Christian Janecke: Performance und Bild - Performance als Bild (= Fundus; 160), Berlin: Philo Verlagsgesellschaft 2003, 416 S., 65 Abb., ISBN 978-3-364-00621-5, EUR 20,00
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Spätestens mit der "Intermedia"- und Performance-Kunst der Sechziger- und Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts geriet das sich in der Werkästhetik widerspiegelnde Subjekt-Objekt-Paradigma förmlich wie endgültig in Bewegung. Am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts erreichte die damit eng verknüpfte Performance-Praxis und -Theorie eine neue Hochkonjunktur.
Christian Janecke nimmt die Kontinuität und die neue Aktualität dieser Problematik zum Anlass, in seinem einführenden Aufsatz zur gleichnamigen Aufsatzsammlung einen besonders interessanten Aspekt der vielfältigen Beziehungen zwischen "Performance Art" und "Bild" zu untersuchen. Es handelt sich um eine Beschäftigung mit dem "Bild als requisitärem oder dargestelltem bzw. thematisiertem Gegenstand der Performance" und um die "Rolle, die das Bild bzw. Bildhafte dort spielt, schließlich mit der etwaigen Bildlichkeit von Performance selbst." (13)
Im ersten Abschnitt mit der Überschrift "Themeneingrenzung" lässt der Autor keinen Zweifel daran offen, dass einige, inzwischen als "klassisch" geltende kunst- und theaterwissenschaftliche Maßnahmen zur (Wieder-)Eroberung der Kompetenzen im Feld der Performance-Kunst dem komplexen Untersuchungsgegenstand kaum noch standhalten können. Eine breit gefächerte Diskussion über den Theater- beziehungsweise Performancebezug von Bildern sei dagegen vonnöten.
Seinen Diskussionsbeitrag leitet Janecke mit einer kritischen Interpretation der "theatricality" ein. Mit diesem Begriff drückte Michael Fried [1] nicht nur seine abwertende Haltung der Minimal Art gegenüber aus, sondern er formulierte auch einen umfassenderen "Theatralitätsvorwurf" an Kunstwerke, welche Betrachter thematisieren oder einen unmittelbaren Appell an sie richten (15). Janecke beschränkt sich mit seinem Urteil zunächst auf den plausiblen Hinweis, dass derselbe "Theatralitätsvorwurf" im Hinblick auf die in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts angesetzte Kunstentwicklung eher würdigend hervorzuheben sei.
Diese erste Parteinahme und ihre bewusste Einordnung in die theoretische Debatte um Frieds "theatricality" (R. Krauss (1977), D. Crimp (1984), auch J. Rebenstich (2000) und andere AutorInnen, sowie die nicht erwähnte S. Flach (2003)) führt zum zweiten, längsten Abschnitt hin ("Performance Art - Nachbarschaften überdenken"), in dem sich der Autor in einem ungewohnt und zugegebenermaßen wohltuend polemischen Ton mit den unscharf oder beliebig formulierten Begriffen "Performance", "Performativität", "Performative Kultur" und "Theater" sowie "theatricality" auseinandersetzt.
Gleichzeitig äußert Janecke vorsichtig seinen Zweifel an einer Annäherung von Performance Art und Theater, und zwar besonders in den Fällen, wenn Performancekünstler ihre "Bühne", das "Setting" verlassen. Eine Genealogie der Installationskunst aus ebensolchen stage sets performativen Ursprungs (Dan Graham) oder "verlassenen" Performance-Räumen (Jochen Gerz, Marcel Odenbach), wie sie unter anderen Friedemann Malsch [2] vorschlug, hätte allerdings auch andere Schlüsse erlauben können, eine Tatsache, die Janecke sehr wohl vor Augen hat, wenn er in Anlehnung an B. Marranca von gattungsspezifischen Zuordnungsschwierigkeiten und parallelen oder "getrennten Performancegeschichten" berichtet. (21, Anmerkung 14)
Es folgt eine historisch und ästhetisch wie medial begründete Kritik an dem Performance-Künstler als "einem hartnäckig sich haltenden Klischee vom präsentisch und jenseits einer Mediatisierung sich verausgabenden Charismatiker" (27) und einem entsprechenden "Zerrbild von Performance Art", das "zum Modellfall 'performativer Kultur'" (27) wurde. Janeckes negativ-suggestiv gestellte Frage "Braucht eine 'Performative Kultur' die Performance Art?" richtet sich gegen den von Erika Fischer-Lichte artikulierten Anspruch der Theaterwissenschaft als einer Leitwissenschaft. Insbesondere die dort vorgeschlagenen Kriterien für das Performative, die aus dem Gegensatz "Vollzug versus Referenz" generiert werden (27), finden bei Janecke wenig Zustimmung.
Das vermeintliche Problem der Vertreter einer "essenzialistischen" oder "präsenzmetaphysischen" (die Medien ausschließenden, "in situ"-) Performance-Theorie manifestiert sich für Janecke in erster Linie in dem Problem der "Erstarrung zum Bild". Damit rückt auch der zweite im Titel enthaltene Begriff in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Angst vor der "unfreiwillige[n] Bildlichkeit bzw. Bilderstarrung" in der Performance Art (44) sei ein Symptom "irrationaler Gesinnung" (44) und Zeichen einer kulturpessimistischen und medienskeptischen Grundposition, die sich letztendlich in einer Analyse der "Bildwerdung" (46) und der ihr zu Grunde liegenden, negativen Konnotation des metaphorischen Begriffes "Bild" offenbart:
"Das Moment der Sedimentierung ist für die Vertreter befürchteter Bildwerdung des Lebendigen das zentrale Argument gegen das Bild." (50, Anmerkung 66)
Die Wurzeln dieses (Miss-)Verständnisses vom "Bild" als klarem Antipoden zu diachronischen, zeitgebundenen Kunstformen findet Janecke nicht zuletzt in der kunsthistorischen Tradition (Ernst H. Gombrich, Heinrich Theissing, Hans Holländer), aus der sich - zumindest teilweise - auch seine eigenen Gegenargumentationen und Lösungsvorschläge ergeben. Janecke schlägt folglich einen transitorischen Bildbegriff vor: Seine vorgelegte genealogische Skizze baut auf einem "latent transitorischen Bildbegriff" bei Lessing ("Laokoon") auf und führt über die lebensphilosophische Ausweitung der Bild-Zeitproblematik bei Klages, Bergson und auch bei Vrhunc (2002) zurück zu einem der meistzitierten kunsthistorischen "Klassiker" hin, zu Aby Warburg.
Warburg plädierte für die Aufrechterhaltung (Konservierung) dessen im Bild, "was durch die Bildwerdung zunächst preisgegeben, 'getötet', werden musste" (64): Dieses Plädoyer führt in Janeckes Interpretation zu einer Lösung des vermeintlichen Problems der "Bildwerdung", die sich in der "Lebendigkeit künstlerischen Ausdrucks nicht trotz, sondern dank der Gerinnung zur ablösbaren Form" manifestierte. Es handelt sich dabei um einen Ausweg, der, wie Janecke zugibt, nur über die "paradoxe Verbürgung und zugleich Lähmung des Lebendigen durch das Bild" (66) erreicht werden kann.
Die Leistung des Bildes im performativen Zusammenhang liege dementsprechend in einer das sinnliche Material transzendierenden Fülle, also auch jenseits von hermeneutischem Kontextüberdruss und ikonologisch-semiotischer Kontexteuphorie.
Wenn man auf die Suche nach Schwächen des Textes von Christian Janecke gehen will, dann wird man am ehesten in den Abschnitten fündig, die den polemischen Ton auch im Detail, speziell bezüglich kritisierter Autoren, aufrechterhalten. So wird die engagierte, aber nicht undifferenzierte feministische Position von Peggy Phelan als "elegische Sichtweise" in den Kontext der "präsenzmetaphysischen Beschwörung des Performance-Aktes" (73) gesetzt und die nachhaltige Wirkung der "Präsenzmetaphysiker" möglicherweise überschätzt.
In einem einhundert Seiten starken Einführungsaufsatz - der angesichts seines Umfanges und aussagekräftigen Gehaltes auch als Einzelpublikation vorstellbar gewesen wäre - gelingt Janecke eine auch in seinem Schreibstil [3] zuträglich unverblümte Vorstellung einer komplexen und aktuellen kunst-, medien-, theaterwissenschaftlichen und philosophisch-ästhetischen Problematik. Sein theoretisches Gerüst gilt es unvoreingenommen zu untersuchen und vor allem mit konkretem kunst-, medien- und theaterhistorischen Material zu stützen. Mit den Einzelbeiträgen der Aufsatzsammlung "Performance und Bild. Performance als Bild" ist ein gelungener Schritt in diese Richtung getan worden.
Anmerkungen:
[1] "Art and Objecthood" (1967); "Absorbtion and Theatricality" (1980).
[2] Friedemann Malsch, Das Verschwinden des Künstlers? Überlegungen zum Verhältnis von Performance und Videoinstallation; in: KAT. Video-Skulptur. Retrospektiv und aktuell 1963-1989 (Hrsg. W. Herzogenrath und E. Decker), DuMont, Köln 1989.
[3] Sprachlich gesehen fallen zahlreiche ausgedehnte Nebensätze auf, die meines Erachtens im gewissen Widerspruch zur rationalistischen Position des Verfassers stehen.
Slavko Kacunko