Rezension über:

Albert Blankert: Selected Writings on Dutch Painting. Rembrandt, Van Beke, Vermeer and Others. With a Foreword by John Walsh, Zwolle: Waanders Uitgevers 2004, 341 S., 65 Farbabb., 290 s/w-Abb., ISBN 978-90-400-8932-9, EUR 55,00
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Rezension von:
Wolfgang Kemp
Kunstgeschichtliches Seminar, Universität Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Kemp: Rezension von: Albert Blankert: Selected Writings on Dutch Painting. Rembrandt, Van Beke, Vermeer and Others. With a Foreword by John Walsh, Zwolle: Waanders Uitgevers 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6474.html


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Albert Blankert: Selected Writings on Dutch Painting

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Dieser Band versammelt in flüssiger englischer Übersetzung die Aufsätze und Katalogvorworte eines Mannes, der seit bald vierzig Jahren außerhalb der Amtskunstgeschichte operiert. Weder in der Universität noch im Museum hat Albert Blankert je eine Position bekleidet, aber er hat in beiden Institutionen zahlreiche Gastspiele gegeben. Nach einer kurzen Tätigkeit im Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie (RKD) in Den Haag begann Blankert seine Karriere als "Freier" Kunsthistoriker, als Verfasser wissenschaftlicher Bücher, Aufsätze und Sammlungskataloge, als Gastkurator und Lehrbeauftragter. Bekannt wurde er durch eine Reihe von Ausstellungen, die auf eine gleich noch zu charakterisierende Weise unser Bild von der niederländischen Kunst des Goldenen Zeitalters verändert haben. "Kunst als Regeringszaak" machte 1975 den Anfang, "Gods, Saints and Heroes" folgte 1980, dann kam "Hendrick ter Brugghen en tijdgenoten" 1986 zum Thema der holländischen Caravaggisten und zuletzt ist "Dutch Classicism" 1999 zu nennen. Abgesehen von letzterem sind die wichtigsten Beiträge zu den anderen Katalogen in diesem Band erneut abgedruckt und mit kurzen Addenda, den veränderten Forschungsstand betreffend, versehen. Dies ergibt alles andere als eine Dublette: Ausstellungskataloge werden nun mal nicht so konsequent von unseren Bibliotheken gekauft; hier hat man, unterstützt durch passable bis gute Abbildungen, einen Ausschnitt der niederländischen Kunstgeschichte zusammen, den man so in den Gesamtdarstellungen nicht finden wird. Es sind insgesamt 23 Aufsätze, die hier in der Reihenfolge ihres Erscheinens wiederabgedruckt werden; sie reichen von 1966 bis 2002.

Die Caravaggisten-Ausstellung lief unter dem Obertitel "Nieuw licht op de Gouden Eeuw", den man getrost auch auf die anderen Unternehmungen Blankerts ausweiten darf. Die Titel deuten es schon an, was die Besucher der Ausstellungen und die Leser von Blankerts Texten mit großer Bestimmtheit erfuhren: Dieser Kunsthistoriker hat sich nicht an Blockbustershows zu den Meistern und auch nicht an Veranstaltungen der heute so beliebten Art "Wir tafeln mit den Niederländern" beteiligt. Das Hauptinteresse seiner Aktivitäten war auf die Korrektur und Erweiterung unseres Bildes von der Malerei des 17. Jahrhunderts gerichtet. Um es noch enger zu formulieren: Dass diese Kunst ohne ihre Leistungen auf dem Gebiet der Historienmalerei nicht komplett, nicht richtig zu verstehen ist, das war Blankerts Anliegen. Sein Ansatz ist also im Wesentlichen auf das Thema Gattungsmalerei gerichtet.

Blankert hat sich an den Methodenkriegen der letzten zwanzig Jahre nicht beteiligt. Weder durch kritische Stellungnahmen, noch durch ein Nachgeben in die eine oder andere Richtung. Wer sich für die Sozialgeschichte, die Ikonologie, die Kennerschaft, die Institutionengeschichte, die Quellenforschung und so weiter "mit heißem Bemühen" engagiert hatte, empfand bei der Lektüre Blankerts immer eine gewisse Ernüchterung, da dieser Autor nahm, was er kriegen konnte, um im nächsten Abschnitt schon wieder einem anderen Gott zu dienen. Man kann dies eklektisch nennen, aber in Wirklichkeit wurde diese gewisse Nonchalance aufgefangen in einem Schreibstil, der sich immer dem interessierten Publikum verpflichtet fühlte, und weiterhin in der genannten großen Perspektive auf das Hauptziel: Erweiterung des Gattungsspektrums aufging. Blankert war, soweit wir wissen, nur einmal ganz explizit in seiner kritischen Sicht auf sein Fach, und das war ganz am Anfang: "Een coryfeocentrische visie" schrieb er über einen Beitrag zum zweiten Heft von "Simiolus" (1966). Vermutlich war dies seine Wortschöpfung, die "koryphäozentrische Perspektive", die er den Großen der Niederländerforschung nachsagte und ihnen Kult der Großen Meister vorwarf und dass sie die Vielfalt der Kunst des Goldenen Zeitalters vernachlässigten, die Historienmalerei zum Beispiel. Das war der Anfang, dem eine bemerkenswert stringente Aufholarbeit folgte.

Wenn man den Band durchblättert, so ergibt die schiere und kontingente Mischung der Abbildungen ein vielleicht konsistentes Verteilungsmuster. Da sind die Hauptwerke in ihrer Singularität, da ist die Serienproduktion (17 Winterlandschaften von Hendrick Avercamp), und da sind die Werke, die man sonst nicht oder nicht so häufig sieht. Blankerts Bemühen um das ganze Spektrum führt ihn vielleicht mit einer klammheimlichen Lust zu Bildern, die man getrost als Schocker bezeichnen kann. Sie sind fast durchweg dem Sektor Historienmalerei entnommen und sie folgen stilistisch mehrheitlich dem hyperrealistischen Modus, der - Feinmalerei hin oder her - den "Koryphäen" nie viel bedeutet hat. Jan de Braij, Caesar van Everdingen, Abraham van den Tempel, aber auch Ferdinand Bol sind Namen, die immer wieder auftauchen - bei Blankert. Und dann ist da das famose Bild Nicolaes van Galens "Graf Wilhelm III. ordnet die Enthauptung des unehrenhaften Sheriff an" (1657, Hasselt, Rathaus; Abbildung 101), ein Werk, das nach Malkultur, Regiekunst und Unbekümmertheit in Fragen geistigen Eigentums Delaroche, Gleyre, Gérôme und die Creme der französischen Historienmalerei des Realismus zutiefst beschämt hätte. Man möchte sofort mehr über diesen Maler wissen, man möchte die Gesetze der niederländischen Historienmalerei im Vergleich mit ihren italienischen und französischen Konkurrenten analysiert bekommen, aber genau an diesem Punkt beginnen die Probleme und fängt die Unzufriedenheit mit dieser Publikation an. Blankert ist wie jemand, der uns neue Räume aufschließt und uns dann dort allein lässt. Sicher, er rückt die Namen und Werke in den richtigen lokalen, schulgemäßen, zeitlichen, funktionsgeschichtlichen Zusammenhang, aber er hält eigentlich keine Werkbetrachtung durch, so wie wir das seit Riegls "Holländischem Gruppenporträt" kennen. Was er zu einem solchen ausführt (79), kann den interpretationsgeschichtlichen Standard von 1902 nicht halten. Ein Aufsatz mit dem Titel "What is Dutch Seventeenth Century Genre Painting? A Definition and its Limitations" von 1987, der ein echtes Defizit schließen könnte, lässt den Leser ziemlich ratlos zurück. Blankert schließt sich hier weder der Schule derer an, die mit nicht sehr guten Gründen glauben, die Frage aus der zeitgenössischen Kunsttheorie beantworten zu können, noch nimmt er an der Diskussion der Ästhetik und allgemeinen Kunstwissenschaft um das Thema Gattungen teil. Eine Anregung aus den Bereichen der Literatur- und Medienwissenschaft, die diese und andere Probleme intensivst bearbeitet haben, sucht man vergebens. Wir werden auf eine Tour d'horizon mitgenommen, die einer Definition folgt, die man schon bei Friedrich Theodor Vischer und Jacob Burckhardt im 19. Jahrhundert findet: "A genre piece is a painting featuring human figures who are all anonymous and intended to be anonymous." Diese Definition besteht eigentlich nur aus "limitations". Es wäre unfair, würde man dieses Urteil auf den Band als ganzen übertragen, aber sagen wir es so: Dass "limitations" ihre Tugenden und ihren Charme haben, beweisen uns Leben und Wissenschaft täglich erneut. Stoßen wir aber auf den Fall eines Lebenswerks, das es sich so bewusst und konsequent zur Aufgabe gemacht hat, "limitations" der fachlichen Sicht zu überwinden, dann wünschten wir uns schon mehr Mut und Offenheit auch in Bezug auf das eigene Vorgehen.

Wolfgang Kemp