Annette Schommers / Martina Grigat-Hunger (Bearb.): Meißener Porzellan des 18. Jahrhunderts. Die Stiftung Ernst Schneider in Schloß Lustheim, München: C.H.Beck 2004, 448 S., 159 Abb., ISBN 978-3-406-51905-5, EUR 29,90
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Barbara Beaucamp-Markowsky: Frankenthaler Porzellan. Bd. 1: Die Plastik. Aufnahmen von Jean Christen, München: Hirmer 2008
Patricia Brattig (Hg.): Meissen. Barockes Porzellan, Stuttgart: Arnoldsche Art Publishers 2010
Dieter Gielke: Meissener Porzellan des 18. und 19. Jahrhunderts. Bestandskatalog der Sammlung des Grassimuseums Leipzig / Museum für Kunsthandwerk, Leipzig: Museum für Kunsthandwerk 2003
Samuel Wittwer: Raffinesse & Eleganz. Königliche Porzellane des frühen 19. Jahrhunderts aus der Twinight Collection New York, München: Hirmer 2007
Eine der größten Privatsammlungen Meißener Porzellans, die Sammlung Ernst Schneider, ging bereits 1968 in den Besitz des Freistaates Bayern über. Zwar beschäftigte sich der damalige Konservator des Bayerischen Nationalmuseums, Rainer Rückert, über zwei Jahrzehnte mit den Beständen; seinen Niederschlag fand dies aber lediglich in einem einzigen, 1990 erschienenen Buch, in dem die in der Meißener Manufaktur tätigen Manufakturisten behandelt werden. Nicht weniger als 36 Jahre mussten vergehen, ehe nun das Bayerische Nationalmuseum einen ersten Schritt hin zu einer Gesamtpublikation unternommen hat. Auslöser war eine im Jahr 2000 erfolgte Neuaufstellung der Sammlung in Schloss Lustheim, die mit dem vorliegenden Buch einen gut ausgestatteten, solide gearbeiteten Bildführer erhalten hat.
Ernst Georg Schneider, im Jahre 1900 in einem kleinen hessischen Dorf geboren, begann 1919 in Frankfurt am Main seine Studien der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und der Rechte, die er 1921 mit dem Diplom und ein Jahr später mit der Promotion abschloss. 1925 wurde er Juniorpartner der Kohlensäure-Industrie-AG, acht Jahre später, 1933, dann Generaldirektor, nachdem sein Amtsvorgänger, Siegfried Arndt, vor den Nationalsozialisten ins Ausland fliehen musste. Schneider bewohnte damals das in der Lausitz gelegene Schlossgut Moholz. 1944 zur Flucht gezwungen, fand er ab 1945 in Düsseldorf eine neue Heimat. Es gelang ihm, den Konzern in den Nachkriegsjahren zu reorganisieren und Arndt seinen Firmenanteil zurückzugeben.
Zu der 1948 übernommenen Leitung der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer, die er bis 1968 innehatte, kam ab 1963 die Präsidentschaft des Deutschen Industrie- und Handelstages hinzu. Bis zu seinem Ausscheiden 1968 gestaltete Schneider die Wirtschaftspolitik in der jungen Bundesrepublik in entscheidendem Maße mit. Eine Reihe von Auszeichnungen, Professorentitel und Ehrendoktor, legen davon Zeugnis ab. Mit dem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben veränderte sich Schneider auch räumlich. Er zog vom Rheinland nach Bayern um, wo er von 1970 bis zu seinem Tod im September 1977 im Südflügel des Lustheimer Schlosses lebte.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit befasste sich Schneider mit schöngeistigen Dingen. In den 1920er-Jahren legte er eine Kunstsammlung zur klassischen Moderne mit Gemälden und Grafiken an. In seinem Haus hingen Arbeiten von Kandinsky, Macke, Nolde, Léger, Picasso und anderen hervorragenden Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig beschäftigte ihn das Kunsthandwerk des 18. Jahrhunderts, und hier besonders das Porzellan. Erste Objekte kaufte er bereits in den 1920er-Jahren im Berliner Antiquitätenhandel. Diese Form des Erwerbs behielt er auch in den folgenden Jahrzehnten bei, wobei er nur wenigen Händlern sein Vertrauen schenkte.
Dass der Grundstock seiner am Ende, nach fast 50 Jahren, nahezu 2300 Stücke zählenden Sammlung in den Wirren des Zweiten Weltkrieges nicht untergegangen ist, zählt zu den kleinen Wundern der Sammlungsgeschichte. Zwei Wagen hatten das Schlossgut Moholz 1944 verlassen. In dem einen befand sich das bis zu diesem Zeitpunkt gesammelte Porzellan, in dem anderen das übrige Kunsthandwerk, Möbel, Gläser und vor allem Silber. Beide Fahrzeuge wurden nach Dresden verbracht. Während der eine Wagen mit dem Porzellan außerhalb der Stadt verblieb und dadurch gerettet werden konnte, wurde der andere in die Stadt gefahren und - im Februar 1945 - ein Opfer der Bombardierung Dresdens. Auf der Basis der geretteten Stücke setzte Schneider in den 1950er-Jahren seine Sammeltätigkeit intensiv fort. 1955 bekam die Öffentlichkeit erstmals einen Eindruck von seiner Leidenschaft. Die Stadtverwaltung Düsseldorf stellte ihm drei Säle in Schloss Jägerhof zur Verfügung, um einen Teil seiner Stücke zeigen zu können.
Die stetig weiter wachsende Sammlung Schneiders verlangte jedoch nach mehr Raum. Seinem Wunsch, die erworbenen Stücke auf Schloss Benrath bei Düsseldorf in ihrer Gesamtheit zu zeigen, verweigerte sich jedoch die Stadtverwaltung. Schneider orientierte sich folglich um. Ein erster Schritt in Richtung Bayern ergab sich 1966 mit der Ausstellung "Meißener Porzellan 1710 bis 1810" im Bayerischen Nationalmuseum in München, für die der Sammler nahezu 300 Stücke aus seinem Besitz zur Verfügung stellte. Zwei Jahre später, 1968, übereignete er dem Freistaat Bayern schließlich einen Großteil seiner Sammlung. Rund 1800 Porzellane umfasste die Stiftung Ernst Schneider an den Freistaat. Als ständigen Ausstellungsort wählte man Schloss Lustheim, genau dort, wo Schneider auch seine letzten Lebensjahre verbrachte. Der übrige Teil, der unter anderem Möbel, Silber und Glas enthielt, gelangte als Stiftung in das Eigentum der Stadt Düsseldorf.
Schneiders Sammlung birgt Außergewöhnliches. Bei den ersten fünf der insgesamt 159 für den Bildführer ausgewählten Objekte handelt es sich um rote Böttgersteinzeuge, darunter eine Ausformung der kleinen Statuette Augusts des Starken, des Apollokopfes und des großen Monteiths, der schon 1966 in der Münchener Ausstellung zu sehen war. Über 20 Porzellane zeigen Chinoiserie-Dekor von Johann Gregorius Höroldt und von weiteren Malerkollegen wie zum Beispiel Philipp Ernst Schindler d. Ä., Johann Ehrenfried Stadler und vor allem Adam Friedrich von Löwenfinck. Sie belegen eindrucksvoll das hohe Niveau der Meißener Maler in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Neben den buntfarbigen Chinoiserien bilden die "Goldchinesen" der Augsburger Hausmaler Aufenwerth und Seuter eine weitere Gruppe bester Qualität. Ein erklecklicher Teil der Sammlung setzt sich aus Servicebestandteilen zusammen. Für den Bildführer wurden bekannte Stücke aus dem Schwanen- und Sulkowski-Service ausgewählt sowie, als weitere Glanzpunkte, ein Teller aus dem Service der Zarin Elisabeth, eine Zuckerdose aus dem Déjeuner für König Victor Amadeus von Sardinien, eine Terrine mit Unterschale aus dem Service des Grafen Podewill und schließlich ein Kännchen aus dem Service des Duke of Northumberland. In der Gruppe der figürlichen Porzellane befindet sich eine Ausformung der berühmten lebensgroßen Tiere, nämlich ein sitzender Tiger, ein Exemplar der Affenkapelle mit 20 Figürchen, verschiedene weitere Tierfiguren, Planetengruppen und die Figur des Hofnarren Joseph Fröhlich.
Eine üppige Ausstattung mit sehr guten Farbabbildungen, eine gute Papierqualität und ein solider Einband kennzeichnen das äußere Erscheinungsbild des Bildführers. Für das einleitende Kapitel zum Schloss und zur Gartenanlage von Lustheim zeichnet Sabine Heym, Oberkonservatorin der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen in München, verantwortlich. Sie schildert ausführlich die Entstehungsgeschichte, die verschiedenen Bauherren und die Architekten der als Teil des Schleißheimer Schlosses zu betrachtenden Anlage. Gute Abbildungen von Bauplänen, Deckenfresken und Außen- und Innenansichten des Schlosses illustrieren diesen Buchteil. Daran schließt sich ein kurzer Abschnitt über den Sammler Ernst Georg Schneider an.
Den Hauptteil der Publikation bilden mit circa 350 Seiten sechs Kapitel, die sich essayhaft einzelnen Themenbereichen widmen. Einzelnen Textseiten sind teilweise mehrere ganzseitige Abbildungen beigefügt, die die diskutierten Objekte mit Gesamt- und Detailaufnahmen zeigen. Leider lässt die Übersichtlichkeit dieses Buchabschnitts sehr zu wünschen übrig. Beispielsweise werden unter dem Kapitel "Europäische Dekore" mehrere Einzelobjekte, zum Beispiel eine Kanne, eine Zuckerdose oder ähnliches, aber auch vollständige Service subsumiert, die von einer Vielzahl von Detailaufnahmen begleitet sind. Diese haben entweder keine Abbildungsunterschriften oder sie sind so schwer zuzuordnen, dass der Leser kaum durchschaut, welches Detail zu welchem Objekt gehört. Der Hinweis auf die entsprechende Nummer im Katalogteil am Ende des Buches und seine teilweise missglückte Platzierung auf der Buchseite führen den Leser zudem oft gänzlich in die Irre (besonders gravierend auf 288 ff.). Auch an anderen Stellen hätte man sich eine einheitliche grafische Gestaltung (Abbildung und Bildunterschrift) gewünscht (zum Beispiel 274/275, 278/ 279 oder 296/297).
Im Vergleich zum üppig bebilderten Essayteil ist der Katalog mit 159 ausgewählten Objekten am Ende der Publikation - auf nur 35 Seiten - sehr spärlich ausgefallen. In Kurzform wird hier auf Material, Maler, Modelleur, Datierung, Größe, Marken und Nachweis in der Literatur hingewiesen. Fast jedem Objekt ist eine Gesamtaufnahme, allerdings nur in Briefmarkengröße, beigegeben. Aufnahmen von Marken sind nicht vorhanden. Zumindest dem wissenschaftlichen Benutzer wäre es an dieser Stelle lieber gewesen, man hätte sich im Hauptteil auf weniger Detailabbildungen beschränkt, dafür aber im Katalogteil größere Gesamtaufnahmen der Objekte geboten. Detailaufnahmen von Objekten an Stelle einer Gesamtaufnahme verfehlen in diesem Zusammenhang vollkommen ihren Sinn (Kat. Nr. 111-115).
Gerade der letzte Abschnitt weckt angesichts seiner räumlichen Beschränkung und der kleinen Objektabbildungen den Wunsch nach einem umfassenden wissenschaftlichen Bestandskatalog der gesamten Sammlung - die Abbildung auf Seite 53 gibt einen Eindruck von ihrer Größe. Hier sollten beispielsweise auch Fotos der Marken zu finden, Erwerbungsjahre angegeben und Vergleichsbeispiele anderer Sammlungen in die grundlegende wissenschaftliche Diskussion mit einbezogen sein. So gesehen ist dieser solide Bildführer, der sich in erster Linie an ein breiteres Publikum wendet, hoffentlich der erste Schritt zu einer längst überfälligen wissenschaftlichen Gesamtpublikation.
Silvia Glaser