Noam Chomsky: Hybris. Die endgültige Sicherung der globalen Vormachtstellung der USA, Hamburg: Europa Verlag 2003, 319 S., ISBN 978-3-203-76016-2, EUR 19,90
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Im Mai des vergangenen Jahres hat die Stadt Oldenburg den berühmten Linguisten Noam Chomsky mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis ausgezeichnet. Sie tat dies nicht, um Chomskys wissenschaftliches Werk zu würdigen, sondern in Anerkennung seiner kritischen Analysen der Weltordnung und der Rolle der Medien. Mittlerweile überstrahlt der Ruhm des politischen Publizisten und kritischen Intellektuellen den des Sprachwissenschaftlers bei weitem - zu Unrecht, wie der Rezensent meint.
Das neueste Produkt aus der Feder Chomskys ist ein Pamphlet. Es verdammt die Politik der USA vor allem moralisch - insofern ist der deutsche Titel gut gewählt. Es geht Chomsky in der Tat in erster Linie um die "Hybris" Amerikas. Der englische Originaltitel "Hegemonie oder Überleben" suggeriert eine tiefgründigere Analyse, die das Buch indessen nicht leistet. Zwar deutet Chomsky an, dass seiner Ansicht nach die Menschheit nur dann überleben kann, wenn sich die USA von ihrem Hegemonialanspruch verabschieden. Diese These vertieft er allerdings nicht, stattdessen lässt er seiner Empörung freien Lauf.
In neun Kapiteln entfaltet Chomsky ein düsteres Panorama. Im Zentrum steht seine Anklage gegen die "imperiale Strategie". Damit ist zum einen die neue nationale Sicherheitsstrategie der Bush-Administration vom September 2002 gemeint, zum anderen das Streben der amerikanischen Politik, die Welt durch finanzielle Dominanz und militärische Interventionen so zu beherrschen, dass sie sich von der US-Wirtschaft optimal ausbeuten lässt. Flankiert wird diese Politik nach Chomsky von einem Propagandafeldzug der politischen Eliten gegen die eigene Bevölkerung, der zwei Zielen folgt: Erstens solle der eigentlich zu erwartende Aufschrei gegen solch skandalöses Vorgehen erstickt werden, und zweitens wünschten die herrschenden Cliquen nichts mehr, als die in ihren Augen lästigen formaldemokratischen Hemmnisse für ihre Weltmachtpolitik zu eliminieren. Um dies zu belegen, schlägt Chomsky einen weiten Bogen, der von Metternich über Wilson bis hin zu Reagan und dem amtierenden amerikanischen Präsidenten reicht. Ausgiebig sucht er dabei die amerikanische Politik gegenüber den latein- und mittelamerikanischen Staaten, im Nahen Osten sowie den Irak-Krieg auf.
Chomsky stellt dieses Zerrbild amerikanischer Machtpolitik als eine überzeitliche Entität dar, deren Wurzeln bis in die Expansion der Siedler auf dem amerikanischen Kontinent und die damit einhergehende Ausrottung der Ureinwohner zurückreichen. Neben einer äußerst einseitigen Darstellung der politischen Leitlinien von Woodrow Wilson sind die achtziger Jahre seine zentrale Referenzepoche. Aus George Bush dem Älteren und vor allem Ronald Reagan formt er Hypostasierungen eines menschenverachtenden, maßlos arroganten und zutiefst verbrecherischen US-Imperialismus. Doch auch John F. Kennedy reiht Chomsky in die Reihe derer ein, die lediglich eines wollen: die Weltherrschaft. Die "etatistischen Reaktionäre" (23) und die "gefährliche rechtsgerichtete Oligarchie" (151) um George W. Bush verkörpern demzufolge lediglich die logische Fortführung dieser Grundströmung. Nur so lässt sich auch die abstruse Linie konstruieren, die Chomsky vom "Modellfall" der Kuba-Krise direkt zum Irak-Krieg zieht.
Ein derartiger analytischer Rahmen lässt einiges an Grobheiten erwarten. Die unvermeidliche Argumentationskeule einer Analogie des Irak-Kriegs zum nationalsozialistischen Völkermord (21, 39), die Gleichsetzung der von Washington gesteuerten und gesponserten lateinamerikanischen Todesschwadronen mit der SS (230) oder die Charakterisierung der amerikanischen Afghanistan-Politik als "verschwiegener Völkermord" (161) sind nur wenige Beispiele von vielen. Maßlose Übertreibungen, Verzerrungen und Unterstellungen - so insinuiert er einen vom Pentagon geplanten Angriff auf Nordkorea (186) - kennzeichnen Chomskys Darstellung allerorten. Als Triebkraft des Weltmachtstrebens macht er wirtschaftliche Interessen aus. In dieser Perspektive ist die Globalisierung ein von profitgierigen Konzernen gesteuerter Prozess "neoliberaler sozioökonomischer Programme" (35), die "Manager von Hedgefonds halten tagtäglich ein Referendum über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Industrie- wie auch der Entwicklungsländer ab" (172), der Fall der Mauer von 1989 diente dazu, den Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit in Westeuropa zu senken, während dieser entfesselte Kapitalismus in Russland ebenso viele Todesopfer forderte wie die stalinistischen Säuberungswelle (180f.). An allen Menschenrechtsverletzungen, an jeder Unterdrückung demokratischer Teilhabe der Unterprivilegierten, an aller Folter und Armut dieser Welt, so muss man aus dieser Lektüre schlussfolgern, trugen und tragen die USA direkt oder indirekt die Schuld. Daher verwundert es auch nicht, dass sie bei Chomsky als Haupt eines "internationalen Terrornetzwerkes" (133) dämonisiert werden.
Um all dies zu untermauern, führt der Autor eine Vielzahl von Belegen an. Wenn man sich jedoch ein wenig länger in die Fußnoten vertieft, fällt auf, dass dieselben Kronzeugen immer wiederkehren - nicht zuletzt zitiert Chomsky sich häufig selbst. Um auch die wüstesten Wendungen glaubhaft erscheinen zu lassen, schmückt Chomsky seine Gewährsleute mit Attributen wie "der angesehene Experte", "führende Spezialisten", "informierte Beobachter", "der bekannte Wissenschaftler", während er die Gegenseite der Lächerlichkeit preisgibt, indem er deren verbale Schnitzer und Ausfälle zitiert. Seine Belege sind ebenso einseitig wie die Art der Berichterstattung, die er der US-Presse vorwirft: Sie dienen lediglich dazu, vorgefasste Meinungen zu bestätigen.
Chomskys verschwörungstheoretische Umbiegungen sind umso ärgerlicher, als sie den Blick auf zum Teil himmelschreiendes Unrecht und Missstände verschleiern, statt diese zu enthüllen. Insofern gebührt Chomsky zwar das Verdienst, die Aufmerksamkeit auf die jahrelange Finanzierung von blutrünstigen Diktatoren und (Staats-)Terroristen zu lenken, auf die fadenscheinigen Rechtfertigungen für den Irak-Krieg und zahlreiche weitere Militärschläge der USA, auf die Risiken der Militarisierung von Außenpolitik und die damit verbundene Gefahr der Verbreitung von Atomwaffen, auf die Verachtung für internationales Konfliktmanagement, auf die Doppelmoral und ungleichen Maßstäbe im Umgang mit terroristischer Gewalt und auf die Folgen unbarmherziger Embargopolitik. Doch all dies präsentiert Chomsky in derart einseitiger und überzogener Form, dass man sich der intellektuellen Redlichkeit begibt, wenn man ihm nicht widerspricht.
Die Welt, die Chomsky entwirft, ist ebenso simpel gestrickt wie jene des von ihm mit intellektueller Häme verspotteten George W. Bush: Sie zerfällt in das Lager der Bösen und der Guten, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sein Pamphlet ist keine seriöse Auseinandersetzung mit der berechtigte Kritik herausfordernden amerikanischen Weltpolitik, sondern ein Musterbeispiel ideologischer Dogmatik. Angesichts der weit verbreiteten antiamerikanischen Ressentiments mag das zu kommerziellen Erfolgen führen. Es ist dem Autor jedoch zu wünschen, dass sein Nachruhm sich ausschließlich auf sein wissenschaftliches Œuvre stützen wird. Tröstlich für die Gegenwart mag für Chomsky jedoch die Erkenntnis eines der herausragendsten Analysten der internationalen Beziehungen aus dem Alten Europa sein: "Tout empire perira". [1]
Anmerkung:
[1] Jean-Baptiste Duroselle, Tout empire perira. Théorie des relations internationales, Paris 1992.
Bernhard Gotto