Sheena Wagstaff (Hg.): Edward Hopper, Ostfildern: Hatje Cantz 2004, 256 S., 168 Abb., ISBN 978-3-7757-1500-3, EUR 34,00
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Die Hopper-Retrospektive, die das Kölner Museum Ludwig im Herbst 2004 zeigte, zählt ohne Zweifel zu den Höhepunkten des vergangenen Ausstellungsjahrs. Hoppers Gemälde sind seit langem zu Ikonen des 20. Jahrhunderts geworden, die als Symbole modernen Lebens tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Diese Tatsache sowie die seit der letzten umfassenden Hopper-Schau - 1981 im Whitney Museum of American Art in New York - verstrichenen Jahrzehnte machen neugierig. Konzipiert wurde die Ausstellung von Sheena Wagstaff, Chefkuratorin der Tate Modern, der ersten Station der Hopper-Werke. Wagstaff hat auch den hier vorliegenden Katalog herausgegeben, der sich kein geringeres Ziel gesetzt hat als "die typischsten und wichtigsten Werke des Künstlers in einer Ausstellung zu zeigen, die das ganze Spektrum seines Genies für eine Neubewertung erschließen soll" (8). Der Katalog besteht aus fünf Aufsätzen, dem Bildteil, einer Chronologie, in der Hoppers wichtigste Lebensstationen zeithistorischen Ereignissen tabellarisch gegenübergestellt werden, einer großzügigen Bibliografie, einem Verzeichnis der ausgestellten Werke sowie einem benutzerfreundlichen Index.
Der Tafelteil besteht aus durchweg farbigen Abbildung in höchster Qualität, allerdings ohne kritische Darstellung oder auch nur Beschreibung; der Leser erhält hier nur die technischen Angaben und einen Verweis auf die Nummer des Werkes in dem Œuvrekatalog von Gail Levin, der als Substitut der fehlenden Einzelbesprechungen fungiert. [1] Dieser Verzicht ist programmatisch und wird bereits in der Einleitung formuliert (8). Ob er auch sinnvoll ist, darüber kann man streiten. Tatsache ist jedenfalls, dass somit mehr als die Hälfte der Publikation letztlich aus einem wissenschaftlich uninteressanten Bildteil besteht, zumal befriedigende Farbabbildungen ebenfalls bereits bei Levin zu finden sind.
Der hehre Anspruch des Katalogs muss also allein von den Beiträgen getragen werden und dies funktioniert leider nur teilweise. Manches Interessante wird geboten, insbesondere gelingt der Nachweis der Bedeutung der Philosophie - von Platon über Goethe bis hin zu Ralph Waldo Emerson - für das Hopper'sche Werk. Dieser bislang etwas vernachlässigten Beziehung widmen sich alle fünf Beiträge mehr oder weniger intensiv. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang Hoppers Bild "Philosophische Exkursion" von 1959, das hier erstmals in eine Schlüsselposition für ein Verständnis von Hoppers Weltsicht rückt und in den Beiträgen von Wagstaff, Anfam und Iversen beleuchtet wird.
Ebenso leitmotivisch wird eine Annährung an Hopper Stellung in der amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts unternommen. Dass sich diese schwer bestimmen lässt und bislang gerne vom "großen Einzelgänger" oder dem Individualisten Hopper gesprochen wurde, ist bekannt. Auch, dass sich der Maler nicht ohne Schwierigkeiten mit dem Etikett "Realist" versehen lässt. Wagstaffs Aufsatz mit dem irreführenden Titel "Begeisterung für das Sonnenlicht" ist vor allem einer Entschlüsselung von Hoppers Verständnis des Realismus gewidmet. In der ikonografischen Verortung des Malers in der Kunsttradition unterstreicht die Autorin die Qualität von Hoppers Bildern als "Meisterleistungen imaginativer Projektion" (25) und setzt sich mit der scheinbaren Dualität von Welt und Geist in den Bildern auseinander. Ähnliche Fragestellungen bewegen auch David Anfam, der sich ihnen über einen Vergleich Hoppers mit Rothko nähert, dabei aber auch die Bedeutung von Literatur, Film und Theater berücksichtigt.
Margaret Iversens Aufsatz "Hoppers melancholischer Blick" lässt Böses ahnen: nämlich eine Exkursion auf einen der ältesten Topoi der Hopper-Literatur. Tatsächlich aber verbirgt sich hinter diesem Titel der vielleicht interessanteste Beitrag des Katalogs. Iversen zieht sich nicht auf die vertraute Aneinanderreihung von Schlagworten wie Einsamkeit, Isolation des Einzelnen und ähnliche zurück. Stattdessen skizziert sie die Ikonografie der Melancholie - von Dürer über die Humoralpathologie und die Lehre der Körpersäfte, Rembrandt, Manet und Degas, Freud und andere - und beleuchtet deren Bedeutung für Hopper. Ihre These, dass Hoppers "ganze Malerei möglicherweise unter dem 'Zeichen des Saturn' stand, er die Welt also aus der Perspektive des Melancholikers zeigen wollte" kann vor diesem Hintergrund überzeugen (61). Ebenso die aus dem Studium der Fotografie abgeleitete Erkenntnis, dass Hopper einerseits Wirklichkeit dekonstruiert und fragmentiert, er andererseits aus diesen Fragmenten aber einen neuen, ins Visionäre weisenden Sinn schöpft (63).
Peter Wollen hat den Titel seines Beitrags "Zwei oder Drei Dinge, die ich von Edward Hopper weiß" Jean-Luc Godards Film von 1966 entlehnt. Diese Bezugnahme ist Programm, geht es doch hier in erster Linie um Hoppers formale und thematische Adaption von Fotografie und Film sowie um die Wechselwirkung seines Schaffens mit diesen Medien. Auch hier spielt die Fragmentierung und Offenheit Hopper'scher Bilder eine zentrale Rolle. Obschon das meiste hier Festgestellte bekannt ist, gelingt es Wollen insbesondere durch neue Vergleichsbeispiele aus den letzten Jahren, interessante Perspektiven zu eröffnen.
Brian O'Dohertys Beitrag "Hoppers Blick" nimmt in diesem Band eine Sonderstellung ein; als einer der letzten Freunde und intimer Kenner Hoppers berichtet er in einem großen Bogen von Leben, Werk und Einstellungen des Malers. Dabei werden viele in den anderen Aufsätzen verhandelte Aspekte nochmals zur Sprache gebracht - so die Beziehung zur amerikanischen Literatur und zum Film. Darüber hinaus stellt O'Doherty mithilfe von Hoppers Äußerungen einige Interpretationsansätze in ein neues Licht.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Katalog einige neue Denkanstöße bietet - insbesondere zur Metaphysik Hoppers und seiner Bilder - und insofern durchaus seinen Wert besitzt. Erfreulich ist zudem der weitgehende Verzicht auf die bei der Betrachtung des Malers altvertrauten Floskeln der Vereinsamung. Diese werden, wo sie auftauchen, auf ein tragfähiges ikonografisches Fundament gehoben, das gegenüber früheren Darstellungen deutlich ausgeweitet worden ist. Dass die Beiträge einer Einordnung Hoppers in die Kunst des 20. Jahrhunderts letztlich ausweichen, ist verständlich - ist es doch gerade die interpretatorische Offenheit und Polyvalenz seiner Bilder, welche die bleibende Attraktivität seines Werkes ausmacht. So bleibt Hopper am Schluss doch der große Außenseiter. Die Zielvorgabe, das "ganze Spektrum seines Genies für eine Neubewertung" zu erschließen, hat der Katalog - im Gegensatz zur Ausstellung - aber sicher nicht einlösen können. Insbesondere eine umfassende Analyse der formalen Bildmittel, mit denen Hoppers Werke ihre Wirkung auf den Rezipienten erzielen, steht weiterhin aus. [2]
Anmerkungen:
[1] Gail Levin: Edward Hopper: A catalogue raisonné. 3 Bände: Band 1: Edward Hopper: Perspectives on his life and work; Illustrations. Band 2: Watercolors. Band 3: Oils. New York: Whitney Museum of American Art, 1995.
[2] Ansätze hierzu bei Jean Gillies: "The timeless Space of Edward Hopper." In: Art Journal 32, 1972, 404-412 sowie Ekaterini Kepetzis: "Negierte Realität - Mensch und Raum bei Edward Hopper." In: Stefanie Lieb (Hg.): Form und Stil. Festschrift für Günther Binding zum 65. Geburtstag. Darmstadt 2001, 336-346.
Ekaterini Kepetzis