Donald Kuspit: The End of Art, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XV + 218 S., 39 Abb., ISBN 978-0-521-83252-6, GBP 25,00
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Den Schutzumschlag dieses Buches ziert das Foto eines gefüllten Aschenbechers - ein Multiple des britischen Künstlers Damien Hirst. Emblematisch verdichtet dieser Umschlag Donald Kuspits zentrale These: die Kunst habe ihre ästhetische Bedeutung verloren. Sie sei ersetzt worden von dem, was Kuspit mit dem amerikanischen Happening-Künstler Allan Kaprow "postart" (I) nennt. In der "postart" werde das Banale über das Enigmatische, werde das Skatologische über das Heilige und werde die individuelle Gerissenheit über die künstlerische Kreativität erhoben - in seiner Pauschalität kein eben geringer Vorwurf. Kuspits in fünf Kapiteln entfaltete, durchaus teleologisch angelegte Argumentation zeichnet das Bild eines heillos selbstgefälligen und in vielerlei Hinsicht korrupten Kunstbetriebes.
Kuspit ist Professor für Kunstgeschichte und hat sich vor allem als scharfzüngiger Kunstkritiker einen Namen gemacht. So verwundert es nicht, dass seine Abrechnung mit dem zeitgenössischen Kunstbetrieb in einer ausgesprochen essayistischen Form daherkommt, die nicht scheut zu polarisieren und Einzelbeobachtungen zu generalisieren.
Einleitend nimmt er den Wandel des Museums zum Amüsierbetrieb ins Visier. Allerdings fügt Kuspit der üblichen Krittelei an Museumsshops und Event-Kultur keine Variante hinzu. Vielmehr trifft seine Kritik das Museum im Herzen seiner Aufgaben, nämlich der Ausstellung. Sie entzündet sich exemplarisch an der Ausstellung "Modern Starts" des Museum of Modern Art, New York. Das MoMA hatte im Winter 1999/2000 versucht, seine Bestände nicht in kanonisierter Form (wohl geordnet nach Ismen und Künstlergenies) sondern in einem assoziativen Patchwork vor buntfarbigen Wänden zu präsentieren (beispielsweise Rineke Dijkstras Fotografie eines Jungen am Strand neben Cézannes berühmtem Gemälde eines Badenden). Im Kielwasser der harschen Kritik Frank Stellas an dieser Ausstellung gelangt Kuspit dazu, das nunmehr endgültige Ende der Hochkunst zu konstatieren. Eine derartige Präsentation setze auf leichte Verdaulichkeit, unmittelbare Einsichtigkeit und entleere so die Kunst ihres transzendentalen Anspruchs. Sie reduziere Kunstwerke zu bloßen Anschauungsobjekten, entzöge ihnen die ästhetische Aura und Fremdartigkeit.
Welchen Geltungsanspruch aber kann, so muss sich Kuspit fragen lassen, eine Kritik beanspruchen, die sich (wie leider das gesamte Buch) vor allem auf Einzelfälle bezieht und rein exemplarisch argumentiert? Es gehört beispielsweise das Konzept der assoziativen Hängung bereits wieder in die Mottenkiste des Display-Designs. Und hat sich nicht gerade das MoMA mit seinem Auftritt in der Berliner Nationalgalerie jüngst als Gralshüter einer kanonisierten klassischen Moderne präsentiert? Ein Selbstverständnis, das wiederum von namhaften Kunstkritikern wie Werner Spies scharf attackiert wurde.
Gleichwohl: das sich in "Modern Starts" abzeichnende, neue Selbstverständnis des Museums passe gut, so analogisiert Kuspit, zum Selbstverständnis vieler zeitgenössischer Künstler. Die letzten ernsthaften Kriterien für die Bedeutungsermittlung von Kunst seien ausgetilgt, die Kunst sei banalisiert und jeder Transzendenz beraubt. Im Bewusstsein ihrer ästhetischen Schwächen, hoffe die "postart" allzu oft auf die Kraft erläuternder Texte: "Indeed, such texts - which are usually less interesting that the objects they pretend to enligthen us about (if there is any reason to choose between their banality) - have become essential weapons in the armory of ideological didacticism that supports postart." (73)
Eine zweite Waffe der "postart" macht Kuspit in der Strategie, besser: im Versuch der Künstler aus sich als Marke zu platzieren. Wie überhaupt die gesamte "postart" den Gesetzen des freien Marktes bereitwillig folge. Dies um den Preis, dass der Betrachter zum Konsumenten geworden sei: "The specator has become the customer; he has to be confused - morally and intellectually - to invest in postart, emotionally and economically." (88)
Als Vorväter dieser Entwicklung macht der Autor zwei Künstler aus, die gemeinsam zu besprechen (zumindest unter diesem Blickwinkel) einiges an Courage erfordert: Marcel Duchamp und Barnett Newman. Beide hätten das Ästhetische verschmäht. Duchamp als Begründer des Konzeptualismus, indem er die Kunst dem Intellekt unterworfen habe, und Newman, indem er das Kunstwerk einer an diesem vollzogenen ästhetischen Erfahrung nachordnet habe. Unschwer lassen sich hier Greenberg'sche Züge ausmachen. Duchamp und Newman ereilt der Vorwurf, beide siedelten die ästhetische Erfahrung jenseits des Werkes an: "For them, the work of art becomes 'anti-aesthetic', to use the fashionable term, or, as I would rather say, post-aesthetic, that is, altogether stripped and emptied of aesthetic value. Art is no longer fine art [...]." (28)
Das Ende der Hochkunst wird (ganz in der Tradition Clement Greenbergs und Michael Frieds) als logische Folge des Endes autonomer Kunstwerke markiert. Für Duchamp und Newman existiere das Kunstwerk nicht mehr in seiner Materialität, sondern ausschließlich in seinem Konzept hier und seiner Wirkung dort. In dieser Loslösung vom Werk, von seiner Materialität, von seiner Schönheit, kurzum: vom autonomen Kunstobjekt sieht Kuspit den Nährboden für die Verfehlungen heutiger post-ästhetischer Kunst: "In a post-aesthetic art world the work of art becomes a bully pulpit, and the artist tries to bully the spectator into believing what the artist believes. He becomes a self-rigthenous bully preaching to us (or rather at us) about what we already know - the ugliness and injustice of the world - without offerning any aesthetic, contemplative alternative to it." (37)
"Postart", so lassen sich die mal subtil, häufig beißend und bisweilen verbittert vorgetragenen, immer aber vergnüglich zu lesenden Polemiken zusammenfassen, sei roh und gefühllos, intellektuell unausgegoren und inhaltslos, in ihrer Bedeutungslosigkeit konformistisch, in ihrer kritischen Attitüde unkritisch und in ihrem Habitus des Provokativen klischeehaft. In ihrer Anbiederung an den Alltag sei sie ästhetisch bedeutungslos geworden. Sie sei eine arme Verwandte der Massenmedien, der es aber an "slickness and outreach" (42) derselben mangle. "Postart" sei nur noch banal, nicht mehr ästhetisch.
Kuspits Diagnose könnte - wollte man ihr folgen - den geneigten Leser an der zeitgenössischen Kunst verzweifeln lassen. Aber: keine Polemik ohne Triebfeder, keine Teleologie ohne Telos. Kuspit weist einen Ausweg aus der mit der "postart" aufgekommenen Maläse und verpfändet seine These im Namen einer neuen Altmeisterlichkeit, der "New Old Master art" (183). Neue Altmeister (Maler wie Lucian Freud, Eric Fischl, Don Eddy, Avigdor Arikha und deren Exegeten) glaubten an die Originalität der Kunst aus dem Geiste des Handwerks: "They art not slavish imitators of the past - they do not model their art in it, nor mechanically appropriate it in the usual postmodern way, nor does Old Master style become a mannerism in their work [...]." (183)
Sie brächten vielmehr die Spiritualität und den Humanismus der Altmeister mit dem Innovationsgeist und dem kritischen Potenzial der Modernen Meister zusammen. Die "New Old Master art" entstehe folglich fernab des Kunstbetriebs an einem Ort, dem die "postart" eigentlich schon den Garaus gemacht hatte: dem Atelier. Dieser hortus conclusus sei wieder zum Sanktuarium der Kreativität geworden. Hier also entstünden Sie, die neuen Meisterwerke, denn: "'Masterpiece' has no meaning apart from the studio in which a master produces it." (178) So schließt das Buch denn auch mit dem Statement, dass die "New Old Master art" eine alternative Kunst sei, "without the condescension that money, the media, and popular entertainment - and postart, which is their lackey - have to their audience. New Old Master art brings us a fresh sense of the purposefulness of art - faith in the possibility of making a new aesthetic harmony out of the tragedy of life, without falsifying it - and a new sense of art's interhumanity." (192)
Kuspits Hang zur Apodiktik ist es sicher zu schulden, dass die Schlagkraft seiner Argumente durchgehend, so muss man leider zusammenfassen, an übermäßigen Deduktionen leidet. Fraglich bleibt auch, ob wir ihn als einen Postmodernisten im Pelz des Neo-Konservativen oder als einen wahrhaftigen Modernisten mit der spitzen Feder des Postmodernisten zu verbuchen haben - dies zumindest so lange, wie die Wirkungsgeschichte der von ihm ausgerufenen "New Old Master art" noch nicht geschrieben ist. Allemal aber ist "The End of Art" eine anregende Lektüre, die der Selbstgefälligkeit des zeitgenössischen Kunstbetriebs einen neuen Idealismus entgegensetzt und so hilft den Blick auf das zeitgenössische Kunstgeschehen neu zu justieren.
Lars Blunck