Jürgen Voss (Hg.): Liselotte von der Pfalz: Briefe an die Gräfin Johanna Sophie von Schaumburg-Lippe (= Kleines Archiv des 18. Jahrhunderts; Bd. 41), St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2003, 136 S., ISBN 978-3-86110-293-9, EUR 16,00
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Jürgen Voss (Hg.): Johann Daniel Schöpflin. Wissenschaftliche und diplomatische Korrepondenz (= Beihefte der Francia; Bd. 54), Ostfildern: Thorbecke 2002, 686 S., ISBN 978-3-7995-7448-8, EUR 76,00
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Die europäische Dimension des Aufklärungszeitalters beleuchten zwei Briefeditionen, die Jürgen Voss, Fachreferent am Deutschen Historischen Institut Paris, herausgegeben hat. Sie werfen zugleich ein Licht auf die vielfältigen deutsch-französischen Beziehungen im 18. Jahrhundert. Die erste Edition umfasst 52 Briefe der Liselotte von der Pfalz an Johanna Sophie Gräfin von Schaumburg-Lippe, die zweite 598 Briefe aus der wissenschaftlichen und diplomatischen Korrespondenz Johann Daniel Schöpflins. Beide Konvolute werden hier erstmals veröffentlicht.
Elisabeth Charlotte von Pfalz-Simmern (1652-1722), die Herzogin von Orléans, war eine europäische Fürstin. Die Schwägerin Ludwigs XIV. lebte über fünfzig Jahre am französischen Hof und gilt als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Briefkultur um 1700. Ihr Leben und ihre Briefe stehen seit etwa 15 Jahren im Interesse der Forschung, nachdem die Biografie von Dirk Van der Cruysse [1], die von ihm herausgegebenen Edition der französischen Briefe [2] sowie ein Heidelberger Tagungsband den Weg bereitet haben [3]. Auch Jürgen Voss hat einige Aufsätze zu Liselotte von der Pfalz verfasst.
60 000 Briefe soll sie in ihrem Leben geschrieben haben. Etwa 6000 sind überliefert. Frühe Briefausgaben vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts werden durch die vorliegenden Briefe an die Gräfin Schaumburg-Lippe ergänzt. Die Briefe befinden sich im Fürstlich Schaumburg-Lippischen Hausarchiv. Sie datieren aus dem Zeitraum zwischen 1717 und 1722. Neben den Memoiren des Herzogs von Saint-Simon stellen sie eine bedeutende Quelle für das Zeitalter Ludwig XIV. und die Regentschaft Philipps von Orléans, des Sohnes Liselottes, dar. Die Gegenbriefe sind nicht erhalten.
Die Adressatin war Hofdame der Kurfürstin Sophie von Hannover, einer Tante Liselottes von der Pfalz. Seit 1714 bekleidete sie die gleiche Stellung bei der Prinzessin Karoline, die nach der Übernahme des englischen Throns durch Georg Ludwig Prinzessin von Wales geworden war und in London lebte. Die Korrespondenz enthält aufschlussreiche Informationen zur Adels-, Dynastie- und politischen Geschichte Europas. Liselotte teilt zahlreiche Nachrichten über das Leben am französischen Hof mit und kommentiert die Ereignisse am englischen Hof. Außerdem gibt sie zahlreiche Schilderungen von Zeitgenossen wie etwa Georg I. von England oder dem Duke of Richmond: "Ich kenn den Duc de Richement woll undt von kindtsbeinen auff kenne also alle seine fehler undt desbeauchen Ich fürchte es seye zu spät daß er dem Brandewein absagt undt daß er schon inewendig verbrandt" (11). So schrieb sie etwa am 7. Dezember 1717 an die Gräfin von Schaumburg-Lippe.
Auch zur Erforschung der Alltags- und namentlich der Geschlechtergeschichte können diese Briefe herangezogen werden, die ganz im Geist der frühen Aufklärung geschrieben sind. Äußerungen zur Religion - die Herzogin wurde kalvinistisch erzogen und musste wegen der Heirat mit dem Bruder des französischen Königs konvertieren - stehen neben der Betonung von praktischer Vernunft, Verstand, Nutzen und individuellem Glück. Daneben spielt die Auseinandersetzung mit der Muttersprache eine große Rolle. Liselotte verstand das ausgedehnte Korrespondieren auch als Sprachpflege des Deutschen. Sie verbreitete sich über Oper und Theater (Molière!) und gab ihrer Briefpartnerin Lektüreempfehlungen.
Für die Einrichtung der Texte wurden Transkriptionen eines Bückeburger Archivars aus dem Jahr 1930 benutzt. Dass der Abdruck der "Ortho- bzw. Heterographie sowie in der (weitgehend fehlenden) Interpunktion den Handschriften" (91) folgt, ist eine editionsphilologische Selbstverständlichkeit und bedürfte keiner weiteren Begründung. Die Stellenerläuterungen sind knapp und sachbezogen gehalten. Einen textkritischen Apparat gibt es nicht. Ein kurzes Nachwort sowie ein Personen- und ein topografisches Register runden die Edition ab.
Der Herausgeber Jürgen Voss ist auch ein ausgewiesener Kenner des Straßburger Gelehrten Johann Daniel Schöpflin, über den er zahlreiche Aufsätze und seine Habilitationsschrift verfasst hat. [4] Nun fügt er seinen Verdiensten um Leben und Werk des europäischen Kosmopoliten eine gründlich erarbeitete Edition von Briefen hinzu. Es handelt sich um 598 Schreiben aus dem Zeitraum 1725 bis 1771. Die Ausgabe versteht sich als Ergänzung zu Richard Festers Edition "Johann Daniel Schoepflins brieflicher Verkehr mit Gönnern, Freunden und Schülern", die 1906 erschien. [5] Da der Nachlass Schöpflins während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 vernichtet wurde, hat Voss die Briefe in den Nachlässen der Empfänger in 38 europäischen Archiven zwischen Paris, Stockholm und St. Petersburg erschlossen.
Die Mehrzahl der Briefe sind in Französisch, Briefe an Altertumsforscher lateinisch und einige wenige auf Deutsch geschrieben. Der Herausgeber hat den Briefen jeweils kurze Zusammenfassungen des Inhalts vorangestellt. Die Briefe bieten vielfältige Informationen zur Wissens-, Wissenschafts- und Diplomatiegeschichte des 18. Jahrhunderts, zur Geschichte des Elsass' und der deutsch-französischen Beziehungen. Sie handeln von Schöpflin selbst, seinen Werken, seinen Mitarbeitern und Schülern, von europäischen Universitäten, Akademien und Bibliotheken. Schöpflin gilt als Begründer der oberrheinischen Landesgeschichte, war Leiter der Straßburger Diplomatenschule, initiierte Akademien in Brüssel und Mannheim. Er korrespondierte mit Gelehrten, Ministern, Diplomaten und Fürsten. Das größte Konvolut stellen die 180 Briefe des Mannheimer Akademiesekretärs Andreas Lamey dar, die er zwischen 1762 uns 1771 an den Ehrenpräsidenten Schöpflin geschrieben hat. Die Gegenbriefe sind bereits bei Fester veröffentlicht.
Über die editorischen Prinzipien erfährt man nicht mehr, als dass die Briefe zeichengetreu wiedergegeben wurden. Stellenerläuterungen stehen auf der jeweiligen Seite in der Fußnote. Sie beschränken sich wie schon bei der Edition der Liselotte-Briefe auf kurze Hinweise zu Namen, Werken, Worterklärungen. Auch die Briefpartner werden in aller Kürze mit biografischen Informationen eingeführt. Ein Orts- Personen- und Sachregister ist beigegeben, in dem jedoch Vornamen vor Nachnamen aufgeführt sind, was die Benutzung erschwert. Ein Verzeichnis, das die frühen Angaben von Fester um zahlreiche neue Funde erweitert, führt alle veröffentlichten Briefe von und an Schöpflin auf. Das ist verdienstvoll. Allerdings wurde auf die Seitenzahlen der vorliegenden Edition verzichtet. So fehlt ein übersichtlicher Zugang zu Korrespondenz und Korrespondenzpartnern. Das kann die Bedeutung der Briefe für die Erforschung der europäischen Aufklärung jedoch nicht beeinträchtigen, deren vielfältige Möglichkeiten, Kommunikationswege und Netzwerke sie ebenso eindrucksvoll belegen wie die Briefe der Liselotte von der Pfalz.
Anmerkungen:
[1] Dirk Van der Cruysse: Madame Palatine, Paris 1988. Dt., gekürzte Ausgabe unter dem Titel: "Madame sein ist ein ellendes Handwerck". Liselotte von der Pfalz - eine deutsche Prinzessin am Hof des Sonnenkönigs, München 1990.
[2] Dirk Van der Cruysse: Madame Palatine. Lettres françaises, Paris 1989.
[3] Klaus J. Mattheier (Hg.): Pathos, Klatsch und Ehrlichkeit. Liselotte von der Pfalz am Hofe des Sonnenkönigs (=Romanica et comparatistica; 14), Tübingen 1990.
[4] Jürgen Voss: Universität, Geschichtswissenschaft und Diplomatie im Zeitalter der Aufklärung. Johann Daniel Schöpflin (1694-1771), München 1979.
[5] Johann Daniel Schöpflin: Brieflicher Verkehr mit Gönnern, Freunden und Schülern, hg. von Richard Fester (= Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart; 240), Tübingen 1906.
Dirk Hempel