Stephan Loos / Holger Zaborowski (Hgg.): Leben, Tod und Entscheidung. Studien zur Geistesgeschichte der Weimarer Republik (= Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 127), Berlin: Duncker & Humblot 2003, 211 S., ISBN 978-3-428-11059-9, EUR 68,80
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Michael Kißener: Zwischen Diktatur und Demokratie. Badische Richter 1919-1952, Konstanz: UVK 2003
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.): Acta Borussica. Neue Folge. 2. Reihe: Preussen als Kulturstaat. Abteilung I. Das preußische Kultusministerium als Staatsbehörde und gesellschaftliche Agentur (1817-1934). Band 2.1: Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern Schule, Wissenschaft, Kirchen, Künste und Medizinalwesen. Darstellung, Berlin: Akademie Verlag 2010
Jost Dülffer / Wilfried Loth (Hgg.): Dimensionen internationaler Geschichte, München: Oldenbourg 2012
"Leben", "Tod", "Entscheidung" sind zentrale Schlüsselbegriffe, die den intellektuellen Diskurs in Deutschland zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Beginn der Herrschaft Hitlers geprägt haben. "Wie in einem Spiegel", so heißt es in der Einleitung des Buches, reflektiert jene Zeit "eine Gegenwart, die überlieferter Sinndimension verlustig ging und zwischen der Scylla von Resignation und Verzweiflung und der Charybdis von Selbstüberschätzung und eitler Anmaßung Orientierung für ein gelungenes Leben sucht" (7). "Leben" wird dabei verstanden als Ausdruck einer exzessiven Sehnsucht nach "Wirklichkeit" aller Art, auch nach Intensität und Ursprünglichkeit; "Tod" reflektiert vor allem die intensiven Verlusterfahrungen aus der vorangegangenen Weltkriegszeit; "Entscheidung" schließlich drückt das Verlangen nach Gestaltung und Formung der Wirklichkeit aus, sei es im Bereich der Politik, sei es in jenem der Kunst, der Wissenschaft, aber auch der religiösen und weltanschaulichen Selbstfindung.
Jene Leser, die ein wenig mit dem geistigen Umfeld dieser Jahre, d. h. auch mit dem Phänomen der "Konservativen Revolution" vertraut sind, verwundert es nicht, dass in den fast ausschließlich geistesgeschichtlichen Betrachtungen des Bandes zwei Personen vor allen anderen, die ebenfalls genannt werden könnten, im Vordergrund stehen: Martin Heidegger und Carl Schmitt. Heidegger kommt in gleich drei der insgesamt zehn Beiträge bereits im Titel vor. Holger Zaborowski rekonstruiert im ersten Aufsatz dessen Denken im Kontext der 1920er-Jahre und am Leitfaden eben jener drei Schlüsselbegriffe, wobei er zu dem allerdings nicht überraschenden, schon gar nicht neuen Resultat kommt, der Philosoph habe "auf seinem Denkweg paradigmatisch die Spannungen und Brüche, die für die Weimarer Republik charakteristisch sind" (32), durchlebt. Aufschlussreich allerdings bleiben die Hinweise des Autors auf die Bemühungen Heideggers um ein neues Bildungsverständnis - ein Thema, das zudem Alfred Denker in seinem Aufsatz über Heideggers und Jaspers gemeinsame Anstrengungen um eine Erneuerung des Denkens "in dürftiger Zeit" noch einmal aufnimmt und anhand interessanter Hinweise zu den gemeinsamen Ideen beider Philosophen über eine Hochschulreform vertieft, die beiden damals ein Anliegen war.
Auch der nächste Aufsatz ist zwar nicht ausschließlich Heidegger, aber doch einem Thema gewidmet, das für dessen philosophische Position in ihrer Frühzeit zentral ist, nämlich der "phänomenologischen Kritik an der Lebensphilosophie", der sich Stephanie Bohlen in einem weiteren Einzelbeitrag widmet. Die Autorin arbeitet sehr zu Recht heraus, dass es vor allem der zentrale Gedanke der Geschichtlichkeit ist, den Heidegger den lebensphilosophischen Ansätzen Bergsons und Diltheys entgegenstellt, indem er betont, es sei "kein Residuum" vorhanden, "in das [der Mensch] sich aus der Geschichte zurücknehmen könnte" (69). Johannes Schaber rekonstruiert in seiner Studie "Phänomenologie und Mönchtum" mit neuen Quellen einen bisher fast gänzlich unbekannten Vorgang aus der Geschichte des Denkens der 1920er-Jahre, nämlich die vielfältigen Kontakte, die Heidegger und auch Max Scheler zur Erzabtei Beuron unterhielten.
Der zweite hier dominierende Name, Carl Schmitt, wird in gleich zwei Einzelstudien, verfasst von Michael Mack und Stephan Loos, mit einer anderen, fast schon mythischen Gründerfigur des neueren deutschen Geisteslebens verglichen: mit Walter Benjamin, der bekanntlich, obwohl weltanschaulich dem Marxismus nahe stehend, in jener Zeit den Kontakt zu Schmitt gesucht und einzelne seiner Schriften intensiv rezipiert hat, wie man vor allem dem berühmten Buch über den "Ursprung des deutschen Trauerspiels" entnehmen kann. Die beiden Autoren des Bandes freilich sympathisieren entschieden mit Benjamin, vertreten sogar die (zum Teil nur angedeutete) These, Schmitts Grundideen seien durch Benjamins kritische Gegenpositionen zu widerlegen. Hiermit dürften sie bei manchem Leser auf entschiedenen Widerspruch stoßen.
Knapp gehalten bleibt der Schlussaufsatz von Dirk A. Moses, der die Carl Schmitt-Rezeption der so genannten "45-er Generation" (die man in Deutschland eher als die "Flakhelfergeneration" bezeichnet) zum Thema hat. Dabei konzentriert er sich freilich nur auf sehr wenige Intellektuelle, vor allem auf Jürgen Habermas und auf Hermann Lübbe, den er fälschlicherweise als Konservativen einordnet, obwohl Lübbe, wie allseits bekannt, als Sozialdemokrat politisch tätig gewesen ist und heute wohl am ehesten als Liberaler bezeichnet werden kann.
Interessantes Neuland betritt dagegen Christoph Stumpf mit seiner Studie zum "Paradigmenwechsel in der vergleichenden Rechtswissenschaft", den er von der Universalrechtsgeschichte Josef Kohlers bis zur modernen Rechtskomparatistik Ernst Rabels verfolgt, dessen Ansätze einer zeitgemäßen vergleichenden Analyse vor allem des Wirtschaftsrechts wegweisend waren. Bernhard Casper untersucht unter der Überschrift "Ereignis und Erlebnis" zwei Schlüsselbegriffe der jüdischen Religionsphilosophie jener Zeit, wobei Martin Buber und Franz Rosenzweig im Mittelpunkt stehen. Alwin Letzkus schließlich weist in seiner Studie "Menschliches Sein in der Entscheidung" auf die - jedenfalls im Zusammenhang einer Rekonstruktion der deutschen Geistesentwicklung um 1930 - immer noch unterschätzte Bedeutung Hellmuth Plessners und dessen "anthropologischer Wende der Philosophie" (133) hin. Die Wende ist nicht zuletzt darin zu sehen, dass der junge Plessner eine entschiedene Gegenposition zum "sozialen Radikalismus" (147) der Weimarer Republik vertreten hat, die besonders in seinen "Grenzen der Gemeinschaft" zum Ausdruck kommt. Die reichlich konstruierten und in ihren weit reichenden Schlussfolgerungen höchst problematischen geistesgeschichtlichen Studien Plessners dagegen werden vom Autor leider nicht mit der hier besonders nötigen Kritik behandelt.
Als Resümee bleibt festzuhalten, dass der Sammelband eine Reihe gut zu lesender, informativer Studien zu Grundfragen der deutschen Geistesgeschichte zwischen 1919 und 1933 enthält, die jedoch fast alle keine wesentlich neuen Aussagen, Ideen oder Interpretationen enthalten. Auch als Einführung ist die Sammlung nur sehr bedingt geeignet, da sie sich (besonders in ihren fachphilosophischen und theologischen Beiträgen) auf einem Niveau bewegt, das sich dem Anfänger nur schwer erschließen wird. Insgesamt freilich ist der Band ein nützliches Unternehmen, dem der Fachmann eine Reihe von Anregungen und weiterführenden Hinweisen zu entnehmen vermag.
Hans-Christof Kraus