Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500-1700 (= Geschichte und Geschlechter; Bd. 43), Frankfurt/M.: Campus 2004, 407 S., ISBN 978-3-593-37480-2, EUR 45,00
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Die hier anzuzeigende Kasseler Dissertation wendet sich einem in den letzten Jahren immer intensiver behandelten Thema zu, indem sie Handlungsspielräume hochadeliger Frauen im Spannungsfeld von Herrschaft, Politik und Geschlecht detailliert untersucht. Die Frage nach Möglichkeiten legitimer und institutionalisierter Herrschaft von Frauen in der Frühen Neuzeit bildet den Ausgangspunkt der Untersuchung (17). Dabei steht eine spezielle Form weiblicher Herrschaftspartizipation, die Regentschaft einer Fürstin für ihren minderjährigen Sohn, im Zentrum des Interesses, ein lange bekanntes, aber bislang für den deutschsprachigen Raum nicht übergreifend und vor allem nicht mit modernen Fragestellungen der Geschlechterforschung behandeltes Thema.
Ihre Untersuchung gliedert die Autorin im Anschluss an eine Einleitung, die knapp und präzise in den Forschungsstand einführt sowie Aufbau und Quellen der Darstellung referiert, in zwei große Teile. Der erste (34-143) widmet sich dem juristischen Regelwerk für die Institution vormundschaftlicher Regentschaft. Vornehmlich auf der Basis zeitgenössischer juristischer Dissertationen, Handbücher und Kompilationen werden hier rechtliche Grundlagen sowie die Debatte um die Legitimität der Vormundschaft von Frauen nachvollzogen. Dabei wird ersichtlich, dass diese Legitimität der Vormundschaft fürstlicher Witwen als Amt - entsprechend einer generell gültigen Konstruktion - aus ihrer speziellen Rolle als Mutter des Thronfolgers resultierte. Nur in diesem Fall konnte eine Frau die vormundschaftliche Obsorge für Kinder übernehmen (58). Für die konkrete Ausformung der Regentschaft einer Fürstin als Vormünderin waren in einzelnen Fällen reichsrechtliche Regelungen (Kurfürsten), meist aber Hausgesetze ebenso wie das gemeine Recht ausschlaggebend (78). Daneben erörtert die Autorin ausführlich die Pyramide der Vormünder vom Kaiser bis zum landständischen Ausschuss und stellt Bedingungen und Formalia der Beendigung vormundschaftlicher Regentschaft dar, wobei dem Wiederverheiratungsverbot für Vormünderinnen (125-128) besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Der zweite, umfangreichere Teil der Darstellung (144-307) wendet sich dann der Untersuchung der Rechtspraxis und genereller Strukturen vormundschaftlicher Herrschaft von Frauen zu. Anhand von vier konkreten Regentschaften in Hessen, Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt werden vorrangig folgende Aspekte vergleichend betrachtet: das Verhältnis der jeweiligen Regentin zu den Landständen, zu den Räten und zu anderen die Regentschaft beanspruchenden Fürsten sowie zur Herkunftsfamilie. Auch die Inanspruchnahme der Reichsgerichte, das Verhältnis zum Kaiser sowie die individuelle Nutzung des juristischen Diskurses werden in diesen Vergleich einbezogen (144). Bei den untersuchten Regentinnen handelt es sich um Landgräfin Anna von Hessen (1485-1525), die in Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg relativ häufig zitierte Landgräfin Amelie Elisabeth von Hessen-Kassel (1602-1651), deren Schwiegertochter Hedwig Sophie (1623-1683) sowie um Elisabeth Dorothea von Hessen-Darmstadt (1640-1709). Ein Anhang mit genealogischen Übersichten, ausgewählten Rechtsquellen und Kurzbiografien der zitierten Verfasser juristischer Abhandlungen rundet die materialreiche Studie ab.
Deutlich wird in diesem zweiten Teil vor allem, dass vormundschaftliche Regentschaften keineswegs nur interimistische Phasen darstellten, als die sie die ältere Landes- und Politikgeschichte meist vernachlässigt hat. Jede der vier Fürstinnen nutzte die rechtliche Legitimität ihrer stellvertretenden Herrschaftsausübung, um im Sinne eigener Vorstellungen wie der Interessen ihres Sohnes Landesherrschaft zu gestalten. In allen Fällen konnten Handlungsspielräume, die testamentarische Regelungen und juristische Positionen beschrieben, durch konkretes Handeln erweitert werden. Als Regentin standen der Fürstin alle Herrschaftsrechte zu, über die auch ihr Gemahl verfügt hatte, und ihre Ausübung wurde in allen untersuchten Fällen beansprucht und realisiert. Ersichtlich wird auch, dass die Mitvormundschaft von anderen Fürsten, Vormundschaftsräten oder landständischen Räten von den Frauen nicht akzeptiert, sondern mit politischem Geschick ausgehebelt wurde, ohne dass dies von Seiten der Zeitgenossen als unstandesgemäß betrachtet worden wäre. Insbesondere durch die Analyse von Korrespondenzen ist die Autorin zudem in der Lage, den eigenständigen Anteil der Regentinnen an der Regierung nachzuweisen und damit ein lange tradiertes Vorurteil, dass während solcher Zeiten die fürstlichen Räte regiert hätten, auszuhebeln.
Insgesamt gelingt es der Autorin in ihrer umfangreichen, vorrangig aus Quellen gearbeiteten Studie, deutlich herauszuarbeiten, dass es sich bei Regentschaften fürstlicher Witwen um ein eingeführtes Rechtsinstitut handelte, dessen Nutzung nicht von individuellen Entscheidungen eines Fürsten oder gar der individuellen Eignung einer Fürstin abhängig war. Regentschaften waren vielmehr ein gängiges Instrument zur Sicherung dynastischer Herrschaft im Krisenfall des vorzeitigen Todes eines Landesherrn. Mit der Darstellung der juristischen Basis wie überindividueller Strukturen solcher Herrschaftsausübung von Frauen leistet der Band einen wichtigen Beitrag zur Weiterführung der Debatte um Frauen und Politik respektive Herrschaft.
Katrin Keller