fach über diese seine Gegenstände in den Disziplinen der Linguistik und der Literaturwissenschaft sowie in dem mittlerweile anerkannten Ensemble miteinander vernetzter landeswissenschaftlicher Teildisziplinen verankert ist, bildet das Handbuch mit seinem Inhalt denjenigen der zwischen diesen Disziplinen denkbaren Überschneidungsbereiche ab, der als konstitutiv für das Fach und für die derzeit in ihm geltenden Fragestellungen gelten kann" (11). Allerdings richtet sich das Buch nicht nur an Französischlehrer, Romanisten oder Schüler und Studenten, sondern auch "an in der Praxis tätige Interessierte aus Erziehungsinstitutionen, Verlagsredaktionen, Medienorganisationen, Wirtschaftsunternehmen oder transnationalen Mittlerorganisationen, sofern diese sich mit den historischen und gegenwärtigen Gegebenheiten der französischsprachigen Welt auseinandersetzen" (11).
Das "Handbuch Französisch" entstand unter Mitarbeit von über 100 Autoren und enthält auf 900 Seiten 133 Artikel sowie Karten, Register und eine Auswahlbibliografie. Der Band ist nicht alphabetisch, sondern systematisch aufgebaut und gliedert sich in sechs große Abschnitte. Der erste Teil gibt einen Überblick über "Das Französische als Nationalsprache und als Weltsprache". In diesem Kapitel wird deutlich, dass das Französische seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwar gegenüber dem Englischen erheblich an Einfluss verloren hat, seine Bedeutung heute gleichwohl nach wie vor groß ist. Das hat nur bedingt mit der Anzahl der Muttersprachler (110 Millionen und damit Platz 11 auf der "Sprachen-Weltrangliste") zu tun, sondern liegt vor allem in der politischen Rolle begründet, die Frankreich und die anderen 54 Mitgliedsstaaten der "Organisation internationale de la Francophonie" (OIF) insbesondere in Afrika spielen. Das Kapitel schließt mit einem Aufsatz über die Geschichte des Französischunterrichts in Deutschland, der sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an öffentlichen Schulen etablierte. Vor dem Ersten Weltkrieg und wieder Ende der 1920er-Jahre besaß er sogar eine Vorrangstellung vor dem Englischunterricht, die er aber nach 1945 nicht einmal mehr in der französischen Besatzungszone zurückerlangen konnte.
Mit Blick auf den sprachpraktischen und den sprachwissenschaftlichen Teil des Faches Französisch widmen sich der zweite und dritte Abschnitt des Handbuchs dann dem Komplex "Das Französische als Lernsprache" und dem Thema "Das Französische in der verbalen Interaktion". Die entsprechenden Artikel ersetzen zwar weder das klassische Sprachlehrbuch noch eine Einführung in die französische Sprachwissenschaft, sie geben aber verlässliche Basisinformationen und verweisen auf weiterführende Literatur.
"Kultur- und landeswissenschaftliche Inhalte" vermittelt das vierte Kapitel des Handbuchs. Ausgehend von der Diskussion über "Entwicklung und Methoden der Landes- und Kulturwissenschaften" stellen die Autoren nicht nur die Geschichte Frankreichs dar, sondern beschäftigen sich auch mit der Geschichte Belgiens, Luxemburgs und der französischsprachigen Schweiz, der Geschichte Québecs, des frankophonen Afrikas und mit dem frankophonen Erbe in Asien. Ein Schwerpunkt liegt darüber hinaus auf den Institutionen, Programmen und Medien der internationalen Frankophonie. Dem Überblick über Epochen, Räume und Institutionen folgen dann im engeren Bezug auf Frankreich Artikel zu verschiedenen "historisch-systematischen Problemfeldern und Schlüsselbegriffen" wie "Les Gauches, les Droites", "Staat - Nation - Republik", "Der französische Mai '68" oder "Laizität, Immigration, Islam in Frankreich". Im Anschluss daran öffnet sich die Perspektive wieder auf "Kulturelle Kommunikation in Frankreich und anderen frankophonen Räumen" sowie auf die speziellen Aspekte des Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland. Besondere Beachtung verdient dabei der Beitrag zur "zivilgesellschaftlichen Kooperation" beider Länder, der vor einer zunehmenden "Etatisierung der zivilgesellschaftlichen Beziehungen" zwischen Deutschland und Frankreich warnt, da diese "ungewollt zur Lähmung spontanen gesellschaftlichen Interesses aneinander beitragen" könnte (612).
Im Mittelpunkt des fünften größeren Handbuch-Kapitels "Die französischsprachigen Literaturen" stehen sowohl literaturtheoretische Grundlagen als auch die historische Entwicklung der verschiedenen frankophonen National- und Regionalliteraturen. Ähnlich wie die Kapitel zu Sprachpraxis und Sprachwissenschaft kann auch das Handbuch-Kapitel zur Literatur das Studium fachwissenschaftlicher Standardwerke nicht ersetzen. Aber es fasst das Wichtigste kompetent zusammen und lädt nicht zuletzt zur Beschäftigung mit den französischsprachigen Literaturen außerhalb Europas ein. Mehrere Artikel beschäftigen sich darüber hinaus mit den Austauschbeziehungen zwischen der deutschen und der französischen Literatur. Diese Beziehungen sind auf dem Gebiet der Belletristik sehr intensiv, was sich vor allem an der großen Zahl von Übersetzungen klassischer Werke und neuerer Romane in die jeweils andere Sprache zeigt. Anders liegt der Fall bei geisteswissenschaftlichen Monografien, die gar nicht oder erst Jahrzehnte später übersetzt werden: "Der Dialog mit der Nachbarkultur pervertiert in solchen Fällen zum 'Totengespräch' mit Autoren, deren Landsleute sich oft längst anderem zugewandt haben" (668).
Das sechste und letzte Kapitel des "Handbuchs Französisch" wendet sich schließlich dem Bereich "Fachgeschichte und Hilfsmittel" zu. Der Artikel zur "Geschichte der Romanistik an deutschen Universitäten" zeichnet die Entwicklung des Faches von seiner "Erfindung" durch Friedrich Diez an der Bonner Universität 1822 über den "Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" im Ersten und Zweiten Weltkrieg bis hin zum schwierigen "Neuanfang" und zur mühsamen "Vergangenheitsbewältigung" der deutschen Romanistik nach 1945 nach. Gegenstand der Romanistik waren und sind dabei nicht nur Sprache, Literatur und Kultur Frankreichs, sondern auch Italiens, Spaniens oder Portugals. Deshalb erhebt das "Handbuch Französisch" nicht den Anspruch, zugleich ein "Handbuch Romanistik" zu sein, und konzentriert sich auch in der umfangreichen systematischen Bibliografie am Ende des Bandes auf "Hilfsmittel für das Studium des Faches Französisch".
Mit dem "Handbuch Französisch" liegt ein beeindruckendes Kompendium vor, das Lehrern, Schülern, Dozenten und Studenten (die sich durch den hohen Preis nicht abschrecken lassen sollten) von großem Nutzen sein wird, die sich einen Überblick über Gegenstände und Methoden des Faches verschaffen wollen und ein systematisch aufgebautes Nachschlagewerk suchen, von dem aus sie bei Bedarf den Weg zu weiterer Spezialliteratur finden. Ebenso werden Journalisten und Mitarbeiter in Wirtschaft, Verwaltung oder Politik, die sich mit Frankreich oder anderen französischsprachigen Ländern beschäftigen, verlässlich, verständlich und in der gebotenen Kürze über die zentralen Themen informiert. Aber auch "zweckfreies" Blättern lohnt sich, denn das "Handbuch Französisch" vermittelt wie nur wenige Werke eine Vorstellung von der Vielfalt und Faszination der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Frankreich und der frankophonen Welt.
Christian Scharnefsky